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Kiewer Blamage

Hintergründe des Rücktritts ukrainischer Regierung: Probleme der Energieversorgung und Konflikte in der Oligarchie

Von Tomasz Konicz *

Am vergangenen Montag sind der ukrainische Ministerpräsident Nikola Asarow und sein gesamtes Kabinett zurückgetreten. Von offizieller Seite wurde dieser Schritt mit dem Erringen eines Parlamentssitzes durch den Premier bei den letzten Wahlen vor rund fünf Wochen begründet. Laut ukrainischem Recht müssen alle Minister ihre Ämter niederlegen, wenn der Premier seinen Rücktritt einreicht. Bis zur Bildung einer neuen Regierung wird das Kabinett Asarow jedoch kommissarisch im Amt bleiben.

Dem Rücktritt ging eine für die ukrainische Führung äußerst peinliche Affäre voraus, bei der ein Hochstapler Kiew zum Narren halten konnte. Ende November verkündete der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch stolz, daß sein von russischen Erdgaslieferungen abhängiges Land in Kooperation mit dem spanischen Energiekonzern Gas Natural Fenosa bis 2015 ein Flüssiggasterminal errichten werde. Mittels dieser rund 1,1 Milliarden Dollar umfassenden Investition werde die Ukraine in die Lage versetzt, verflüssigtes Erdgas aus Katar zu importieren, so Janukowitsch. Hierdurch könnte die Abhängigkeit der Ukraine vom teuren russischen Erdgas vermindert werden.

Nur wenige Stunden nach der Verkündigung dieses energiepolitischen »Durchbruchs« erklärte Gas Natural Fenosa in einer offiziellen Presseerklärung, nichts von einem derartigen Vertragsabschluß zu wissen. Man sei gar nicht in der Ukraine aktiv, hieß es seitens des spanischen Energieversorgers. Die gesamte ukrainische Führung – vom Präsidenten bis zum Regierungschef, der bei der Unterzeichnung des Vertragswerks persönlich zugegen war – hatte sich von einem in Kiew lebenden Spanier zum Narren halten lassen, der über keinerlei Verbindungen zu dem besagten Energieunternehmen verfügt und der dieses Scheingeschäft durch persönliche Kontakte zu ukrainischen Regierungsbeamten auf den Weg gebracht hatte.

Diese schwere Blamage, die nicht zuletzt beim russischen Monopolisten Gazprom für Amüsement gesorgt haben dürfte, ließ die Konflikte zwischen den unterschiedlichen oligarchischen Klans eskalieren, deren Seilschaften um Einfluß und Machtpositionen innerhalb des ukrainischen Staates ringen. Asarow ist der wichtigste politische Exponent der Oligarchenguppe aus dem ostukrainischen Donezk, die die dortige Schwerindustrie kontrolliert und vom Milliardär Rinat Achmetow angeführt wird. Dieser »Donezk-Klan« befindet sich in einem verbissenen Machtkampf mit den Anhängern des einflußreichen Gashändlers Dmytro Firtasch, der einen Anteil von 45 Prozent an dem russisch-ukrainischen Gaszwischenhändler RosUkrEnergo hält.

Dabei muß der Rücktritt Asarows nicht zwangsläufig zu einer Stärkung der eher rußlandorientierten Seilschaften um Firtasch führen, da inzwischen auch Präsident Janukowitsch – der ursprünglich von dem Donezker Klan aufgebaut wurde – eine als »Familie« bezeichnete oligarchische Seilschaft etabliert hat. Beobachter gehen folglich davon aus, daß der derzeitige Vorsitzende der Zentralbank, Serhij Arbusow, zum neuen Ministerpräsidenten aufsteigen könnte. Die Mutter Arbusows leitet eine Bank, die Teil eines von Olexander Janukowitsch – dem Sohn des Präsidenten – geleiteten Unternehmenskonglomerats ist.

Die Affäre um Gas Natural Fenosa illustriert aber auch die verzweifelten Bemühungen Kiews, die kostspielige Abhängigkeit vom russischen Erdgas zu verringern, für das die Ukraine derzeit 430 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter zu zahlen hat. Hierbei konnte Kiew Anfang November einen Erfolg erringen. Der deutsche Energiekonzern RWE wird der Ukraine im kommenden Jahr fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas liefern, indem die Fließrichtung bestehender Gaspipelines umgekehrt wird. Die Kosten für dieses Erdgas sollen an die Preisentwicklung an den Spotmärkten gekoppelt sein und so je nach Jahreszeit zwischen 40 bis 100 US-Dollar unter den Preis liegen, den Rußland fordert. Kiew plant bereits, diese Kooperation mit der BRD auszubauen und die russischen Gasimporte von 40 Milliarden Kubikmetern 2011 auf 27 Milliarden 2012 und 24,5 Milliarden im kommenden Jahr zu senken. Der russische Monopolist Gasprom reagierte auf diese Nachricht »erbost«, meldete die Zeitung Nowyje Iswestija Mitte November.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 06. Dezember 2012


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