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Gangster im Weißen Haus

Vor 40 Jahren: Die Watergate-Affäre kommt ins Rollen

Von Knut Mellenthin *

Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden seit deren Gründung von 44 Präsidenten regiert. Nur einer von ihnen trat während seiner Amtszeit zurück: der Republikaner Richard Nixon. Das Ereignis, das ihn zu Fall brachte, lebt in dem Brauch weiter, Skandalen das Wort »gate« anzuhängen, das eigentlich »Tor« bedeutet. Watergate - das war bis zum 17. Juni 1972 nur ein elfstöckiges Büro- und Hotelgebäude am Potomac, der die US-Hauptstadt Washington durchfließt. Im sechsten Stock war damals die Parteizentrale der Demokraten untergebracht.

Dort stellten Polizisten, die von einem Nachtwärter alarmiert worden waren, vor 40 Jahren, am 17. Juni 1972, fünf Einbrecher, die zu Geschäftsanzügen stilwidrig medizinische Gummihandschuhe trugen. Es war in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag, zwischen 2.30 und drei Uhr morgens. Nach den bei ihnen gefundenen Utensilien hatten sie Abhörgeräte anbringen und Akten fotografieren wollen. Die Herren waren zwar mit falschen Identitätsnachweisen versehen, trugen aber praktischerweise die Schlüssel für ihre Hotelzimmer bei sich. Die Polizei fand dort nicht nur die richtigen Ausweispapiere, sondern auch mehrere Notizbücher mit Telefonnummern.

Spur führt zu Nixon

Darunter war auch die von Howard Hunt, der von 1948 bis 1970 für den Auslandsgeheimdienst CIA gearbeitet hatte. Er war dort kein Handwerker »fürs Grobe« gewesen, sondern hatte maßgeblich an großen politischen Projekten wie dem Sturz des progressiven Präsidenten von Guatemala, Jacobo Arbenz, im Juni 1954 mitgewirkt. Später war er an der Planung, Vorbereitung und Leitung der Schweinebucht-Invasion vom April 1961 beteiligt. Seit dieser Zeit war er unter seinem Decknamen »Eduardo« ein nahezu vergötterter Star in der exilkubanischen Szene. Und, das war im Zusammenhang des Einbruchs wichtig: Hunt war seit Juli 1971 im Weißen Haus angestellt.

In Richtung des Präsidenten führte sofort auch eine weitere Spur: Einer der fünf Einbrecher war James W. McCord, auch er ein ehemaliger CIA-Mann. 1970 hatte er nach 19jähriger Tätigkeit den Dienst quittiert und war zu einem Unternehmen gewechselt, das einen Kontrakt mit der Parteiführung der Republikaner hatte und übrigens als Scheinfirma der CIA galt. Zugleich war McCord auch als »Sicherheitskoordinator« fest beim Komitee für die Wiederwahl des Präsidenten angestellt.

Das Weitere ist Filmgeschichte. 1976 kam »All the President’s Men« – deutscher Titel: »Die Unbestechlichen« – in die Kinos. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Buch, das zwei junge Journalisten, Bob Woodward und Carl Bernstein, im Juni 1974, noch vor dem Rücktritt Nixons, veröffentlicht hatten. Die beiden hatten vom 19. Juni 1972 an die laufende Berichterstattung der Washington Post über den Einbruch und seine Hintergründe übernommen. Schon an diesem Tag konnten sie, teils aus allgemein zugänglichen Polizeiquellen, teils aufgrund zusätzlicher eigener Recherchen, McCords Verbindung zum Weißen Haus schildern. Am folgenden Tag präsentierte Woodward allein – Bernstein hatte frei – auch Hunt.

Daß die Spur letztlich bei Nixon selbst enden würde, war also von vornherein keine Sensation. Der Parteichef der Demokraten, Lawrence O’Brien, sprach diesen Vorwurf mit großer Bestimmtheit schon am Tag nach dem Watergate-Einbruch aus. Das Problem war lediglich die Beweisführung, die der Präsident mit immer neuen schmutzigen Tricks zu verschleppen verstand. Zwischen dem Watergate-Einbruch und Nixons Rücktrittserklärung am 8. August 1974 lagen mehr als zwei Jahre.

Zuvor gelang ihm noch das beachtliche Kunststück, trotz des rasch eskalierenden Skandals seine Wiederwahl am 7. November 1972 zu sichern – mit über 60 Prozent, einem der glänzendsten Ergebnisse, das jemals ein US-Präsident erreichte. In dieser Zeit beendete die Nixon-Administration mit dem Pariser Abkommen vom 27. Januar 1973 de facto die Intervention in Vietnam, organisierte den Militärputsch vom 11. September 1973 gegen die chilenische Regierung von Salvador Allende, half Israel im Oktoberkrieg 1973 mit umfangreichen Waffenlieferungen aus der Verlegenheit und trieb die Annäherungspolitik mit China weiter voran.

Der Ruhm für die Aufklärung des Watergate-Skandals blieb im öffentlichen Bewußtsein bei den beiden Journalisten der Washington Post hängen, die zum Zeitpunkt des Einbruchs 28 und 29 Jahre alt waren. Tatsächlich waren sie jedoch keineswegs die einzigen, die zur Sache recherchierten und schrieben. Sie hatten allerdings den Vorteil eines besonders guten Informanten, der jahrelang nur unter dem Decknamen »Deep Throat«, tiefe Kehle, nach dem Titel eines damals hochaktuellen Pornofilms, bekannt war. Erst 2005 enthüllten seine nächsten Angehörigen die Identität des mittlerweile an Gedächtnisverlust leidenden 91jährigen: Es war Mark Felt, der Anfang der 1970er Jahre die Nummer zwei der Bundespolizei FBI gewesen war. Er hielt Bernstein und Woodward, mit dem er schon vor dem Skandal bekannt oder sogar befreundet war, über die Ermittlungen auf dem Laufenden.

CIA-Agenten, Exilkubaner

Unter den zahlreichen Büchern über den Watergate-Skandal sind auch einige, die die vorherrschende Interpretation der Ereignisse anzweifeln und sogar die These vertreten, Nixon sei – wenn auch nicht völlig unschuldig – aus irgendwelchen Gründen in eine Falle gelockt worden, die schließlich zu seinem Sturz führen mußte. Der Verdacht richtet sich gegen die CIA, für die ein großer Teil der wichtigsten Akteure jahrelang aktiv gewesen war oder immer noch arbeitete.

So bestand das fünfköpfige Einbrecherteam ausschließlich aus CIA-Leuten, die zudem alle eng in die konterrevolutionären Aktivitäten gegen Kuba involviert waren. Zwei von ihnen waren Exilkubaner, die nach eigenen Aussagen fest davon überzeugt waren, daß sie an einer CIA-Aktion teilnehmen würden, und die von »Eduardo« Hunt auch unter diesem Cover angeworben worden waren. Die anderen Einbrecher waren, neben dem schon erwähnten McCord, zwei für geheimdienstliche Milieus typische abenteuerliche Existenzen: der 1917 in Havanna geborene Bernard L. Barker und Frank Fiorini, bekannter unter dem Namen Frank Sturgis. Dieser hatte, möglicherweise bereits im Auftrag der CIA, Ende der 1950er Jahre mit den kubanischen Revolutionären zusammengearbeitet, war aber nach deren Sieg 1959 an der Aufstellung der ersten antikommunistischen Kampfeinheiten und an Mordplänen gegen Fidel Castro beteiligt. Von hier war der Weg nicht weit zum nie wirklich geklärten Verdacht, daß Sturgis auch beim Attentat gegen Präsident John F. ­Kennedy – am 22. November 1963 in Dallas, ­Texas – mitgewirkt habe.

In seinem Kampf um den Erhalt der Macht benutzte Nixon, letztlich erfolglos, die Drohung, er werde »die ganze Schweinebucht-Sache« einschließlich des Kennedy-Mordes wieder aufrollen, um die CIA-Spitze zur Vereitlung der FBI-Ermittlungen zu drängen. Das politische Schicksal des Präsidenten war jedoch besiegelt, nachdem im Juli 1973 bekanntwurde, daß seit 1971 alle Gespräche im Weißen Haus aufgenommen worden waren, und Nixon schließlich vom Obersten Gerichtshof zur Herausgabe der Bänder, von denen ihn einige schwer belasteten, verurteilt wurde.

Quellentext: Aus Nixons Rücktrittserklärung (8. August 1974)

Bei allen Entscheidungen, die ich in meinem öffentlichen Leben getroffen habe, habe ich stets versucht, das zu tun, was das Beste für die Nation war. Während der gesamten langen und schwierigen Periode um Watergate fühlte ich, es sei meine Pflicht auszuharren, jede nur mögliche Anstrengung zu unternehmen, um die Amtszeit zu Ende zu bringen, für die Sie mich gewählt haben.

In den vergangenen Tagen wurde mir jedoch deutlich, daß ich im Kongreß keine Basis mehr habe, die stark genug ist, um die Fortsetzung dieser Bemühungen zu rechtfertigen. Ich war nie jemand, der aufgibt. Das Amt zu verlassen, bevor meine Amtszeit abgeschlossen ist, widerstrebt jedem Instinkt meines Körpers. Aber als Präsident muß ich das Interesse Amerikas an die erste Stelle setzen. Amerika braucht einen Fulltime-Präsidenten und einen Fulltime-Kongreß, besonders in dieser Zeit angesichts der Probleme, vor denen wir im Inneren und in der Welt stehen.

Den Kampf in den vor uns liegenden Monaten fortzusetzen, zum Zweck meiner persönlichen Rechtfertigung, würde fast vollständig die Zeit und die Aufmerksamkeit sowohl des Präsidenten als auch des Kongresses in Anspruch nehmen. Und das in einer Zeit, wo unsere ganze Konzentration auf die großen Themen des Friedens in der Welt und auf wirtschaftliches Gedeihen ohne Inflation im Inneren gerichtet sein sollte.

Deshalb werde ich mit Wirkung ab morgen Mittag vom Präsidentenamt zurücktreten.



* Aus: junge Welt, Samstag, 16. Juni 2012


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