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GOODBYE AMERICA

Guten Tag Europa

Von Ulrich Gellermann *

This land is your land, this land is my land
From California, to the New York Island
From the redwood forest, to the gulf stream waters
This land was made for you and me

(Woody Guthrie, 1940)

Wenn die Deutschen den amerikanischen Präsidenten hätten wählen dürfen, über 90 Prozent von Ihnen hätten, laut einer Umfrage der ARD, Barack Obama ihre Stimme gegeben. Das ist fraglos gut gemeint. Obama, so denkt die von den Medien geformte Öffentlichkeit, ist einfach netter, hat die progressivere Hautfarbe, die hübschere Frau und kommt den Vorstellungen, die Europäer von einem Politiker haben, am nächsten. Noch sind die Stimmen nicht alle ausgezählt, aber viel mehr als die Hälfte der US-Amerikaner werden wieder nicht zur Wahl gegangen sein. Also dürfte der alte und neue amerikanische Präsident mit etwa einem Viertel der Wählerstimmen regieren. Demokratie geht anders. Würde man Obama von seinen politischen Postionen her in ein deutsches Parteien-Schema einordnen, verträte er den rechten Flügel der FDP. Mehr Stimmen als die hat er allerdings.

Rund sechs Milliarden Dollar hat der Wahlkampf gekostet. Das Budget der Kandidaten war ungefähr gleich hoch. Nur die großen Spender unterscheiden sich. Danach kann man sagen, der Mann der Computer-Industrie (18,9 Millionen) und der Rechtsanwälte/Lobbyisten ( 25, 5 Millionen), Obama, hat über den Kandidaten der Finanzindustrie (52,1 Millionen), Romney, gesiegt. Denn eins ist sicher: Wahlkampfspenden gibt es nicht umsonst: Sie werden nach den Wahlen eingeklagt. Und während man bei den 8,6 Millionen von der Energie-Industrie für Mitt Romney ziemlich genau weiß, was dessen Job gewesen wäre, nämlich Umweltschutz weiter abzubauen, erscheinen die 12, 1 Millionen von "Interessengruppen" für Obama diffus. Es könnten jene Lobbyisten sein, die ein Interesse daran haben, dass die Notenbank weiter mehr Geld druckt als die USA in Wahrheit hat. Aber vielleicht sind auch Energie-Unternehmen dabei. Denn trotz des Wirbelsturms Sandy, der die letzten Tage des Wahlkampfes prägte, war von Obama vier lange Jahre nichts zum Umweltschutz zu hören.

Die Zeiten von "Yes we can" sind lange schon vorbei. Was der Präsident konnte, war Osama bin Laden ermorden zu lassen (denn so nennt man eine Tötung ohne gerichtliches Verfahren). Und diesen Mord im Fernsehen genüsslich zelebrieren, konnte er auch. Was er nicht konnte, war: Den amerikanischen Haushalt zu sanieren. Was er konnte war: Den Libyen-Krieg voranzutreiben und den bisher nur angekündigten Rückzug aus Afghanistan mit neuesten Drohnen zu sichern: Kollateral? Scheißegal. Der Präsident hat sich vom klinisch fragwürdigen Benjamin Netanyahu vorführen lassen und den Bürgerkrieg in Syrien mit 25 Millionen Dollar und der üblichen Menschenrechts-Rhetorik angeheizt. Das Bündnis der Bush-Familie mit den Saudis hat Obama ebenso nicht gekündigt wie die Arbeitsverträge in Guantanamo. Nach wie vor florieren die Gefängnisfabriken in den USA, während das Gesundheitswesen brach liegt. Und man muss schon viel Fantasie haben, um zu glauben, ein farbiger Präsident würde die schlechte Lage der Farbigen in den USA nachhaltig bessern: Alles, was die Schwarzen in den USA in den letzten Jahrzehnten an Bewegungsfreiheit gewonnen haben, verdanken sie der eigenen Bewegung.

Die USA sind schon lange nicht mehr jenes Land, das Woody Guthrie besungen hat, nicht mehr das Land, that `was made for you and me´. Sie sind längst das Land einer dünnen Schicht, die in `gated communities´ lebt, ein eigenes privates Gesundheitswesen besitzt, und sich Wählerstimmen wie Kandidaten kaufen kann. Und daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Für Europa - eine Gegend, von der die Mehrheit der Amerikaner nicht weiß wo genau sie liegt, ein politisches Gebilde, an dem ihre Präsidenten zunehmend weniger Interesse haben - kann das nur bedeuten eigene Wege zu gehen. Und nicht wie bisher im Gefolge der USA von Krieg zu Krieg taumeln, Hilfstruppen für die NATO zu stellen, sich dem Diktat amerikanischer Rating-Agenturen zu unterwerfen und den Markt für das Maß aller Dinge zu halten. Es gibt in den USA auch Leute, die sich dem Mainstream entgegenstellen. Sie sind gering an Zahl. Und sie sollten jederzeit Asyl in Europa bekommen können. Der alte Kontinent ist voller Fehler und Schwächen. Aber wenn er sich auf sich selbst besinnt, ist er das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Goodbye, America.

Guten Tag, Europa.

* Aus: RATIONALGALERIE. Eine Plattfporm für Nachdenker und Vorläufer, 9. Novemer 2012; www.rationalgalerie.de


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