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"Unsere Politiker haben die Bürger manipuliert"

Der "Krieg gegen den Terror" und die Einschränkung der Bürgerrechte in den USA. Ein Gespräch mit Steven T. Wax *

Steven T. Wax ist staatlich bestellter Pflichtverteidiger in Portland, Oregon/USA. In seinem Buch »Kafka in Amerika« schildert er die Geschichte zweier Mandanten - des US-Bürgers Brandon Mayfield und des in Guantánamo inhaftierten ­Sudanesen Adel Hamad.



Warum heißt Ihr Buch »Kafka in Amerika«?

Während meiner College-Zeit habe ich den Roman »Der Prozeß« von Franz Kafka gelesen. Was darin geschildert wird, entspricht meiner Vorstellung von einem unfairen System. Als ich mit der Arbeit als Strafverteidiger von Brandon Mayfield und Adel Hamad begann, haben mich deren Fälle an das erinnert, was ich bei Kafka gelesen hatte: Den Gefangenen war es verboten, einander zu sehen; sie bekamen entweder keinen Rechtsanwalt oder einen Strafverteidiger, der fast keine Möglichkeit hatte, mit ihnen zu kommunizieren. Für mich war das ein kafkaeskes System. Darum der Titel.

Der sogenannte Krieg gegen den Terror war Ursache für die Entwicklung des von Ihnen beschriebenen Willkürsystems. Sie schreiben, daß es 70 ähnlich gelagerte Fälle wie den von Brandon Mayfield gab, der u.a. wegen seines muslimischen Glaubens überwacht und verhaftet wurde. Wie erklären Sie sich das Verhalten von Justiz und Sicherheitsbehörden?

Bedenken Sie, ich habe nie zusammen mit George W. Bush oder Richard Cheney im Weißen Haus gesessen. Daher kann ich nicht sagen, was wirklich in ihnen vorging. Aus der Perspektive einer Person, die in den USA lebt und arbeitet, kann ich es mir nur so erklären: Der 11. September 2001 hatte einen dramatischen Effekt auf die US-Bevölkerung und die Regierung. Er hat Angst ausgelöst. Die Leute an der Macht antworteten aus einer Position der Angst auf dieses Attentat, einer Angst, nicht mehr der Verantwortung gewachsen zu sein, die Sicherheit der Gesellschaft garantieren zu können. Ohne Frage, es gibt böse Jungs da draußen. Es ist somit ausgesprochen kompliziert, auf die Bedrohung durch Terrorismus zu reagieren. Doch unsere Politiker benutzten die im Land vorhandene Angst, um die Bürger und ihre eigenen Unterstützer zu manipulieren. Die Angst wirkt wie eine Scheuklappe bei einem Rennpferd. Sie konnten nur das Ziel verfolgen, das sie ohnehin anvisiert hatten. Alles was davon abwich, fand keine Beachtung.

Der zweite Fall, den Sie beschreiben, ist der des Sudanesen Adel Hamad - noch absurder als der des US-Bürgers Mayfield. Ihrer Meinung nach gibt es für Personen, die einmal in diese Justizmühle geraten sind, keinen Ausweg. Sie vergleichen dieses System u.a. mit den lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre, die Tausende Menschen einfach verschwinden ließen. Wie ist es aus Ihrer Sicht möglich, daß so etwas in sogenannten entwickelten westlichen Demokratien geschehen kann?

In den USA wurde darüber debattiert, ob dem internationalen Terrorismus unter strafrechtlichen oder militärischen Voraussetzungen begegnet werden soll. Die Administration Bush hat sich klar für die zweite Variante entschieden. Nach internationalem Recht ist es während eines Krieges möglich, jemanden auf dem Schlachtfeld zu verhaften und ihn ohne langen Prozeß einzusperren. Da Bush der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus militärische Regeln zugrunde legte, hielt er es für möglich, auch Prozesse nach Kriegsrecht zu führen. Das Problem ist aber, daß ein Großteil der Männer, die in Guantánamo einsitzen, nicht auf dem Schlachtfeld, sondern wie Adel Hamad bei sich zu Hause verhaftet wurden. Zudem ist der »Krieg gegen den Terror« kein traditioneller Krieg mit einem Anfang und einem Ende. Bushs Argumentation greift daher nicht. Das Oberste Gericht mußte ihn dreimal darauf hinweisen, daß er nicht über diese Macht verfügt.

Was hat sich mit Obama verändert?

Obama hat noch in der ersten Woche nach Amtsantritt jede einzelne der Präsidialverfügungen, die Bush unterschrieben hatte, außer Kraft gesetzt. Er sagte, daß es sich bei den sogenannten Enhanced Interrogations, einigen Verhörpraktiken, unter die auch das »Waterboarding« fällt, um Folter handelt. Und er hat jede einzelne der zwischen dem 11.September 2001 und dem 19.Januar 2009 von Bush erlassene Anordnungen für aufgehoben erklärt.

Aber der Patriot Act, das Gesetz, auf dem alle Verfügungen beruhen, bleibt weiter in Kraft?

Das stimmt, auch wenn er in einigen Aspekten modifiziert wurde.

Insgesamt vertreten Sie sieben Mandanten, die in Guantánamo sind oder waren. Wie ist deren Situation heute dort?

Der Alltag in dem Lager hat sich seit dem Antritt von Präsident Obama erheblich verbessert, er ist sehr viel einfacher geworden. Die Gefangenen können Fußball spielen, sie können Filme schauen, auch die Kommunikation untereinander ist nun möglich, und sie können freier mit ihren Familien sprechen. Es ist immer noch ein Gefängnis, viele von ihnen sollten nicht da sein.

Können Sie ausschließen, daß heute in Guantánamo gefoltert wird?

Ja, das kann ich ausschließen. Vor sechs Jahren wurde Guantánamo-Chef General Miller nach Abu Ghraib bei Bagdad versetzt. Seitdem wird bei den Verhören zwar psychologischer Druck erzeugt. Es wurde jedoch niemand geschlagen, in einen 50 Grad heißen Raum gesteckt oder mit Schlafentzug und ähnlichem bestraft.

Wann wird Guantánamo geschlossen?

Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Präsident Obama hat bei Amtsantritt angekündigt, er wolle das Lager innerhalb eines Jahres schließen. Dadurch schuf er eine hervorragende Angriffsfläche für die Republikaner. Sie konnten Obama am einfachsten dadurch schaden, daß sie die Schließung von Guantánamo verhinderten. Damit waren sie erfolgreich. Ob es zu einer Schließung kommen wird, ist leider von vielen Faktoren abhängig.

Den »bösen Jungs« dort kann in den USA der Prozeß gemacht werden. Die anderen, die nicht da sein sollten, wollen nach Hause. Es wurden inzwischen schon viele entlassen. Einige Insassen aus dem Jemen, Libyen, Syrien, Algerien oder China wollen jedoch nicht in ihre Heimatländer. Wenn sie dorthin kommen, werden sie wie politische Dissidenten behandelt, ihnen droht Folter. Sie sind verdammt, wenn sie gehen, aber auch verdammt, wenn sie bleiben. Für diese Leute brauchen die USA leider Hilfe. Albanien hat z.B. 2006 eine erste Gruppe von fünf chinesischen Gefangenen aufgenommen. Einen Tag nach ihrer Ankunft dort kam der Auslieferungsantrag aus China. Dankenswerterweise ist das Land nicht eingeknickt. Aber der Rest der Welt wird es sich nun zweimal überlegen, bevor er Guantánamo-Häftlinge aufnimmt. Spanien, Portugal, Irland, die Schweiz und Slowenien haben das gemacht, Deutschland nicht. Während meiner jetzigen Lesereise haben mich Leute hier gefragt: »Warum sollten wir auch?« Ich habe ihnen geantwortet, weil es erstens richtig und zweitens in eurem Interesse ist, den USA bei der Schließung von Guantánamo zu helfen- das Symbol des »Krieges gegen den Terror«, das Al Qaida hilft, Kämpfer zu rekrutieren.

Der Untertitel Ihres Buches »Wie der Krieg gegen den Terror Bürgerrechte bedroht« suggeriert, daß alles mit Bush begonnen hat. In der Geschichte der USA sind solche Phasen von Justizwillkür aber immer wieder aufgetreten.

Die USA wie andere Länder auch durchlaufen in ihrer Geschichte verschiedene Zyklen. Im Buch spreche ich auch über die Watergate-Affäre in den 70er Jahren, die McCarthy-Kommission in den 50er Jahren, die Internierung von US-Bürgern japanischer Abstammung während des Zweiten Weltkrieges, die Kommunistenverfolgung Anfang der 20er Jahre oder die Kriminalisierung der Gewerkschaftsbewegung Ende des 19. Jahrhunderts. Was wir heute haben, ist aber nicht das gleiche wie in vergangenen Zeiten - weder in der Qualität noch in der Quantität. Nach meiner Auffassung ist Geschichte zyklisch, d.h. es gibt immer wieder Perioden mit ausgedehnter Regierungsmacht, in denen wir mit blinden Augen auf die Gesetze schauen.

Kafka kommt und geht also?

(lacht) Er ist immer schlafend bei uns und wacht plötzlich auf.

Interview: Arnold Schölzel und Johannes Schulten

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2010


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