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Skepsis überwiegt

Mehrheit im US-Kongreß ist vom Syrien-Kriegskurs des Präsidenten bisher nicht überzeugt. Obama fordert unbegrenzte Angriffsvollmacht

Von Rainer Rupp *

Die Administration von US-Präsident Barack Obama steht vor der schwierigen Aufgabe, die überwiegend skeptischen Mitglieder des Kongresses zu überreden, einer militärischen Aktion gegen Syrien zuzustimmen. US-Außenminister John Kerry hat bereits am Sonntag die ersten Abgeordneten zusammengetrommelt, um sie auf seinen Kriegskurs einzuschwören. Und er machte seine Runde in allen fünf sonntäglichen, landesweit ausgestrahlten Talkshows. Nur acht Prozent der US-Amerikaner sind für einen neuen Waffengang im Nahen Osten, es gilt also eine breite Öffentlichkeit umzustimmen. Dennoch zeigte sich Kerry zuversichtlich und erklärte gegenüber dem Nachrichtensender CNN: »Wir ziehen nicht in Betracht, daß der Kongreß nicht zustimmen wird.«

Kerrys Zuversicht stammt wahrscheinlich daher, daß er sich fast ausschließlich im neokonservativen Umfeld bewegt. Morgenluft witternd sind diese Kriegstreiber in den letzten Tagen wieder zuhauf aus ihrer Deckung gekommen, in die sie nach den von ihnen mit zu verantwortenden Debakeln in Afghanistan, im Irak und in Libyen vor der Öffentlichkeit abgetaucht waren. Um Israels regionale Hegemonie für die nächsten Jahrzehnte zu sichern, trommeln sie jetzt an der Seite Kerrys für die Zerschlagung Syriens. Dagegen stieß der US-Außenminister bei seinem ersten Zusammentreffen mit Kongreßmitgliedern überwiegen auf Vorbehalte, auch wenn diese unterschiedlich motiviert sind.

Obwohl der US-Kongreß in den vergangenen beiden Jahren wiederholt martialisch klingende, von der Pro-Israel-Lobby initiierte Resolutionen gegen Syrien fast einstimmig befürwortet hat, kann sich die Obama-Administration jetzt, wo es tatsächlich um Krieg und Frieden geht, nicht einmal auf die Mehrzahl der Parlamentarier der eigenen Partei verlassen. Das machte die Demokratin Janice Hahn aus Kalifornien nach dem Treffen mit Kerry deutlich, und der demokratische Abgeordnete Jim Himes aus Connecticut faßte vor der Presse die Reaktion auf Kerrys Vorstellung wie folgt zusammen: »Der Raum war skeptisch.«

Anders als in Deutschland gibt es im US-Kongreß keinen Fraktionszwang. Zudem wird bei jeder Abstimmung das Votum jedes Abgeordneten namentlich registriert, wofür sich die einzelnen Kongreßmitglieder insbesondere bei unpopulären Entscheidungen zu Hause verantworten müssen. Wer also wiedergewählt werden will, der kann die derzeitige Grundstimmung in der US-Bevölkerung gegen den Krieg nicht ignorieren, falls diese nicht durch eine große Propaganda­kampagne noch rechtzeitig vor der Syrien-Abstimmung gekippt wird.

Laut einer am 1. September veröffentlichten Untersuchung der Washington Post über die Äußerungen der US-Politiker haben sich derzeit im Kongreß in Sachen Syrien-Krieg fünf unterschiedliche, zumeist überparteiliche Gruppierungen gebildet (siehe unten). Allerdings gibt es erst sehr wenige Abgeordnete, die sich bereits in der einen oder anderen Richtung öffentlich festgelegt haben. Der Senat beginnt noch in dieser Woche mit Anhörungen. Eine ausführliche Debatte mit Abstimmung soll nächste Woche folgen. Das Repräsentantenhaus dagegen wird erst nach dem Ende der Sommerferien am 9. September mit der Debatte beginnen. Wie die Entscheidung letztlich ausfällt, hängt davon ab, wie die Auseinandersetzungen geführt werden und welche Rolle das Weiße Haus spielen wird.

Die Tatsache, daß Kerry bereits verkündet hat, daß Obama als Präsident die Autorität habe, Syrien auch dann anzugreifen, wenn der Kongreß dagegen stimmt, war sicherlich zur Beschwichtigung der enttäuschten und auf einen schnellen Krieg drängenden Falken gedacht. Andererseits war es ein übler Affront für die Mehrheit der Kongreßmitglieder, stellt es doch die Mißachtung der gewählten Volksvertreter durch das Weiße Haus unter Beweis. Ersten Reaktionen zufolge beim Gros der Abgeordneten negativ ausgewirkt hat sich auch, daß die vom Weißen Haus zur Abstimmung vorgelegte Kriegsresolution sehr weit gefaßt und weder zeitlich noch geographisch begrenzt ist (siehe jW vom 3. September). Damit würde juristischen Experten zufolge Obama ein Freibrief für Kriege, auch für Bodeninvasionen, nicht nur gegen Syrien, sondern auch gegen Iran, Libanon und andere Länder ausgestellt werden, wovor viele Abgeordnete und insbesondere die US-Bevölkerung zurückschrecken.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. September 2013


Schneller, größer, gar nicht

Der US-Kongreß ist in der Syrien-Kriegsfrage fünffach gespalten

Von Rainer Rupp **


Laut US-Verfassung liegt die Entscheidung, ob die USA gegen ein fremdes Land Krieg führen, beim Kongreß. Diese Autorität hatte Präsident Harry S. Truman dem kriegsmüden Kongreß Anfang der 1950er Jahre entrissen, indem er ohne parlamentarische Zustimmung die USA in den Krieg gegen Korea führte. Seitdem führen US-Präsidenten ihre Kriege ohne Zustimmung des Senats und Repräsentantenhauses. Juristisch wurde das stets damit begründet, daß es sich gar nicht um Kriege handle, sondern lediglich um Militärschläge, humanitäre Hilfsaktionen … Nach gleichem Muster operiert im übrigen die deutsche Bundesregierung, die den juristischen Konsequenzen einer Kriegsführung dadurch entgeht, indem sie darauf besteht, daß in Afghanistan alles andere nur kein Krieg geführt wird.

Die Tatsache, daß Obama de facto nun die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden an den Kongreß zurückgegeben hat, ist für alle US-Falken ein Horrorszenario. Sie müssen nämlich befürchten, daß in Zukunft die schnellen Interventionsentscheidungen des auf imperiale Kriege eingestimmten Politestablishments in Washington durch parlamentarische Debatten nicht nur verlangsamt, sondern auch unwahrscheinlicher werden. Vor diesem Hintergrund hat sich in der Frage des Syrien-Kriegs der US-Kongreß in verschieden große, zumeist überparteiliche Gruppierungen aufgespalten:

Die »Der Krieg hätte längst begonnen werden müssen«-Fraktion: Diese zumeist aus strammen, einflußreichen Zionisten bestehende Gruppe besteht zur Mehrheit aus Demokraten wie Bill Nelson aus Florida. Seine Aussage vom vergangenen Samstag reflektiert die Position der Gruppe: »Wir hätten längst in Syrien zuschlagen sollen.« Obamas Entscheidung, den Kongreß abstimmen zu lassen, war demnach »ein großer Fehler«, denn damit habe »sich der Präsident von seiner Verantwortung als Oberbefehlshaber verabschiedet und die Autorität zukünftiger Präsidenten (Kriege zu führen, Anm. jW) untergraben«.

Die »Wir wollen einen großen Krieg«-Fraktion: Diese Gruppe ist viel kleiner, wird allerdings von den sehr lautstarken Senatoren John McCain und Lindsey Graham (beide Republikaner) angeführt. Sie wollen mehr als Obamas »begrenzten Krieg« und sie fordern ein robustes Vorgehen mit einer »Gesamtstrategie«, deren erklärtes Ziel der Sturz von Syriens Präsident Baschar Al-Assad sein muß.

Die »Wir wollen debattieren und zu einem Urteil kommen«-Fraktion: Dies ist die bei weitem größte Gruppe. Am besten hat der Republikaner-Abgeordnete Trey Radel die Stimmung dieser Gruppe zusammengefaßt, indem er von der Administration verlangt zu erklären, inwiefern »in Syrien die nationale Sicherheit Amerikas bedroht ist und wie verhindert werden soll, daß unsere Truppen in den Bürgerkrieg hineingezogen werden«. Außerdem müsse das Weiße Haus »seinen Plan, das Endziel und seine Exitstrategie vorlegen« und erklären, wie sich das auf die US-Interessen auswirken werde.

Die skeptische Fraktion: Sie besteht aus einer stattlichen Anzahl von Republikanern und Demokraten, deren Ansicht Senator Joe Manchin (Demokrat) am Samstag wie folgend zusammenfaßte: »Nach über einem Jahrzehnt von Kriegen im Nahen Osten, müssen überzeugende Beweise dafür vorgelegt werden, daß eine unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit des amerikanischen Volkes oder unserer Verbündeten vorliegt, bevor irgendwelche militärische Maßnahmen ergriffen werden. Ich glaube nicht, daß die aktuelle Lage diesen Anforderungen entspricht.«

Die Antikriegsfraktion: Sie besteht aus einem ungewöhnlichen Bündnis von republikanischen Tea-Party-Konservativen und demokratischen Friedenstauben, die sich noch zu gut an die Lügen im Vorfeld des Irak-Krieges 2003 erinnern. Der Abgeordnete Justin Amash (Republikaner) faßte in seiner Twitter-Nachricht die Position der Gruppe so zusammen: »Es gibt keine klare US-Interessen oder Strategie. Wir wollen keine Verstrickung in diesem Krieg.«

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. September 2013


Hintergrund: Obama als Bremsklotz?

Für die parteienübergreifende Koalition der Kriegstreiber ist der schwerfällige US-Außenminister John Kerry ein denkbar unsympathischer Sprecher. Diese Rolle würde sowohl vom Rang als auch in bezug auf die geistige Agilität weitaus besser von Präsident Barack Obama ausgefüllt. Der jedoch hat sich seit Beginn der Syrien-Krise dem Geschrei der Falken ferngehalten und es Kerry überlassen, die kriegsmüde US-Öffentlichkeit von einem neuen Waffengang im Nahen Osten zu überzeugen.

Tatsächlich ist die Sequenz der jüngsten Ereignisse äußerst kurios: Kerry vermittelt im Fernsehen der Weltöffentlichkeit glaubhaft den Eindruck, daß ein US-Angriff auf Syrien unmittelbar bevorsteht, dagegen erklärt zwei Tage später der Präsident, er habe noch keine Entscheidung getroffen. Dies treibt Kerry sofort wieder ins Rampenlicht, wo er dieses Mal eine noch robustere Aussage über die bevorstehende US-Militärintervention macht. Die Mainstreammedien als Sprachrohr der Falken wissen dann unter Berufung auf hochrangige US-Regierungsquellen zu berichten, daß der Krieg gegen Syrien nicht mehr eine Frage des »Ob«, sondern nur noch des »Wann« sei, mit Sicherheit vor dem 3. September.

Der wirkliche Schocker kam dann für die hinter Kerry stehenden Kriegsfraktion, als Obama am vergangenen Freitag nach einem 45minütigen Gespräch unter vier Augen mit dem Stabschef des Weißen Hauses, Denis McDonough, im Rosengarten des Weißen Hauses verblüffend erklärte: Ja, er habe beschlossen gegen Syrien loszuschlagen, aber er werde »zur inneren Stärkung der Nation« den Kongreß darüber abstimmen lassen.

Dieses politische Pingpong-Duell deutet auf einen heftigen Machtkampf innerhalb der Regierung in Washington hin, und nicht wenige entsetzte Falken werfen Obama bereits vor, mit diesen Schachzügen eine US-Militärintervention in Syrien, die er in den vergangenen zwei Jahren immer wieder verhindert habe, auch diesmal wieder abwenden zu wollen.

(rwr)




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