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"Angriffsziel" Deutschland

Neue Spähvorwürfe gegen US-Geheimdienst NSA / Bundesanwaltschaft ermittelt

Von Robert D. Meyer *

Über das Ausmaß der Überwachung durch den US-Gemeindienst wird immer mehr bekannt. Eine halbe Milliarde Mal im Monat soll die NSA die Kommunikationswege in Deutschland angezapft haben. Politiker fordern nun Aufklärung und Gegenmaßnahmen.

Telefonate, Mails, SMS und Chats – die Überwachung der Kommunikationswege in der Bundesrepublik durch den US-Geheimdienst soll laut eines Berichts des »Spiegel« deutlich größer sein, als bisher angenommen. Laut internen Unterlagen der NSA werde ein Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert, berichtet das Magazin.

Inzwischen interessiert sich auch die Bundesanwaltschaft für die staatliche Schnüffelei. Derzeit werden alle verfügbaren Informationen über den Fall gesammelt und ausgewertet.

In Deutschland sollen im Monat 500 Millionen Kommunikationsverbindungen durch den US-Geheimdienst überwacht werden – »mit Billigung des Weißen Hauses« soll auch die Bundesregierung gezielt ausgeforscht worden sein. Innerhalb der Europäischen Union sei die Überwachung Deutschlands so umfangreich wie in keinem anderen Land, so der »Spiegel«.

Laut einer vertraulichen Klassifizierung der NSA sei die Bundesrepublik nur ein »Partnern dritter Klasse« und werde deshalb im Gegensatz zu Staaten wie Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland vom Geheimdienst als »Angriffsziel« betrachtet. Zudem sollen in den Räumen der diplomatischen Vertretungen der EU in Washington und bei den Vereinten Nationen in New York Wanzen installiert sein und das interne Computernetzwerk überwacht werden. Die Informationen zum Ausmaß des Abhörskandals stammen laut »Spiegel« aus Unterlagen des auf der Flucht befindlichen ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. In der Politik sorgen die ständig neuen Enthüllungen für Entsetzen. »Wenn die Medienberichte zutreffen, erinnert das an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges«, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele forderte die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch das EU-Parlament, da die Bundesregierung an einer Aufklärung der Überwachung kein Interesse habe. Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte zu »Spiegel Online«, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, ginge die Überwachung über »legitime Sicherheitsinteressen weit hinaus«. Linksparteichef Bernd Riexinger forderte im »Handelsblatt« als Konsequenz aus den Enthüllungen den sofortigen Abbruch der Freihandelsgespräche zwischen der EU und den USA. »Man kann nicht auf Augenhöhe verhandeln, wenn man vom Gegenüber heimlich ausspioniert wird«, sagte Riexinger.

* Aus: neues deutschland, Montag, 1. Juli 2013


Deutschland ist Angriffsziel

Empörung über Bespitzelung durch US-Geheimdienst NSA. Ausforschung bis in die Bundesregierung **

Empört haben in Deutschland Politiker von Regierung und Opposition am Sonntag auf Berichte reagiert, wonach die Überwachung Deutschlands durch den US-Geheimdienst NSA viel umfangreicher ist als bislang angenommen. Geheime Dokumente der NSA offenbaren nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, daß der Geheimdienst systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und speichert. Monatlich würden in der Bundesrepublik rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen überwacht. Die dem Magazin vorliegenden Unterlagen bestätigten demzufolge, daß »die US-Geheimdienste mit Billigung des Weißen Hauses gezielt auch die Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin«.

Die NSA sei in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen Land der Europäischen Union, schreibt der Spiegel unter Berufung auf Dokumente, die der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mitgenommen habe. Aber auch die diplomatische Vertretung der EU in Washington sowie bei den Vereinten Nationen in New York sei mit Wanzen versehen und das interne Computernetzwerk infiltriert worden.

Aus einer vertraulichen Klassifizierung gehe hervor, daß die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, aber auch als Angriffsziel betrachte. Demnach gehöre Deutschland zu den »Partnern dritter Klasse«. Ausdrücklich ausgenommen von Spionageattacken seien nur Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland, die als zweite Kategorie geführt würden.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte bestürzt: »Es sprengt jede Vorstellung, daß unsere Freunde in den USA die Europäer als Feinde ansehen.« SPD, Grüne und Linke forderten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, in Washington auf Aufklärung zu dringen. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping verlangte, den Botschafter der USA in Berlin einzubestellen.

** Aus: junge Welt, Montag, 1. Juli 2013


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