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"Unsere Herzen bluten"

FBI sieht in Morden an Sikhs einen Akt von Inlandsterrorismus *

Die Bluttat in einem Tempel der Sikh-Gemeinde im US-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin hat für Trauer und Entsetzen gesorgt.

Das Weiße Haus verurteilte den Angriff auf den Sikh-Tempel scharf, Indiens Premier Manmohan Singh zeigte sich am Montag »zutiefst schockiert und traurig«. Knapp zwei Wochen nach dem Amoklauf von Aurora hatte ein Bewaffneter am Sonntag einen Sikh-Tempel in Oak Creek überfallen und sechs Menschen getötet, bevor er selbst erschossen wurde.

Die Motive des Angreifers waren zunächst unklar. Die US-Bundespolizei FBI erklärte, die Untersuchungen befänden sich noch in einer frühen Phase. Es könne sich um einen »Akt von Inlandsterrorismus« handeln. Ranghohe US-Vertreter, die anonym bleiben wollten, sagten, einschlägige Tattoos auf dem Körper des Schützen sowie biografische Details hätten das FBI dazu veranlasst, diese Spur zu verfolgen. Es werde aber noch mehr Zeit für Schlussfolgerungen benötigt.

Der Mann war laut Augenzeugen weiß und hatte eine Glatze. Laut Polizei erschoss er sechs Menschen im Inneren und außerhalb des Gebäudes. Laut dem Polizeichef von Oak Creek, John Edwards, verletzte der Angreifer zudem einen Polizisten mit mehreren Schüssen, bevor er von der Polizei getötet wurde. Der Beamte und zwei weitere Menschen wurden mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Der Angriff in Oak Creek in der Nähe des Lake Michigan ereignete sich am Sonntagmorgen (Ortszeit), als die Sikhs Gottesdienst feierten. Die Polizei durchsuchte anschließend das Haus des Schützen.

Wie es hieß, hat der Täter mehrere Jahre bei der US-Armee gedient. Der 40-jährige US-Bürger war ausgebildeter Fallschirmspringer und auf psychologische Kriegsführung spezialisiert, wie das Pentagon am Montag in Washington mitteilte. Demnach war Wade Michael Page von 1992 bis 1998 in der US-Armee, zuletzt am Stützpunkt Fort Bragg in North Carolina. Für seine vorbildliche Führung und seine Leistungen als Soldat sei er mit mehreren militärischen Orden ausgezeichnet worden. Die Ermittler gingen nach Behördenangaben Berichten nach, wonach der Mann ein Anhänger rassistischer Theorien wie der Überlegenheit der Weißen war. Nach Medienberichten nahm ein Tattoo auf dem Arm des Schützen Bezug auf die Terroranschläge vom 11. September 2001.

US-Präsident Barack Obama äußerte sich bestürzt über den Angriff und sprach der aus Indien stammenden Religionsgemeinschaft der Sikhs seine Solidarität aus. Indiens Premier Singh, selbst ein Sikh, erklärte in Delhi, dass eine religiöse Kultstätte angegriffen worden sei, sei »besonders schmerzhaft«. Singh appellierte an die zuständigen Behörden, alles dafür zu tun, dass sich solche »gewalttätigen Akte« nicht wiederholten. Auch andere religiöse Führer und Politiker in Indien reagierten bestürzt. Sie mutmaßten, dass eine Verwechslung mit Muslimen vorliegen könnte. Die Sikhs tragen gemäß der religiösen Vorschriften meist einen Turban und einen längeren Bart.

Manjit Singh, der Vorsitzende der Sikh-Partei, rief zu einer friedliche Versammlung vor der US-Botschaft in Delhi auf. Er forderte die US-Regierung auf, ihre Bürger besser über die verschiedenen Religionen aufzuklären. Im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir demonstrierten Anhänger der Sikhs für schärfere Waffengesetze in den USA. Die US-Botschafterin in Indien, Nancy Powell, sprach von einem »grauenhaften Gewaltakt«. Die indische Botschafterin in den USA, Nirupama Rao, verwies im Kurzbotschaftendienst Twitter auf eine »tragische Zeit« für die Sikh-Gemeinde. »Unsere Herzen bluten.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. August 2012


Heimischer Terrorismus

Von Olaf Standke *

Nach über 700 Gewalttaten gegen Sikhs in der vergangenen Dekade spricht vieles für die Vermutung eines Mitglieds der Tempelleitung im US-amerikanischen Oak Creek, dass der Amoklauf am Sonntag ein »rassistisch motiviertes Verbrechen« gewesen sei. Die Polizei jedenfalls sieht einen »Fall von heimischem Terrorismus«. Die bitteren Erfahrungen von Anhängern der einst in Nordindien entstandenen religiösen Reformbewegung in »Gottes eigenem Land« legen dabei nahe, dass der Todesschütze mit dem auffälligen Tattoo zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 seine Opfer mit strenggläubigen Muslimen verwechselt haben dürfte. Viele männliche Sikhs tragen Turban und ungestutzten Bart. Das reicht für unterbelichtete Bush-Männer allemal zum Feindbild. Für sie sind die Sikhs eben nicht Teil der großen amerikanischen Familie, wie Barack Obama jetzt geradezu beschwörend betonte.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage musste der Präsident nach einem Massaker seine tiefe Trauer und Anteilnahme erklären, nachdem vor gut zwei Wochen ein Student in einem Kino im Bundesstaat Colorado bei der Premiere zum neuen Batman-Film zwölf Menschen erschossen hatte. Und wieder wird gefragt, ob nicht endlich die Waffengesetze verschärft werden müssten. Für die Demonstranten gestern in den indischen Bundesstaaten Jammu und Kaschmir war das eine dringliche Forderung, die in den USA selbst allerdings nur schwer durchzusetzen ist. Nach dem Amoklauf von Aurora hatte sich Obama zumindest erstmals für ein Verbot halbautomatischer Waffen ausgesprochen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. August 2012 (Kommentar)


Blutbad in USA: Verwechselte Täter Sikhs mit Muslimen? ***

Erneut hat ein Blutbad in den USA weltweit Schock und Entsetzen ausgelöst. Womöglich hatte der Täter rassistische Motive, als er am Sonntag sechs Menschen in einem Sikh-Tempel im Bundesstaat Wisconsin erschoss. Die US-Behörden gehen von «heimischem Terrorismus» aus.

Der indische Premierminister Manmohan Singh verurteilte das Massaker scharf. Besonders schmerzvoll sei, dass es an einem Ort der Gottesverehrung zu der «sinnlosen Gewalttat» gekommen sei, erklärte Singh, der selber der religiösen Minderheit der Sikhs angehört, laut einer am Montag in Neu Delhi verbreiteten Mitteilung.

Die Identität des Attentäters, der offenbar von einem Polizisten erschossen wurde, soll frühestens am Montagmorgen (Ortszeit) bekanntgegeben werden, wie der US-Sender CNN unter Berufung auf Behörden berichtete. Demnach handelte es sich bei dem Mann um einen Armee-Veteran. Die Behörden stufen das Blutbad bei ihren Ermittlungen als «eine Art heimischen Terrorismus» ein, wie der zuständige Polizeichef John Edwards mitteilte.

Es kamen auch Spekulationen auf, wonach der Todesschütze seine Opfer mit Muslimen verwechselt habe. «Jeder hier glaubt, dass es sich ganz bestimmt um ein Hassverbrechen handelt», zitierte die «New York Times» einen Sikh aus der Region namens Manjit Singh. «Die Leute glauben, wir sind Muslime.» Eine Sikh-Anhängerin namens Ravi Chawla sagte dem Blatt zufolge, die meisten Menschen seien so ignorant, dass sie den Unterschied zwischen Religionen nicht kennen würden. «Nur weil sie einen Turban sehen, denken sie, man sei Taliban.»

Angehörige der Gemeinschaft hatten von wachsender Abneigung seit den Anschlägen vom 11. September 2001 berichtet. CNN zitierte einen Sikh namens Kandwardeep Singh Kaleka, der unter Berufung auf Augenzeugen berichtete, der Attentäter habe eine «9/11»-Tätowierung getragen - möglicherweise zum Gedenken an die Anschläge.

Der Mann hatte am Sonntag in dem Tempel in Oak Creek das Feuer auf Gläubige eröffnet. Er tötete sechs Menschen, bevor er dann selbst erschossen wurde. Drei Menschen wurde schwer verletzt. Lokalsendern zufolge hielten sich möglicherweise bis zu 100 Menschen in dem Gebäude auf. Die Schüsse seien während Vorbereitungen auf ein Mittagessen gefallen.

Sikhs sind Anhänger einer im 15. Jahrhundert in Nordindien entstandenen religiösen Reformbewegung. Die meisten Sikhs leben in Indien, aber auch in Großbritannien und in Nordamerika gibt es viele Anhänger. In Indien wurde am Montag in Trauergottesdiensten der Ermordeten gedacht.

Premierminister Singh kondolierte den Angehörigen der Opfer und erklärte Indiens Solidarität mit allen friedliebenden Amerikanern, die die Gewalt verurteilten. Zugleich begrüßte er die Erklärung von US-Präsident Barack Obama, der nach der Schießerei «tiefe Trauer» und Anteilnahme bekundet hatte.

Die jetzige Schießerei passierte nur etwa zwei Wochen nach dem Massaker in einem Kino in Colorado. Dort hatte ein Amokläufer bei einer «Batman»-Premiere 12 Menschen erschossen und knapp 60 verletzt. Darauf entbrannte auch wieder eine Debatte über die freizügigen Waffengesetze in den USA.

* Aus: neues deutschland, Montag, 6. August 2012


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