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Hoffnung im Tal des Todes

Wie das Land der Timbisha zu »Death Valley« wurde – und warum es nicht dabei bleiben darf: Shoshone-Frauen kämpfen um ihre Rechte, gegen Goldgier und Atommüll

Von Florence Hervé *

Barbara Durham sagt: »Wir mögen die Bezeichnung ›Death Valley‹ nicht.«

Und die 50jährige Frau mit langem schwarzen Haar, Timbisha-Indianerin aus dem Western-Shoshone-Stamm, fügt hinzu: »Für uns es das Timbisha-Tal.« Also das Tal des Lebens, das Tal ihrer Vorfahren – der Native Americans –, die es geschafft haben, unter den unwirtlichsten Wüstenbedingungen zu überleben und zu leben; genannt nach dem Shoshone-Wort für ocker – die Farbe jenes Sandes, mit dem sich die Ureinwohner vor Sonne schützen und Wunden heilen.

Die Geschäftsführerin des Tribal Office sitzt in ihrem nagelneuen Büro inmitten von Ordnern, Kabeln und Kisten. Gleich soll ein Seminar zur Einführung der Bevölkerung in die vorhandene Technologie des Community Centers nebenan stattfinden. Es gibt Verspätung, da Sand und Wind die Zufahrtsstraße nach Furnace Creek im US-Bundesstaat Kalifornien blockiert haben und der Techniker aus Lone Pipe noch nicht angekommen ist. Das Indian Village, ein paar Wohnwagen und wenige Lehmziegelhäuser, umgeben von den immergrünen Mesquite-Sträuchern auf der steinigen Erde, liegt etwas abseits vom Touristenzentrum der kleinen Wüstenortschaft, gelegen auf einer weißen Salzfläche, 60 Meter unter dem Meeresspiegelniveau.

Wenige Touristen verirren sich nach Furnace Creek, »höchstens drei oder vier pro Tag«, sagt Barbara Durham – Death Valley dagegen zieht etwa eine Million Touristen aus der ganzen Welt jährlich an. Und sie erzählt von den alten Zeiten, da ihr Stamm noch friedlich und im Einklang mit der Natur lebte. Den Zeiten, wo sich die Timbisha-Shoshones von Mesquite-Bohnen, wildem Spinat und Kohl ernährten, von Chuckwallas – eine Art Leguan, der nach Hähnchenfleisch schmeckt –, von Schlangen, Kaninchen und Wildhirschen. Die honigsüßen Schoten der Mesquite-Sträucher wurden, roh oder zu Mehl verarbeitet, zum Kuchenbacken verwendet und Diabetikern empfohlen.

Creosote bush, eine duftende gelbe Frühlingspflanze mit harzigen Blättern, wurde als Heiltee getrunken, half – unter anderem – gegen Wasserverlust. Während der Sommerhitze mit bis zu 50 Grad Celsius im Schatten gingen Barbaras Großeltern in die naheliegenden Panamint-Berge, campten nahe des Wildrose Peak, ernteten Zapfen von den Kiefern und sammelten Beeren, Kräuter und Wurzeln. Die Zapfen wurden auf glühenden Holzscheiten in einem Erdloch erhitzt, nach mehreren Stunden konnten die Pinienkerne entnommen, geschält und gegessen werden. Mit dem Wasser aus den wenigen Quellen wurde umsichtig umgegangen. »Es hat richtig Spaß gemacht, hier aufzuwachsen«, sagt Barbara.

Zabriskie Point

Pauline Esteves, die Tochter einer Timbisha und eines baskischen Maurers, eine leidenschaftliche Pflanzensammlerin, erinnert an die Gesetze ihres Stammes: Naturgesetze, wonach Land, Luft und Wasser geachtet wurden. »Das Pflanzenleben und das Wasser wurden als spirituelles und kulturelles Gut respektiert«, sagt die 84 Jahre alte Frau, die auf die Traditionen ihres Stammes sehr bedacht ist. »Trinken ist bei uns etwas Spirituelles und Heilsames«.

Dann aber kamen die Weißen, auf der Suche nach Gold, Land und Reichtum. Das war 1849. Das Durchqueren des Tals wurde zwar für so manchen von denen zu einem Alptraum, viel Vieh verreckte – doch einige Siedler und die Pacific-Borax-Company blieben, um das Mineral Borax, das weiße Gold der Wüste, zur Herstellung von Seife, Reinigungsmitteln und Kunstdünger abzubauen. Und verdrängten die Timbishas. Irgendwann, als der Bergbauboom zu Ende ging, zogen sie auch wieder weg und hinterließen Geisterstädte. Sowie Namensbezeichnungen für traditionsreiche Timbisha-Landstriche wie zum Beispiel: Arsenic Spring, Badwater, Coffin Canyon, Devils Golf Course, Hells Gate, Last Chance Range, Lostman Spring, Poison Spring, Rattlesnake Gulch, Starvation Canyon, Suicide Pass...

Danach hielten die Touristen Einzug: Das Timbisha-Tal wurde 1933 zum Death Valley National Monument in Kalifornien erklärt, viele Native Americans vertrieben und von ihren religiösen Stätten abgeschnitten – diese wichen Hotelanlagen mit Palmen, Swimmingpools und Golfplätzen. Die Timbishas blieben trotzdem in ihrem Tal, gründeten das Indian Village mit neun Lehmziegelhäusern, verdingten sich bei der Parkverwaltung oder dem Hotel- und Freizeitunternehmen Xanterra. Es waren harte Jahre während der großen Depression und des zweiten Weltkriegs. Pauline erzählt, wie sie und die anderen Frauen in Furnace Creek Inn – an dem Ort wo die Timbishas früher ihre Zeremonien abhielten – stundenlang Datteln sammelten: »Uns schmerzte der Rücken.«

Nach dem Krieg wurde das Death Valley National Monument ausgeweitet, und als die Timbishas aus ihren Sommercamps im Panamint-Gebirge zurückkehrten, waren ihre Hütten im Indian Village zerstört. Von den 300 Bewohnern zogen die meisten in die Nachbarregionen. Nur 50 harrten aus. »Meine Großmutter blieb«, erinnert sich Barbara. Das ging bis in die sechziger und siebziger Jahre – die Zeit, in der Michelangelo Antonioni sein Roadmovie »Zabriskie Point« drehte: eine Geschichte über Gewalt und Liebe, von Jugendlichen, die aus der korrupten, vietnamkriegslüsternen Konsumgesellschaft der Endsechziger in die Wüste fliehen. Zabriskie Point, nach dem Vizepräsidenten und Geschäftsführer der Pacific-Borax-Company genannt – das sind bizarre und farbige Sandsteinhügel, ein paar Kilometer vom heutigen Indian Village entfernt.

Erst 1983 wurden die Timbishas schließlich als Stamm anerkannt und durften auf einem ihnen zugewiesenen Stück Land bleiben; 1994, als Death Valley zum Nationalpark erklärt wurde, versprach man ihnen eine teilweise Landrückgabe und bestätigte ihre Rechte auf heilige Plätze. Doch bedurfte es noch mancher Auseinandersetzung und manchen Protests für Gerechtigkeit, bis zumindest ein Bruchteil der Zusagen Wirklichkeit wurde. Barbara zeigt uns ein Foto, auf dem sie und ihre Tochter Mitte der neunziger Jahre zu sehen sind, auf dem Weg durch die Wüste, um für ihre Landrechte vor der Nationalparkverwaltung zu demonstrierten. Es lohnte den Kampf. Allerdings gewährte der Timbisha Homeland Act von 2001 den American Natives in Death Valley lediglich 314 acres – etwa 1,3 Quadratkilometer, den Shoshonen insgesamt 28,3 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Death Valley ist etwa 13000 Quadratkilometer groß. Trotzdem: Indianerprojekte wurden nun durch staatliche Zuschüsse unterstützt. Eine Art Wiedergutmachung?

Es gab weitere Auseinandersetzungen um die Atomtests im Shoshone-Land und im Nachbarstaat Nevada. Das Timbisha-Tal ist umgeben von Todeszonen, von einem Militärgelände, das fast doppelt so groß ist wie Death Valley: südlich vom China Lake Naval Weapons Center und vom Fort Irwin National Training Center, nördlich der Nevada Test Site und der Nellis Air Force Bombing & Gunnery Range. Im Air Force Project von Parhump, einer etwa 50000 Einwohner zählenden Wüstenstadt zwischen Death Valley und Las Vegas, sollen demnächst Soldaten für Einsätze in Afghanistan und Irak vorbereitet werden.

Nukleares Testgelände

Im Nevada Test Site fanden bereits Hunderte von ober- und unterirdischen Atombombentests statt – mit den üblichen Krebs- und Krankheitsfolgen. Und es fanden Hunderte Aktionen dagegen statt, in denen indigene Frauen eine entscheidende Rolle spielten. So führte der Kampf gegen atomare Versuche Pauline Esteves, die »Grande Dame« der Shoshone-Bewegung, nach Europa und bis zu den Pazifischen Inseln ... und ins Gefängnis: »Wir wußten zunächst nichts von den Verstrahlungen«, sagt Pauline. Die Frauen machten sich sachkundig und führten mit anderen Kräften zusammen eine Kampagne des Ungehorsams durch. »Wir glauben an das Leben und wollen es schützen«.

Es gab Unterstützung, Solidarität und auch Erfolge – vorläufige: 1993 erhielten die Shoshone-Rancherinnen Mary und Carry Dann aus Crescent Valley/ Eureka County in Nevada den Alternativen Nobelpreis für ihren unermüdlichen Kampf um die Anerkennung der verbrieften Landrechte ihres Volkes. Die als »rauh und engstirnig« diffamierten Schwestern, die noch mit 70 Jahren ausritten, weigerten sich, Weidegebühren für Rinder und Pferde im traditionellen Shoshone-Land an den US-Staat zu zahlen. Ihr Vieh wurde konfisziert, ihre Wasserrechte aberkannt. Sie machten weiter. Über Jahrzehnte traten sie für die indigenen Landrechte und gegen Umweltzerstörungen, verursacht unter anderem durch Goldabbau und Nukleartests, im Siedlungsgebiet der Westlichen Shoshonen ein, das von ihnen »Newe Sogobia« genannt wird und knapp zwei Drittel des Staates Nevada sowie Randgebiete Idahos im Norden und Kaliforniens im Südwesten umfaßt.

Mary Dann starb 2005. Im März 2006 verurteilte der UN-Ausschuß für die Beseitigung der Rassendiskriminierung die »Vereinigten Staaten von Amerika« wegen Verletzung der Landrechte der Native Americans. Er zeigte sich außerdem besorgt über die US-Versuche, traditionelles Land zu privatisieren, um es den multinationalen Gold- und Energiekonzernen zu übertragen oder als nukleares Testgelände oder atomares Endlager zu nutzen, und forderte die US-Regierung zum Stopp solcher Privatisierungspläne auf. Die Auseinandersetzungen um die Landrechte der Sho­shones dauern an – lächerliche Entschädigungen wurden zunächst angeboten, später Zwangsentschädigungen angedroht.

Heute sind es nur noch 20 Timbishas, meist ältere Menschen, die im Indian Village in Furnace Creek/Death Valley leben. Western Shoshones sind eine »gefährdete Art«, kommentierte einer von ihnen mit Bitterkeit: »Gefährdete Tierarten erhalten mehr Schutz und Fürsorge als wir.« Um den einzigartigen »pupfish« wird derzeit in den brackigen, salzhaltigen und sandigen Bächen von Salt Creek gekämpft: ein etwa drei Zentimeter langer Fisch mit blauem Streifen. Er hat es geschafft, seit der Eiszeit hier zu leben und auch unter wärmsten Temperaturen zu überleben. Doch um ihre eigene Existenz müssen die Timbishas selbst kämpfen. Es ist kein einfaches Leben in der Wüste. Es gibt kaum Infrastrukturen: Die Schule befindet sich im Wüstendorf Shoshone, 90 Kilometer vom Indian Village entfernt, die Klinik in Las Vegas, 160 Kilometer weit weg. Um »greens«, Obst und Gemüse, zu kaufen, fährt Barbara einmal die Woche über zwei Berge hinweg nach Parhump. Dort gibt es Lebensmittelgeschäfte.

Eine – nicht konfliktlose – Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung des Nationalparks und der Timbisha-Tribe gibt es inzwischen, regelmäßige Treffen, auf denen über das fragile Ökosystem ausgetauscht wird: »Wir teilen miteinander die Werte des Umweltschutzes«, sagt Barbara, die an der University of Utah Geologie und Wildlife-Wissenschaften studiert hat.

Leben, Kultur und Gesundheit der Sho­shonen sowie ihre Landrechte werden heute aber weiterhin bedroht. Die nächsten Herausforderungen stehen vor der Tür: Es geht um die Atommüllkippe der Nation im Yucca Mountain und um den Goldabbau im Panamint-Gebirge – beides heilige Stätten der Indigenen.

»Niemals aufgeben«

Seit 1996 wird von der Briggsmine Gold in den Panamint-Bergen abgebaut. Die Preise für das Edelmetall steigen, es gibt neue Projekte zum Ausbau der Briggsmine, die Luftverschmutzung und Wasservergiftung verursachen und die Landschaft in verseuchte Halden verwandeln.

Zum anderen soll im Yucca Mountain – ein flacher Bergrücken im US-Bundesstaat Nevada, wo Erdbeben nicht selten sind – hochradioaktiver Atommüll aus den 131 Atomkraftwerken der USA ab 2010 endgelagert werden; 77000 Tonnen sollen nach dem Willen der Regierung in Washington durch das ganze Land rollen. Absehbare Klimaänderungen, mögliche Erdbeben und Vulkanausbrüche gelten als Gefahren für das Endlager. Indigenes Gebiet würde zerstört werden, das kostbare Grundwasser von Plutonium-Verseuchung bedroht.

Dagegen protestieren Barbara Durham und Pauline Esteves heute. Die Stammes­älteste Pauline beklagt dabei das Desinteresse ihrer Landsleute, der US-Amerikaner: »Diese sind von ihren Regierungen so überzeugt, sie sind zufrieden und wollen sich nicht einmischen.« Trotzdem herrscht Aufbruchstimmung im Tribal Office des Indian Village in Furnace Creek an jenem heißen Apriltag: »Wir haben nie aufgegeben, und wir werden hier weiterleben«, unterstreicht Barbara mit Bestimmtheit. Im Spätherbst 2007 wurde das Community Center eröffnet. Mit dem indianischen Toiyabe-Gesundheitszentrum wird zusammengearbeitet, das die traditionelle Art mit Technologien der westlichen Medizin verbindet. Es geht um den Erhalt von Kultur, Sprache und Tradition, auch um die Pflege von Pflanzen und Tieren.

»Wir werden demnächst ein Museum einrichten, um unsere eigene Geschichte zu erzählen und unsere traditionellen Körbe und Tonkunst zu zeigen«, so Barbara. Im offiziellen Besucherzentrum sind die Timbishas praktisch nicht vorhanden. Die Sprache gehört zur uto-aztekischen Sprachfamilie. Verwandt dem Comanche, soll sie von den Älteren, darunter Pauline Esteves, im Unterricht und in schriftlicher Buchform vermittelt werden. »Ich spreche nur englisch«, bedauert Barbara, »aber ich verstehe Shoshone«. Vielleicht wird sie es noch richtig lernen. »Und wir planen eine kleine Gaststätte«, fügt sie hinzu. Ein naturnaher Tourismus. Damit die Timbishas nicht mehr vom Nationalpark und vom Unternehmen Xanterra abhängig sind. »Ohne Land gibt es keine Identität«, sagt Barbara. »Es ist wichtig zu wissen, woher man kommt«.

Schließlich besteht die Hoffnung, daß irgendwann die verstreuten Timbishas zum Indian Village zurückkehren. Barbara ist sicher, daß ihr acht Jahre alter Enkel Gordon, der alle drei Monate zu ihr kommt und die Sanddünen und bunten Felsformationen liebt, einmal ganz hierher ziehen wird. Und vielleicht auch irgendwann ihren Kampf fortsetzt, damit »Death Valley« nicht letztlich zur Prophezeiung für die Shoshonen wird – zum Tal des Todes.

* Aus: junge Welt, 17. Mai 2008


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