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USA verlegen Kriegsflotte in den Pazifik

China warnt davor, "Wellen zu schlagen" / Festnahme eines mutmaßlichen Spions *

Mit dem Plan, einen Großteil ihrer Seestreitkräfte in den Pazifikraum zu verlegen, steuern die USA auf einen neuen Konflikt mit China zu. Zugleich wurde in China ein mutmaßlicher Spion der USA verhaftet.

USA-Verteidigungsminister Leon Panetta kündigte am Sonnabend bei einer Sicherheitskonferenz in Singapur an, bis zum Jahr 2020 rund drei Fünftel der US-Marine in der Region stationieren zu wollen. China ließ die USA über seine Medien umgehend vor einer Ausbreitung in dem Bereich warnen.

Die Stärkung der Präsenz in der Pazifikregion und eine vertiefte Kooperation mit dortigen Staaten seien Ausdruck eines »dauerhaften und durchdachten« Bestrebens, die Rolle der USA in einem für ihre Zukunft wichtigen Bereich auszubauen, sagte Panetta. Während die Marine derzeit etwa hälftig im Pazifik und im Atlantik stationiert sei, solle sich das Verhältnis bis zum Jahr 2020 auf etwa 60 zu 40 Prozent ändern.

Die Verlegung der Seestreitkräfte ist Teil einer neuen Militärstrategie, die Präsident Barack Obama im Januar vorgestellt hatte. Panetta versicherte, auch wenn die Marine verkleinert werde, solle die Zahl der Schiffe im Pazifischen Ozean letztlich steigen. Darunter sollten auch sechs Flugzeugträger sowie mehrere Zerstörer und Unterseeboote sein.

Der Pentagon-Chef beteuerte, die USA wollten China nicht herausfordern. Es gebe für beide Länder »keine andere Alternative« als eine Militärzusammenarbeit. Tatsächlich verweisen Beobachter darauf, dass Washington mit Sorge den militärischen Aufstieg Chinas verfolge, das in den vergangenen Jahren insbesondere seine Seestreitkräfte gestärkt hat. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua warnte die USA am Sonnabend, in der Region »Wellen zu schlagen«. Offiziell äußerte sie Sorge um die Fischbestände in den Gewässern.

An der Sicherheitskonferenz in Singapur nahmen Vertreter zahlreicher asiatischer Staaten teil. Japans Delegierte äußerten bei der Konferenz die Einschätzung, Chinas militärische Aufrüstung sei eine »Bedrohung« für die Region, weil sie »nicht transparent« vonstatten gehe. Australien begrüßte den Plan der USA, der »weder Instabilität noch ein Wettrüsten« zur Folge haben werde.

Parallel zu der Konferenz, an der keine hochrangige chinesische Delegation teilnahm, berichteten Medien, dass ein chinesischer Sicherheitsfunktionär als USA-Spion enttarnt und festgenommen worden sei. Über Jahre soll der Mitarbeiter des Staatssicherheitsministeriums in Peking »Topgeheimnisse« an die USA geliefert haben. Laut »New York Times« vom Sonnabend wurde der Mann bereits im Februar inhaftiert. Die Regierungen beider Staaten schwiegen zunächst über den Vorfall, eine Bestätigung gab es nicht.

Das Hongkonger Magazin »New Way« berichtete, der Agent sei ein enger Mitarbeiter eines Vizeministers für Staatssicherheit gewesen. Der Vizeminister, dessen Name das Magazin nicht nannte, sei vom Dienst suspendiert worden.

Angeblich wurde der mutmaßliche Spion während seines Studiums in den USA durch eine »Liebesfalle« vom CIA geworben. Welche Informationen er den USA tatsächlich übermittelte, ist laut »New York Times« unklar. Unter Berufung auf einen anonymen US-Regierungsvertreter hieß es, die chinesischen Behörden hätten den Mann im Zuge der Ermittlungen zur Ermordung eines britischen Geschäftsmanns festgenommen.

Chinas Staatschef Hu Jintao sei »schockiert und wütend« über den Vorfall, berichtete »New Way«. Er habe eine umfassende Untersuchung angeordnet. Sollten sich die Spionageberichte als zutreffend erweisen, wäre es der größte bekannt gewordene Spionagefall zwischen beiden Staaten seit 1985, als der chinesische Geheimdienstmitarbeiter Yu Qiangsheng zu den US-Amerikanern überlief.

* Aus: neues deutschland, Montag 4. Juni 2012


Panzer und Kaninchen

Mehr US-Kriegsschiffe in den Pazifik

Von Knut Mellenthin **


Die USA setzen die Verschiebung ihrer militärischen Kräfte nach Ostasien fort. Verteidigungsminister Leon Panetta gab am Sonnabend während einer Konferenz in Singapur bekannt, daß in den kommenden Jahren 60 Prozent der amerikanischen Marine im Pazifik und im Indischen Ozean stationiert werden sollen. Die Umschichtung werde eine längere Zeit in Anspruch nehmen und möglicherweise erst 2020 abgeschlossen sein. Schon jetzt unterhalten die USA dort ungefähr die Hälfte ihrer Flotte, darunter sechs ihrer elf Flugzeugträger. Insgesamt verfügen die Vereinigten Staaten nach eigenen Angaben über 285 Kriegsschiffe. Einige von ihnen sollen in den kommenden Jahren wegen ihres Alters aus dem Dienst genommen und aus Kostengründen zunächst nicht durch neue Schiffe ersetzt werden.

Panetta antwortete mit seiner Ankündigung auf Fragen von Konferenzteilnehmern nach den Konsequenzen der »neuen Strategie«, die Präsident Barack Obama Anfang dieses Jahres auf einer Pressekonferenz des Pentagon präsentiert hatte. Ein zentraler Punkt soll die Konzentration der Streitkräfte aller Waffengattungen auf die militärische Einkreisung Chinas bei gleichzeitigen »Einsparungen« am Rüstungshaushalt insgesamt sein. »Wir werden unsere Präsenz im asiatisch-pazifischen Raum verstärken«, sagte Obama. »Haushaltskürzungen werden nicht auf Kosten dieser kritischen Region gehen.«

Chinas Hochseemarine ist zahlenmäßig und mehr noch qualitativ unendlich viel schwächer als die der USA, die sich zudem auch noch auf das Potential ihrer Verbündeten innerhalb und außerhalb der NATO stützen kann. Der einzige Flugzeugträger der Chinesen, ein veraltetes Stück aus sowjetischen Beständen, das schon 1985 vom Stapel lief, ist höchstens ein Thema für aufgeregte Kommentare in manchen Mainstreammedien. China hat außerhalb seiner Grenzen keine Stützpunkte, und seine Kriegsschiffe würden im Fall einer militärischen Konfrontation mit den USA wahrscheinlich nicht einen einzigen ausländischen Hafen ansteuern können.

Das bevölkerungsreichste Land der Welt, Wirtschaftsmacht Nummer 2 hinter den USA, ist von der ständiger Zufuhr überseeischer Rohstoffe abhängig. Es hätte im Kriegsfall gegen eine weiträumige Blockade nicht die geringsten Abwehrmöglichkeiten.

Aber die Chinesen, sagte Panetta in Singapur, müssen sich überhaupt keine Sorgen machen: Der fortschreitende Kräfteaufbau der USA rund um ihre Land- und Seegrenzen richte sich nicht gegen China. Ebenso wie ja bekanntlich auch das geplante Raketenabwehrsystem der NATO sich nicht gegen Rußland richtet. Zu diesem Thema sagte Nikolaj Korchunow, Stellvertreter des ständigen russischen Vertreters bei der NATO, laut Welt vom 28. Mai: »Wenn mein Nachbar einen Panzer in seinen Garten stellt und auf meine Frage, was er damit wolle, antwortet: ›Der ist gegen die Kaninchen‹, dann wäre jeder irritiert.«

** Aus: junge Welt, Montag 4. Juni 2012 (Kommentar)


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