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Bissiger Türsteher am Oval Office

Der konservative Rahm Emanuel wird als Stabschef die Politik im Weißen Haus mitbestimmen

Von Doris Pumphrey *

Schon die erste Personalentscheidung Barack Obamas ist – auch in den eigenen Reihen – nicht ganz unumstritten. Der künftige Stabschef im Weißen Haus, Rahm Emanuel, gilt als kompromissloser und rüder Konservativer.

Kurz nach der Euphorie über den Ausgang der US-Präsidentenwahl reiben sich progressive USAmerikaner ungläubig die Augen. Hatten sie richtig gesehen? Ihr künftiger Präsident Barack Obama ernannte Rahm Emanuel, einen der konservativsten Abgeordneten der Demokraten im Kongress, zu seinem Stabschef, auf den wichtigsten Posten nach dem des Präsidenten. Bekannt als hitziger »Rahmbo« und rüder bissiger »Kampfhund«, verschreckte Emanuel selbst viele seiner Parteifreunde und brüskierte durch sein Auftreten vor allem afro- und hispanisch-amerikanische Abgeordnete.

Der 48-jährige Demokrat aus Chicago gehört zur Gruppe New Democrat Coalition (NDC), die sich für Interessen der Industrie einsetzt. So hat die NDC mit den republikanischen Abgeordneten dafür gesorgt, dass Präsident George W. Bush die »Trade Promotion Authority« erhielt, mit der er im Schnellverfahren Handelsabkommen durchpeitschen kann und dabei Abgeordneten das Recht zu Änderungen vorenthält.

Emanuel kommt aus einer jüdischen Familie. Sein Vater war Mitglied der Terrorgruppe Irgun, die in den 40er Jahren an der Massenvertreibung der Palästinenser mitwirkte. Rahm Emanuel selbst diente Anfang der 90er Jahre als Freiwilliger in ziviler Funktion in der israelischen Armee. Er ist Staatsbürger der USA und Israels.

Seine politische Karriere begann Emanuel als Berater und Spendensammler von Richard M. Daley, der 1989 die Oberbürgermeisterwahl in Chicago gewann. Von 1993 bis 1998 war er Chefberater von Präsident Bill Clinton und spielte eine entscheidende Rolle in der Rechtsentwicklung, die dessen Politik schließlich einschlug. Er unterstützte das von Gewerkschaften, sozialen und Umweltorganisationen heftig kritisierte Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, ein Gesetz, das die Sozialhilfe für Familien mit ihren noch von den Eltern finanziell abhängigen Kindern beendete, und die Verschärfung des Strafgesetzes.

Von 1998 bis zu seiner Wahl als Kongressabgeordneter 2002 verdiente er 16 Millionen Dollar als Investmentbanker. Als Vorsitzender des Democratic Congressional Campaign Committee förderte er seit 2004 Kandidaturen von konservativen, Pro-Kriegs- und Pro-Business-Demokraten gegen jene, die von der Anti-Kriegs- und Gewerkschaftsbewegung unterstützt wurden. Er stimmte für das Raketenabwehrsystem, gegen alle Einschränkungen des Militärbudgets für den Irak-Krieg und seine bedingungslose Weiterfinanzierung und gegen alle Versuche seiner Fraktionskollegen, einen Zeitplan für den Abzug zu verlangen. Ebenso stimmte er gegen alle Vorlagen seiner Fraktion, die die Bush-Regierung hindern sollten, einen Krieg gegen Iran zu beginnen.

Allerdings stellte er sich dann gegen Bush, als dieser die israelische Politik der gezielten Tötung und andere Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung kritisierte. Bekannt als israelischer Falke unterstützte Emanuel die israelische Invasion Libanons 2006. Hocherfreut über seine jetzige Nominierung titelte die israelische Tageszeitung »Maariv«: »Unser Mann im Weißen Haus.«

Als Stabschef des US-Präsidenten wird Rahm Emanuel nicht nur Regierungspolitik beeinflussen, er ist auch der Türsteher am Oval Office. Obama hat die für einen Politiker seltene Gabe des Zuhörens. Nun wird Emanuel darüber entscheiden, wer zum Präsidenten vordringen kann und damit wesentlich beeinflussen, wen der Präsident zu sich ruft, um Meinungen und Rat einzuholen.

Die Ernennung Emanuels zeigt, dass die progressive Basis, die Obama zum Sieg verhalf, nun viel Arbeit bekommt, um den Wandel zu erleben, den der künftige Präsident versprochen hat.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2008


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