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Am Boden, aber nicht am Ende

Die Wirtschaftsentwicklung wird das Schicksal von USA-Präsident Obamas entscheiden

Von Reiner Oschmann *

Der politische Alltag hat Barack Obama nach seiner Niederlage bei den Kongresswahlen wieder. Am Wochenende brach der USA-Präsident zu einer mehrtägigen Asienreise auf. Die Frage nicht nur in Washington ist: Wird er schon bei Halbzeit seiner ersten Amtsperiode zur sprichwörtlichen »lahmen Ente«? Die Antwort heißt uneingeschränkt Ja.

Nach der empfindlichen Niederlage seiner Demokratischen Partei bei den Zwischenwahlen ist Barack Obama, der gerupfte Hoffnungsträger des Wandels eine klassische »lame duck«: gestutzt, bedingt manövrierfähig und bedingt abwehrbereit. Ganz abgesehen davon, dass er auch vor der Wahlschlappe nie uneingeschränkt in seinen Entscheidungen war.

Wie im wahren Leben, wo lahme Enten wieder auf die Beine kommen oder untergehen können, ist Barack Obamas politische Zukunft ungewiss. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie seine Chancen auf eine zweite Amtszeit bei der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren stehen. Sicher jedoch ist: Das politische Überleben des Präsidenten hängt von vielen Faktoren ab, aber von keinem so sehr wie von der Entwicklung der US-amerikanischen Wirtschaft. Deren Rahmenbedingungen verändern sich seit mehreren Jahren beständig zugunsten aufstrebender Länder wie China oder Indien und zu Lasten der Vereinigten Staaten. Das hat zu den schweren Verlusten der Präsidentenpartei in der jetzigen Wahl beigetragen. Ebenso entscheidend wird es den Ausgang der Wahl in zwei Jahren prägen.

Es kann sein, dass sich Obama bis dahin ähnlich berappelt wie Präsident Bill Clinton nach der Niederlage der Demokraten bei der Zwischenwahl 1994, als er sich 1996 dennoch die Wiederwahl sicherte. Doch Wirtschaftslage und Wettbewerbsfähigkeit der USA sind heute ungleich schlechter als damals, so dass das Clinton-Beispiel nicht unbedingt Anhaltspunkt für Obama sein muss:

Die Arbeitslosenrate belief sich am Ende von Clintons Präsidentschaft auf 4,2 Prozent, bei Obamas Amtsantritt vor zwei Jahren auf 7,6 – und heute auf 9,6 Prozent. Noch sind die USA weltgrößte Volkswirtschaft, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis China diesen Platz einnehmen und so die gleitende globale Machtverschiebung weg von den USA erhärten wird. Ähnlich das Bild in der Handelspolitik, wo sich – zum Beispiel – China anschickt, die USA und Frankreich als bedeutendste Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland abzulösen.

Vor allem die Entwicklung des US-amerikanischen Arbeitsmarkts, wo sich die Langzeitarbeitslosigkeit strukturell verfestigt, wird den faktisch schon begonnenen Präsidentenwahlkampf bestimmen. Obama hat vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Finanz- und Immobilienkrise, ein Konjunkturprogramm von 800 Milliarden Dollar aufgelegt. Es hat einen noch stärkeren Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert, doch keinen merklichen Rückgang der Erwerbslosigkeit bewirken können.

Die Arbeitslosigkeit im Verein mit anderen Verunsicherungen – noch dieses Jahr droht einer Million Familien durch Zwangsversteigerungen der Verlust von Haus und Hof – sind reale Gefahren für die Position des Präsidenten. Und die Problemfelder sind damit nicht erschöpft: Die Kompromissbereitschaft der gestärkten Republikaner im Kongress ist eine Unbekannte, die Kriege in Irak und Afghanistan bleiben eine offene Wunde, und die jüngste Entscheidung der Bundesnotenbank, bis nächsten Juni 600 Milliarden Dollar in den Markt zu spülen, damit Staatsanleihen zu kaufen, um so die Wirtschaft und insbesondere den US-amerikanischen Export anzukurbeln, kann leicht zu Inflation und noch größerer Dollarschwäche führen.

Auch Obamas schon jetzt arg beschnittenes Vorzeigeprojekt, die Gesundheitsreform, bleibt gefährdet. Die Republikaner haben nach dem Wahlausgang parlamentarische Schritte zur Revision der Reform angekündigt. Das deckt sich mit Prognosen, die für die Zeit bis zur Präsidentenwahl 2012 in Aussicht gestellt haben, die Gesundheitsreform im Parlament und vor Gerichten komplett zu Fall zu bringen. Umfragen zeigen immer wieder, dass dies nicht im Sinne der meisten Wähler wäre. Der Ausgang auch dieses Tauziehens wird mit darüber entscheiden, ob Obama heute nur am Boden oder politisch bald am Ende ist.

* Aus: Neues Deutschland, 8. November 2010


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