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Der farbenblinde Kandidat

Barack Obama will nicht als schwarzer Präsidentschaftsbewerber agieren

Von Reiner Oschmann *

Die Demokratische Partei der USA wird Ende August auf ihrem Konvent in Denver einen historischen Kandidaten für die Präsidentenwahl im November küren: entweder die erste Frau (Hillary Clinton) oder den ersten Afroamerikaner (Barack Obama).

Hillary Clinton (60), die einstige First Lady und heutige Senatorin des Staates New York, galt zu Beginn der Vorwahlen als Favoritin. Inzwischen ist auch ein Sieg Barack Obamas (46) denkbar. Welche Faktoren haben zum schnellen, eindrucksvollen Aufstieg des jungen, halb-schwarzen, halbweißen Senators aus Illinois beigetragen? Kann 40 Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings ein Nichtweißer Präsident werden?

Barack Obama ist als Senator in erster Amtszeit neu auf der Bundesbühne. Als Sohn einer weißen Mutter aus Kansas und eines schwarzen Gaststudenten aus Kenia in Honolulu geboren, verlor er als Scheidungskind mit zwei Jahren seinen Vater, wuchs bei den Großeltern in Hawaii und Indonesien auf, studierte in New York und Harvard. Er war Sozialarbeiter, kümmerte sich um Schwarze in den Armenvierteln von Chicago, ist bekennender Liberaler. Er stimmte, anders als Clinton, gegen den Irak-Krieg, später jedoch für dessen Finanzierung.

Bereits vor Jahren hat er mit seiner Autobiografie einen Bestseller veröffentlicht, der seine heutige Begabung im Umgang mit dem Wort anklingen ließ. Der jungenhafte Senator hat im Wahlkampf die Gedanken »Hope« (Hoffnung) und »Change« (Wandel) in den Mittelpunkt gestellt und damit Siege in Iowa und South Carolina erzielt. Die Aussicht auf ein neues Gesicht mit der Möglichkeit eines anderen Kurses der Politik wurde von den Obama-Wählern höher bewertet als der Faktor Erfahrung, mit dem seine Konkurrentin antritt. So mancher Wähler setzt diesen Faktor heute mit Mitschuld an der Sinnkrise gleich, in der rund drei Viertel ihr Land wähnen -- nicht nur wegen des Irak-Krieges.

In seinen Auftritten bezieht sich der elegante, an die Wortgewalt schwarzer Prediger erinnernde Redner nur selten auf seine Hautfarbe. Seine Frau Michelle ist es, die vom »Wegschieben des Schleiers der Unmöglichkeit« spricht, »der uns und unsere Kinder unten halten will«. Obama versucht, im Geiste Martin Luther Kings ein Präsident zu werden, der nicht Klientelvertreter der Afroamerikaner in den USA sein will, sondern Rassenschranken überwindet. Er will Wunden in einem Lande heilen, das mit dem Freiheitsversprechen ausgerufen, aber dem Kainsmal der Sklaverei geboren und der Schande langer Rassendiskriminierung geführt worden ist.

Genau dieser Versöhnungsversuch, der natürlich auch Vorwürfe der Naivität, der Illusion und schwammiger Zielsetzung weckt, erhellt eine wesentliche, wenn nicht die wichtigste Ursache für Obamas bisherigen Erfolg. Mit seinem Auftreten lässt Obama weißen Wählern die Chance, vorteilhaft von sich selbst zu denken. Er wirkt auf sie nicht bedrohlich, bereitet ihnen kein Unbehagen, kommt ihnen kulturell wie einer der Ihren vor. Der Umstand, dass er zu gleichen Teilen aus Kansas wie Kenia und nicht aus einer Familie stammt, die unter der Sklaverei und späterem Rassismus litt, hilft ihnen dabei. Obama wiederum gibt durch seinen Verzicht, mit Gesten Salz in die Wunden des Rassismus zu streuen, Weißen das schmeichelhafteste Gefühl überhaupt, das diese empfinden können: keine Rassisten zu sein.

Das haben ihm bei den bisherigen Vorwahlen, neben den Afroamerikanern, die sich über seine Kandidatur zunehmend freuen und verstärkt mit Stimmen danken, viele honoriert. Siehe sein Auftaktsieg in Iowa, einem der »weißesten« Bundesstaaten überhaupt. Doch der vernünftige Versuch einer farbenblinden Kandidatur erklärt in Verbindung mit der gewinnenden und vortragsstarken Persönlichkeit nicht nur Obamas Erfolge. Er lässt auch seine wachsenden Probleme ahnen: Die farbenblinde Haltung hat ihm Zuspruch bei weißen, anfangs aber Misstrauen bei manch prominentem Schwarzenführer wie Jesse Jackson oder Al Sharpton eingetragen. Will er dies durch klarere Positionierung zugunsten afroamerikanischer Forderungen (zum Beispiel milliardenschwere Reparationen als Entschädigung für die Sklaverei) wettmachen, läuft er Gefahr, die Weißen, die sich für ihn erwärmen, zu verärgern. Obama ist insofern auch Gefangener.

Es gibt aktuelle Umfragen, wonach sich bis zu 72 Prozent der weißen US-Amerikaner vorstellen können, »einen Schwarzen als Präsident zu wählen«. Die gleichen Umfragen ergeben, dass Weiße und Schwarze (letztere stellen 13 Prozent der Bevölkerung) die gleichen sechs Sorgen teilen: wirtschaftliche Lage, Irak, Terrorismus, Gesundheitswesen, Benzinpreise und Iran. Andere Umfragen der jüngsten Tage zeigen jedoch, dass das Rassenthema mit Fortgang der Vorwahlen an Schärfe gewinnt. Vor der Wahl in South Carolina, wo 55 Prozent der Demokraten Afroamerikaner sind und Obama weit vor Clinton siegte, registrierte eine Umfrage einen Rückgang der Unterstützung weißer Wähler für Obama von 20 auf 10 Prozent binnen einer Woche.

Der erforderliche rassenübergreifende Ansatz Obamas erzeugt unweigerlich neue Polarisierung. Keiner praktiziert sie in diesen Tagen mehr als Bill Clinton. Er, der von Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison wegen seiner Unterstützung für die Bürgerrechte einst als »erster schwarzer Präsident Amerikas« gefeiert wurde, und sich momentan im Wahlkampf beteiligt, als stünde er wieder zur Wahl, setzt in subtilen Anspielungen und Unterstellungen jetzt die Rassen-Karte ein. Er suchte Obamas Erfolg in South Carolina zu verkleinern, indem er arglistig anmerkte, dass dort 1984 und 1988 auch schon ein schwarzer Kandidat (Jesse Jackson) gewonnen habe, ohne die Spur einer Chance auf den späteren Sieg der Präsidentschaft zu besitzen. Die Anspielung war so klar wie die Botschaft: Obama ist ein respektabler Kandidat, aber er bleibt ein Schwarzer, der im größeren Bundesrahmen nicht siegen kann -- anders als Clintons Ehefrau.

Interessanterweise hat dieser auch vor der Verfassung problematische Wahlkampf eines Ex- Präsidenten dazu beigetragen, dass sich einflussreiche und symbolträchtige Demokraten wie Senator Edward Kennedy diese Woche offen für Obama erklärten -- und so die Auseinandersetzung um die Nominierung noch spannender machen.

Der »Superdienstag« nächste Woche mit Vorwahlen in 22 Bundesstaaten wird neuen Aufschluss für Obamas Hoffnung auf Wandel bzw. die Befürchtung alter Vorurteile liefern. Bürgerrechtskämpfer wie Bischof Frederick C. James meinen, die USA seien noch nicht reif für einen schwarzen Präsidenten. »Die Gesetze haben sich geändert, aber die Einstellungen kaum. Wir sind immer noch ein gespaltenes Land.«

* Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2008


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