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"Eine historische Rede" - "Schaufenster für Ladenhüter" - "Ein wichtiger Impuls" - "Ein ehrliches Angebot"

Die Rede von Barack Obama in Kairo im Spiegel der deutschen und internationalen Presse

Die Rede von Barack Obama in der Universität von Kairo gehört zu den meistkommentierten Events dieser Woche. Wir haben die Rede im englischen Original und in einer vom Amerika Dienst der US-Botschaft in Berlin übersetzten deutschen Version dokumentiert: Auf dieser Seite dokumentieren wir eine Reihe von Kommentaren und Stellungnahmen. So unterschiedlich sie auch ausfallen - in einigen Punkten gibt es doch auch eine große Übereinstimmung:
  1. Es war eine "historische" Rede, in der Obama in seiner Empathie für die "islamische Welt" und deren Traditionen weit über das hinaus ging, wozu frühere amerikanische Präsidenten bereit oder überhaupt fähig waren.
  2. Obama hat beide Seiten des israelisch-palästinensischen Konflikts sowohl mit Anerkennung als auch mit Kritik bedacht. Dies war mutig, weil er damit zunächst einmal zwischen allen Stühlen zu sitzen kam.
  3. Eine Rede macht noch keine praktische Politik. Die spannende Frage der Zukunft wird also sein, welche konkreten Schritte die US-Administration in den islamisch geprägten Brennpunkten der Weltpolitik (Nahost, Iran, Irak, Afghanistan/Pakistan) einschlagen wird.
An Kommentaren haben wir Beiträge aus folgenden in- und ausländischen Zeitungen bzw. Nachrichtenagenturen ausgewählt:

Das Ende von Schwarz-Weiß

Gudrun Harrer

Es war eine große Rede. US-Präsident Barack Obama hat das Format – den Intellekt, die menschliche und politische Glaubwürdigkeit, das Auftreten –, auf das so viele frustrierte Freunde und Freundinnen der USA lange Jahre verzichten mussten. Seine Ansprache an die islamische Welt war respektvoll, aber nicht anbiedernd, deutlich, aber nicht belehrend, ausgewogen, aber nicht relativierend. Ein Ansatz durchzog sie von Beginn bis zum Schluss: Wir müssen mit dem Aufrechnen von Vergangenem aufhören, wir müssen einander besser zuhören – und zwar beide Seiten.

Wie es jedoch mit dialektischen Zugängen so ist, wird diese Rede jenen besser schmecken, die nicht „Partei“ sind. Den Israelis wird zu viel sein, was den Palästinensern zu wenig ist, und umgekehrt. Es wünschen auch bei weitem nicht alle Zuhörer, hüben und drüben nicht, dass „Völker und Nationen transzendiert“ werden. Manchen wird es ein „heiliger“ Koran zu viel und eine „Freiheit“ zu wenig gewesen sein – und das Wort „Terrorismus“ kam überhaupt nicht vor. Für die andere Seite gab es wiederum kein konkretes Eingeständnis irgendwelcher amerikanischer „Fehler“, obwohl die Erwähnung des „war of choice“ im Irak – des selbstgewählten Kriegs im Gegensatz zum aufgezwungenen Krieg in Afghanistan –, von Folter und Guantánamo klar genug war.

Dass Obama noch keinen israelisch-palästinensischen Friedensplan vorschlagen würde, war bekannt, trotzdem wird von arabischer Seite die Aufforderung von Taten, die den Worten folgen sollen, nicht ausbleiben. Inhaltlich sagte Obama zum Nahostkonflikt nichts Neues, atmosphärisch fiel jedoch die explizite Gegenüberstellung der „Rechte“ beider Völker auf. Und Obama enthielt sich nicht einer verschlüsselten Anspielung auf die momentan in Israel laufende Diskussion über inoffizielle Absprachen zwischen der früheren US-Regierung und Israel, das Westjordanland und die Siedlungen betreffend: „Wir werden öffentlich sagen, was wir privat sagen.“

Das Bekenntnis Obamas zum unzerbrechlichen Bund mit Israel war bedingungslos, seine Verurteilung der Holocaust-Relativierung unzweideutig. Es ist zu hoffen, dass dies in der Region mit der gleichen Ernsthaftigkeit aufgenommen wird wie der Rest der Rede. Die islamische Welt sollte nicht mehr mit dem unerträglichen Schwarz-Weiß-Blick gesehen werden – und sie sollte sich selbst von diesem Blick auf andere befreien.

Und nicht ohne Grund kam der meiste Applaus, als Obama über die Demokratie sprach und darüber, was die Regierten von den Regierenden verlangen dürfen. Die Forderung ist nicht neu, aber sie war, von einem US-Präsidenten kommend, jahrelang delegitimiert. In diesem Sinn ist Obama selbst Teil seiner Botschaft: Allein dass er gewählt werden konnte, hat den Menschen im Nahen und Mittleren Osten drastisch den Unterschied zwischen den Systemen vor Augen geführt. Die Wortmeldung Osama Bin Ladens während der Rede kam da ganz recht: Er stellt die muslimische Zuhörerschaft Obamas vor die Alternative „Er oder ich“. Und bei dieser Wahl ist Obama klarer Favorit.

DER STANDARD, Printausgabe, 5. Juni 2009


Im Wort

Von Olaf Standke

Ursprünglich wollte sich Barack Obama schon in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit in einer Rede an die muslimische Welt wenden. Um so fulminanter nun sein Auftritt in Kairo. Solche Begeisterungsstürme für einen US-Präsidenten gab es in einem islamischen Land noch nie. Nicht nur, weil er klangvollendet aus dem Koran zu zitieren vermag, sondern vor allem, weil er glaubhaft für einen politischen Neuanfang plädiert. Hier das Imperium des großen Satans, dort das Reich skrupelloser Terroristen – glaubt man Obama, soll mit dieser Konfrontationsideologie Schluss sein. Partnerschaft heißt sein Angebot. Das findet bei vielen Muslimen Zustimmung, auch wenn Washingtons Ruf als ehrlicher Makler nicht erst durch Bush ruiniert wurde.

Der schwierigere Teil der Annäherung beginnt, wenn das positive Echo auf Obamas Rede verklungen ist und konkrete praktische Schritte gefragt sind, um die neuen Erwartungen zu erfüllen. Zumal Osama bin Ladens Störfeuer nicht auf sich warten ließ. Krieg gegen die Ungläubigen, nicht Partnerschaft, bleibt seine Losung. Doch Fundamentalisten gibt es auf beiden Seiten. Auch in Afghanistan sind schnelle politische Lösungen notwendig. Und dem Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt müssen substanzielle Verhandlungen folgen, was angesichts des abzusehenden Widerstands Israels und seiner expansiven Siedlungspolitik schwer genug wird. Doch Obama steht nun im Wort.

Neues Deutschland, 5. Juni 2009


Eine Rede allein genügt nicht

Von Andreas Rüesch (Auszug)

(...) Die Kairoer Rede ist Teil einer Öffentlichkeitskampagne, die der Präsident gleich nach seiner Amtsübernahme lanciert hat. Sein erstes Interview, mit dem Sender al-Arabiya, der Neujahrsgruss ans iranische Volk, die Ansprache vor dem türkischen Parlament und nun der Auftritt am Nil dienten alle demselben Ziel - der Zuhörerschaft zu versichern, dass Amerika die Welt des Islams nicht als Feind betrachtet, sondern ihr mit Respekt begegnet. Völlig neuartig ist das nicht. Schon Bush hat islamische Würdenträger ins Weisse Haus eingeladen, die arabische Hochkultur gewürdigt, den Koran zitiert, Communiqués an die Iraner verschickt und eine Regierungsabteilung geschaffen, die nichts anderes tat, als im Ausland für ein besseres Image Amerikas zu werben.

(...)

Aber Reden genügen nicht, selbst wenn sie noch so brillant formuliert sind. Das Publikum von Nordafrika bis Südostasien ist skeptisch und wird Obama an konkreten Taten messen. Wer das Glas halb voll sieht, wird darauf verweisen, dass Amerika unter seinem neuen Präsidenten den Abzug aus dem Irak angekündigt hat, einen humaneren Umgang mit muslimischen Terrorverdächtigen gelobt und im Palästinakonflikt von der bedingungslosen Unterstützung Israels abgekommen ist. Wer das Glas hingegen halb leer sieht, und das dürften in der islamischen Welt viele sein, wird auf Kontinuitäten zeigen: Amerikanische Raketen fallen weiterhin auf pakistanische Dörfer und verursachen Opfer unter der Zivilbevölkerung, die Schliessung Guantánamos ist erst eine Absichtserklärung, im Westjordanland wachsen die Siedlungen weiter, und im Irak führt Obama letztlich Bushs Kurs weiter, der sich am Ende seiner Präsidentschaft zu einem Abzug vertraglich verpflichtet hatte. Interessengegensätze

Obama kann nicht unbegrenzt um die Gunst der Skeptiker und unversöhnlichen Amerika-Hasser buhlen, sondern wird sich am Interesse seines Landes orientieren. Dabei wird er die Grundzüge der amerikanischen Aussenpolitik der letzten Jahrzehnte nicht auf den Kopf stellen, auch wenn dies unweigerlich Reibungen mit der muslimischen Welt erzeugen wird. In einem Schlüsselsatz rief er in Kairo zu einem Neuanfang zwischen den USA und den Muslimen auf - «auf der Basis von gemeinsamem Interesse und gegenseitigem Respekt». Das lässt für die Zukunft einiges offen: Wie werden die USA dort handeln, wo es kein gemeinsames Interesse gibt - etwa gegenüber Iran, das ungeachtet aller Aufrufe zum Dialog den Weg zur Atommacht fortsetzt? Auf wessen Seite wird Washington notfalls stehen - auf jener von notorischen Autokraten wie Mubarak, seinem Gastgeber, oder auf der Seite von arabischen Demokraten? Obama muss hier noch einige wichtige Weichen stellen, denn die Wirkung schöner Worte ist begrenzt.

Neue Zürcher Zeitung, 5. Juni 2009


Voller Respekt

Martin Gehlen (Auszug)

(...) Folgenlose Selbstkritik oder eine weitere Runde freundlicher Respektsbekundungen – damit konnte es Obama darum in seiner Kairoer Rede nicht bewenden lassen. Denn die Menschen warten auf Taten – auf einen substantiellen Kurswechsel in der amerikanischen Nahostpolitik. Dazu bot ihnen der US-Präsident eine erste konkrete Skizze für die nächsten vier Jahre. Die westliche Führungsmacht will künftig pragmatischer und partnerschaftlicher agieren: Die als neokoloniale Provokation empfundene Präsenz amerikanischer Truppen im Irak soll möglichst rasch beendet werden, ohne ein unregierbares Land zurückzulassen. Im israelisch-palästinensischen Konflikt will man beide Seiten nicht länger mit zweierlei Maß messen. Auf den Iran möchte Washington zugehen und die Dämonisierung der Islamischen Republik ad acta legen.

Doch damit nicht genug: Auch von den verbündeten arabischen Regimes fordert Obama mehr Öffnung und Liberalisierung, mit unbeirrtem Nachdruck und doch ohne den herrischen Ton seines Vorgängers. Denn der US-Präsident muss aufpassen, nicht zu stark mit den arabischen Autokraten identifiziert zu werden und über die Köpfe der Völker hinweg zu reden. Weder der saudische König Abdullah, noch der ägyptische Pharao des 21. Jahrhunderts, Hosni Mubarak, sind Männer, mit denen sich eine Zukunft bauen lässt. Entsprechend sehen viele Bürger muslimischer Staaten die USA nicht als Bannerträger von Demokratie und Freiheit, sondern als Schutzmacht ihrer unpopulären Herrschercliquen.

Obama hat in Kairo eine nuancierte und kräftige Rede gehalten. Er hat in überzeugender Weise die Hand ausgestreckt. Die Erwartungen waren hoch, nicht zuletzt wegen seiner persönlichen Abstammung, seiner Biographie und seiner politischen Versprechen. Zwar lassen sich die komplexen Probleme im Verhältnis zwischen den USA und der muslimischen Welt nicht von heute auf morgen bereinigen. Aber der Auftritt in Kairo hat einen wichtigen Impuls gesetzt. Wie weit dieser trägt angesichts der harten Realität amerikanischer Interessenpolitik, des zu erwartenden israelischen Drucks, der unentwirrbaren palästinensischen Spaltung und der dschihadistischen Unerbittlichkeit, das kann heute niemand sagen.

Tagesspiegel, 5. Juni 2009


Ein ehrliches Angebot

Martina Doering (Auszug)

Der Zeitpunkt für diese Rede über einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen den USA und der muslimischen Welt ist nicht zufällig gewählt. Im Libanon wird am Sonntag gewählt und im Iran am kommenden Freitag. Vor allem aber haben Obama und seine Berater erkannt, dass die Region stabilisiert werden muss, weil sie geopolitisch, strategisch und wegen der dort lagernden Rohstoffe für die USA von nationalem Interesse ist. Stabilisierung erreicht man nicht durch Kriege, sondern nur durch Förderung einer Demokratisierung, die von der Bevölkerung ausgehen muss. Im Zentrum all der regionalen Konflikte aber kreist das israelisch-palästinensische Problem. Seine Lösung ist der erste, entscheidende Schritt auf dem Weg, den Obama gehen will.

Obamas Rede war ehrlich, engagiert und ausgewogen - aber im Grunde sehr vage. Was er verkündete, ist ein Programm, aber noch keine Strategie. Entscheidende Fragen bleiben offen: Wie gehen die USA künftig mit islamischen Volksbewegungen um? Werden sie ihre Hilfe für die arabischen Autokraten einschränken und die Zivilgesellschaft stärker unterstützen? Wie reagieren sie, wenn radikale Palästinenser weiter Raketen abfeuern, Israel weiter Siedlungen baut oder sogar Iran angreift? Und werden die Muslime weltweit die ausgestreckte Hand ergreifen - oder haben sie beim Verweis auf die 3 000 Opfer der Terroranschläge in den USA an die Toten des israelischen Gaza-Krieges gedacht und deren Erwähnung vermisst? Vor allem aber: Werden ihm die Amerikaner folgen? Klischees sind hartnäckig, das Misstrauen ist tief verwurzelt. Nicht nur in der muslimischen Welt.

Obama sprach auch über die fehlende demokratische Legitimation der Herrscher in der arabischen Welt: Ein Ägypter wäre für solche Worte in einem von Mubaraks Kerkern gelandet.

Berliner Zeitung, 5. Juni 2009


Auf Augenhöhe mit arabischer Welt

KOMMENTAR VON KARIM EL-GAWHARY

Es war eine Grundsatzrede mit völlig neuen Tönen. Der US-Präsident Barack Hussein Obama hat mit seiner Ansprache das Ende der amerikanischen Arroganz gegenüber der islamischen und arabischen Welt eingeläutet. Auf Augenhöhe ist er seinem Publikum in der Kairoer Universität begegnet.

Statt wie George W. Bush aus der Bibel hat Obama ausgiebig aus dem Koran rezitiert und die vielen Errungenschaften der islamischen Geschichte angepriesen. Das arabische Publikum dankte für diese Anerkennung mit Standing Ovations. Dafür, dass er am Ende seiner Rede, unter den Traditionalisten in der islamischen Welt durchaus umstritten, auch noch Religionsfreiheit, Menschenrechte und die Gleichheit von Mann und Frau ansprach, erntete der Präsident höfliches Nicken.

Wer allerdings von Obama ein neues politisches Projekt für die Region erwartet hatte und einen detaillierten Plan, wie es denn nun konkret weitergehen soll, der wurde vorerst enttäuscht. Den Einsatz der US-Truppen in Afghanistan hat der oberste Befehlshaber in Washington gewandt verteidigt. Seinen schon seit Langem angekündigten Rückzug aus dem Irak hat er erneut verkündet. Das Problem Iran hat er elegant umschifft, indem er von seiner Vision einer atomwaffenfreie Welt sprach, aber immerhin allen Ländern, also auch dem Iran, das Recht auf friedliche Nutzung von Atomenergie zusprach.

Und auch in Sachen Nahostkonflikt ist Präsident Obama nicht über seine bereits bekannten Positionen - Zweistaatenlösung und Forderung nach Beendigung des israelischen Siedlungsbaus - hinausgegangen. Wie er diese Forderungen gegen einen widerspenstigen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu durchsetzen will, darüber verlor Obama auch diesmal kein Wort. Es sei noch früh in der Kommunikation, hatte er dazu im Vorfeld seiner Reise geheimnisvoll verlauten lassen.

Mit einer Antwort auf diese Fragen kann Obama allerdings nicht mehr lange hinter dem Berg halten, will er die neu gewonnenen Sympathien in der islamischen Welt nicht schnell wieder verspielen. Heute hat Obama von einem neuen Kapitel im Verhältnis zu der islamischen und der arabischen Welt geredet - und diese hat begeistert geklatscht. Aber schon morgen werden die Gleichen, die ihm heute Beifall zollen, Obama an seinen Taten messen.

taz, 5. Juni 2009


Obamas Rede an islamische Welt: Neues Schaufenster für Ladenhüter

Dmitri Babitsch, RIA Novosti

Barack Obamas Rede in Kairo hat es erneut bestätigt: Er ist ein wirklicher Pop-Star.

Im Grunde enthielt die vor den Millionen Fernsehzuschauern in den islamischen Staaten gehaltene Rede nichts, was auf einen Kurswechsel in der US-Politik im Nahen Osten und in Afghanistan hinweisen würde.

Doch das Schaufenster, in dem Obama diese etwas abgegriffene Ware ausbreitete, die renommierte Universität von Kairo, war ein echter Marketing-Erfolg.

Der US-Präsident drohte Israel mit dem Finger, weil dieses seine Siedlungen im Westjordanland weiter baut. Aber auch alle vorherigen US-Administrationen, angefangen mit der von Bill Clinton, nahmen die gleiche Position ein.

Er versprach, die US-Truppen bis 2012 und die Kampfeinheiten bereits bis August 2010 aus dem Irak abzuziehen. Seine Worte, die USA hätten "weder auf die Stützpunkte im Irak noch auf seinen Boden und seine Ressourcen" Anspruch, wird man ihm im Irak und den anderen islamischen Staaten einfach nicht abnehmen.

Für alle sichtbar gibt es US-Basen im Kosovo, in Saudi-Arabien und Afghanistan, in den ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien. All diese Beispiele illustrieren das alte Prinzip: Es gibt weltweit nichts Beständigeres als eine provisorische US-Militärbasis.

Doch besitzt Obama eine seltene Eigenschaft: Man will ihm glauben. Als Obama sprach, waren die Straßen in Kairo mit seinen 20 Millionen Einwohnern wie leergefegt. Die Zuhörer waren skeptisch und äußerst interessiert zugleich.

Hat er enttäuscht? Denn auch von der Palästinenser-Frage sprach Obama in seiner gewohnten Art. Es gab viele schöne Worte, schon allein das Wort Palästina war viel wert (bisher sprachen die US-Präsidenten lieber von einer "palästinensischen Autonomie" oder einem "künftigen palästinensischen Staat").

Bekanntlich gehört aber die wirkliche Macht im Gaza-Streifen den Führern der radikalen islamischen Hamas. Die israelische Regierung versucht mal durch eine Blockade, mal durch Bombenangriffe, die Palästinenser zur Reue zu bringen, dass sie 2007 die "demokratische Option" vorzogen, die der Hamas die Stimmenmehrheit brachte.

Obama aber beschränkt sich bisher auf symbolische Erklärungen: Er tadelt die Radikalen auf beiden Seiten und fordert die Hamas auf, "auf Gewalt zu verzichten, die früheren Abkommen anzuerkennen und das Existenzrecht Israels anzuerkennen".

Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Hamas auf der Grundlage der Ideen des bewaffneten Kampfes, des Verzichts auf die Friedensabkommen von 1993 in Oslo und der Nichtanerkennung Israels entstand. Diese drei Stützen aufzugeben wäre für die Hamas das Gleiche, wie wenn die russischen Bolschewiki in den 20er Jahren auf ihren Traum vom Kommunismus verzichtet hätten.

Darüber hinaus gibt es in den USA noch die öffentliche Meinung. Bislang gelingt es Obama, sie auf seiner Seite zu halten: Die Amerikaner sind der Bush-Administration mit seinen zwei Kriegen in Irak und Afghanistan müde. Doch auch in den USA werden unzufriedene Stimmen immer lauter.

Die Israel unterstützenden christlichen Fundamentalisten und einige Konservative aus der jüdischen Diaspora werfen Obama Schwäche vor und vergleichen die Grenze Israels ohne die Siedlungen mit der von Auschwitz.

Um diese Stimmen zu dämpfen, braucht Obama wie bislang nie Ergebnisse: wenigstens eine kleine Verbesserung der Situation in Irak oder Afghanistan, ein Vorankommen im Streit um das iranische Nuklearprogramm.

Einer der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme liegt in Russland, das im Umgang mit den drei problematischen islamischen Staaten viele Erfahrungen hat. In Obamas nächster Rede an die islamische Welt wird sicherlich auch unser Land erwähnt werden.

RIA Novosti, 5. Juni 2009


Barack Obama in Cairo: the speech no other president could make

Jonathan Freedland (EXCERPT)

(...) He showed understanding, if not always acceptance, of what one might call the Arab and Muslim narrative. So he spoke of past "colonialism", a word shocking to hear from a US president. He admitted the cold-war use of Muslim nations as "proxies", and confessed to US involvement in the toppling of Iran's elected prime minister in 1953. One analyst noted references to "dignity" and "justice" and against "humiliation", words that resonate in Muslim discourse. Obama's aim was to break through the suspicion and cynicism that have accreted over decades and show that America is under truly new management. So he did not defend the invasion of Iraq, but called it a "war of choice".

Nowhere was the effort to acknowledge the Arab and Muslim narrative more dramatic than in the long passage on Israel-Palestine. There had, reportedly, been a debate among Obama aides over whether he should use the charged word "occupation" to describe Israel's hold of the territories it gained in 1967. Obama used it – and spoke of "Palestine", not a "future Palestinian state."

More striking, he did not confine his recognition of Palestinian suffering to the situation since 1967. "For more than 60 years, they have endured the pain of dislocation," he said, surely coming closer than any previous US president to acknowledging what Palestinians call the nakba – catastrophe – of 1948. And he repeated his demand for Israeli ­settlement activity to stop.

But make no mistake: this was no exercise in pandering to the Muslim world. He passionately defended Jews' right to a homeland, before condemning Muslim antisemitism and Holocaust denial as "baseless … ignorant …hateful". He recognised that Hamas has genuine support among Palestinians, but excoriated the group's methods: "It is a sign neither of courage nor power to shoot rockets at sleeping children, or to blow up old women on a bus," he said. "That's not how moral authority is claimed; that's how it is surrendered."

He invoked the struggles for civil rights in the US, against apartheid and slavery, urging Hamas to follow the path of non-violent resistance. From any of his predecessors, that would have rung hollow. From the first African-American president, it carried great weight.

Obama navigated perilous terrain. He urged the Muslim and Arab world to embrace democracy, women's rights and economic development – difficult to do from the capital of a sclerotic regime. And when he called on the Muslim world to respect women's rights, he stressed his respect for the hijab and his opposition to westerners "dictating what clothes a Muslim woman should wear".

Whether this sensitive, supple and sophisticated speech will be remembered will depend on whether the rhetoric of respect is matched by a change in action. And that, as Obama admitted, is more than the work of one day.

The Guardian, 5. Juni 2009 (Auszug)


Weitere Pressestimmen aus dem Ausland

((Israel, Saudi-Arabien, Spanien, USA, Norwegen, Schweiz, Türkei, Polen, Italien, China und noch einmal USA)

Das israelische Blatt HA'ARETZ nennt sie den Beginn für ein neues Zeitalter und zählt auf:

"Ein US-Präsident, der über Verhandlungen mit dem Iran ohne Vorbedingungen oder unterschwellige Drohungen spricht, der sogar bereit ist, zivile Kernenergie-Nutzung im Iran zu akzeptieren. Ein Präsident, der die Hamas als legitime Organisation bezeichnet, die zwar Teile der palästinensischen Gesellschaft repräsentiert, aber die Gewalt aufgeben muss; der mit Mitgefühl über das Leid der Palästinenser sprach; der - man mag es glauben oder nicht - Sicherheit für Israelis und Palästinenser forderte; der die israelische Siedungspolitik illegal nannte; der zur nuklearen Abrüstung in der ganzen Region aufrief. All das sind sensationelle Botschaften", meint die HA'ARETZ aus Tel Aviv.

Die saudi-arabische Zeitung ARAB NEWS lobt:

"Obama hat seine Aufgabe auf brillante Weise erledigt. Wenn Rhetorik allein Gerechtigkeit für die Palästinenser herstellen könnte, wären sie heute frei. Stattdessen stehen lange, harte Verhandlungen bevor, geprägt von Misstrauen sowie von regionalpolitischen und persönlichen Risiken. Obamas Kompetenz und Aufrichtigkeit werden dabei stark auf die Probe gestellt", prophezeihen die ARAB NEWS aus Dschidda.

Die spanische Zeitung DIARIO SUR bezeichnet den Auftritt des US-Präsidenten als erstes Puzzle-Teil bei der Suche nach einer Lösung des Nahost-Konflikts.

"Ein Dialog mit der muslimischen Welt kann dazu beitragen, Ängste und Wut auf beiden Seiten abzubauen. Obama legte jedoch auch Unnachgiebigkeit gegenüber dem Terror an den Tag, und er forderte Israelis wie Palästinenser auf, den Realitäten ins Auge zu sehen: Damit es hier einen Frieden geben kann, müssen die Beteiligten überhaupt erst dessen Notwendigkeit verinnerlichen", konstatiert DIARIO SUR aus Málaga.

Der SAN FRANCISCO CHRONICLE räumt ein:

"Kritiker werden die Rede wahrscheinlich als zu vorsichtig und optimistisch bemängeln, zugeschnitten auf träumerische Rufe nach Veränderung. Zum Beispiel vermied Obama den Begriff Terrorismus. Aber er hat seine Überzeugung klar gemacht, dass sich Washington wieder mit der muslimischen Welt verbinden muss, die noch misstrauisch ist. Sein Versprechen einer neuen Offenheit birgt jedoch Risiken für beide Seiten", gibt der SAN FRANCISCO CHRONICLE zu bedenken.

Die norwegische Zeitung DAGSAVISEN vergleicht:

"Während Bush sein großes Demokratisierungsprojekt für den Mittleren Osten hatte, setzt Obama auf sein großes Friedensprojekt. Er will das schaffen, was keiner vor ihm geschafft hat: Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt zu stiften. Gelingt eine Aussöhnung zwischen Israel und seinen Nachbarn, könnte dies ein großes Frustpotenzial bei Muslimen beseitigen – und auch die Wut auf die USA verringern. Um aber einen Frieden zu erreichen, muss Obama auf die Politiker der Region zugehen. Allerdings kommt viel Enttäuschung auch daher, dass Washington die Führer unterstützt, die Menschen unterdrücken, darunter Ägyptens Präsident Mubarak", bedauert DAGSAVISEN aus Oslo.

DER BUND aus Bern hält fest:

"Der Applaus, der Obama in der Universität Kairo mehrmals entgegenbrandete, war der Applaus einer Elite - nicht der aller 1,2 Milliarden Muslime auf dieser Welt. Das Misstrauen gegen die USA, die aus wirtschaftlichen und strategischen Überlegungen diktatorische, korrupte Regierungen unterstützen oder gar als Freunde behandeln - Saudi-Arabien und Ägypten, die beiden Stationen auf Obamas Reise im Nahen Osten, sind nur zwei davon -, besteht weiter", resümiert die Zeitung DER BUND aus der Schweiz.

Die türkische Zeitung VATAN zieht den Schluss:

"Dass Obama in Kairo keine neuen Pläne präsentierte, macht seine historische Rede an die islamische Welt nicht weniger wichtig. Denn er repräsentiert damit einen Wechsel, er zeigt klar, wer für die USA Ansprechpartner sind. Sogar die Hamas lobte seine Rede, wenn auch mit Einschränkungen. Das sind wichtige erste positive Signale. Sie könnten dazu dienen, den islamischen Terrorismus zu isolieren", hofft die Zeitung VATAN aus Istanbul.

Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA lobt:

"Weder Bill Clinton noch George Bush wären in der Lage gewesen, eine derartige Rede zu halten. Obama zeigt, dass er sich wirklich bemüht, ein Führer für die ganze Welt zu sein. Doch selbst ein so guter Redner wie Barack Obama muss einsehen, dass auch die beste Ansprache nicht in der Lage ist, die fatalen Beziehungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt auf einen Schlag zu verbessern. Solange in Afghanistan Zivilisten durch amerikanische Bomben sterben und das Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba existiert, werden die Muslime misstrauisch auf das amerikanische Imperium blicken", mahnt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.

Der Mailänder CORRIERE DELLA SERA hält Obamas Rede für zeitgemäß.

"Für den eigentlichen Knackpunkt, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, hat er klare und starke Worte gewählt. Er legt keinen Plan vor, bestätigt jedoch die Richtschnur der zwei Staaten, die in Frieden Seite an Seite bestehen sollen. Amerikas Beziehung zu dem jüdischen Staat ist 'indiskutabel', aber für Israel kein Blankoscheck mehr. Dafür muss die Hamas die Gewalt stoppen und das Existenzrecht Israels anerkennen, wenn sie Teil der Gleichung sein will." Diesen Schluss zieht der CORRIERE DELLA SERA aus Italien.

Der US-Präsident habe einen neuen Ton angeschlagen, stellt die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO heraus.

"Anders als sein Vorgänger Bush, der die muslimischen Länder lediglich als Zentrum des Terrors und der atomaren Bedrohung angesehen hat, setzt Obama eindeutig auf Dialog und Entspannung. Zwar hat er seine Ansichten zu den wichtigen Fragen erläutert - also zu Afghanistan und Irak, zur iranischen Atomfrage sowie zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Konkrete Neuigkeiten ließen sich jedoch nicht finden", urteilt JIEFANG RIBAO aus Shanghai.

Die NEW YORK TIMES bilanziert:

"Vor der gestrigen Rede und danach haben sich Obamas Kritiker darüber beschwert, dass er sich zu oft entschuldige und damit das Land schwäche. Das ist eine grobe Missdeutung seiner Äußerungen und dessen, was gesagt werden muss. Nach acht Jahren Arroganz und Schikane, die sogar enge Verbündete gegen die USA aufgebracht haben, braucht es einen starken Präsidenten, der die Fehler der Vergangenheit einräumt. Und es braucht einen starken Präsidenten, der sich und die Welt dazu bringt, besser zu handeln", appelliert die NEW YORK TIMES, mit der die internationale Presseschau endet.

Quelle: Auszüge aus der Presseschau des Deutschlandfunks, 5. Juni 2009; www.dradio.de/presseschau/




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