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Obama will atomare Arsenale abbauen

Vorschlag bei Berlin-Besuch stößt in Moskau auf Skepsis *

USA-Präsident Barack Obama hat am Mittwoch in seiner Rede vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine neue Abrüstungsinitiative verkündet und stellte den Abbau der strategischen Atomwaffen seines Landes um bis zu einem Drittel in Aussicht. Zugleich wolle man mit den NATO-Verbündeten daran arbeiten, auch bei den taktischen Atomwaffen der USA und Russlands Reduzierungen zu erreichen. 2016 soll in den Vereinigten Staaten zudem ein Nuklearsicherheitsgipfel stattfinden, um Gefahren durch Spaltmaterial in der ganzen Welt zu bannen. In Moskau stoßen die Ankündigungen mit Hinweis auf einseitige Vorteile der USA auf Skepsis. Der zeitgleiche Aufbau einer Raketenabwehr würde Russlands strategisches Potenzial schwächen.

Zuvor hatte Obama nach Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel das US-amerikanische Spähprogramm »Prism« gegen internationale Kritik verteidigt. Mindestens 50 mögliche Anschläge seien so vereitelt worden – nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Obama versicherte, dass etwa der E-Mail-Verkehr »normaler Bürger« gar nicht überprüft werde. Es gehe um die Verbindungen, die Terroristen hätten. Zugleich erklärte der Präsident, dass Deutschland nicht Ausgangspunkt für Drohnenangriffe der USA in Afrika sei.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International demonstrierte am Rande des Besuchs gegen Guantanamo und mahnte das Aus des Gefangenenlagers an. »Ich möchte weiterhin Guantanamo schließen, es ist jedoch schwerer gewesen, als ich hoffte«, so Obama auf der Pressekonferenz mit Merkel. Auch Friedensgruppen protestierten gegen die Kriegspolitik der USA. Aus Sorge vor einem Anschlag waren in Berlin bis zu 8000 Polizisten im Einsatz, es galt die höchste Sicherheitsstufe 1+. Viele Straßen waren gesperrt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013


Der Ankündigungspräsident

Barack Obama hat wichtige Themen, aber wenig politische Durchsetzungskraft

Von Reiner Oschmann **


Von der Siegessäule bis zum Brandenburger Tor, nur wenige Meter, kann in fünf Jahren viel passieren. Auch Barack Obama spürt das. 2008 im Juli: 200 000 Menschen hören die 26-minütige, ohne Übersetzung vorgetragene Rede. Sie erleben einen Anwärter aufs Weiße Haus, der die Welt im Blick hat und nicht nur durch die Washingtoner Brille sieht. Genau darauf hatten die vielfach jungen, hörbar sensibilisierten und erkennbar problembewussten Zuhörer gewartet.

Und heute? Obama ist zum 50. Jahrestag von Kennedys berühmter Rede in Berlin, wieder Hauptstadt des geeinten Landes. Der 44. Präsident, knapp 52, ist der erste Afroamerikaner in diesem Amt, und wieder einmal wird er seinem Ruf als begabter Redner gerecht. Und er beweist Gespür für große, drängende Themen – Atomabrüstung und Klimawandel, Terrorismus und soziale Gerechtigkeit. Doch wieder einmal nährt Obama auch den Eindruck, Weltmeister politischer Ankündigungen und schwach bei ihrer Umsetzung zu sein. Seine Gestaltungsmacht wird vom schwindenden Spielraum der USA, aber auch durch ungekannte politische Polarisierung im Lande selbst beschnitten. Es hat seine die Balance sichernde Mitte verloren.

Der Präsident bleibt in der Tradition amerikanischer Staatschefs am Brandenburger Tor und hat eine Botschaft an Moskaus Adresse: Er wolle, sagt er, Russland eine beidseitige Reduzierung der strategischen Atomsprengköpfe vorschlagen. Dies sei eines der Gebote, um weltweit »Frieden mit Gerechtigkeit« zu schaffen – das Motto, das der Präsident für seine halbstündige Rede wählte.

Obama hatte bereits 2009 in Prag sein langfristiges Ziel einer atomwaffenfreien Welt betont. 2010 unterzeichneten er und der damalige russische Präsident Dmitri Medwedjew den neuen START-Vertrag. Er sieht eine Obergrenze von je 1550 einsatzbereiten Atomsprengköpfen auf beiden Seiten vor. Sollte Obamas neuer Vorstoß wahr werden, hätten die USA und Russland künftig »nur« noch etwas mehr als je 1000 Atomsprengköpfe. Auch die Reduzierung der Zahl der taktischen Atomwaffen beider Länder in Europa könne er sich vorstellen.

Gerade für den Energieverschwender USA tun Klimaschutzmaßnahmen not. Obama bezeichnete sie zu Beginn dieses Jahres als eine seiner drei obersten Prioritäten. Mit seinen Berliner Bemerkungen kommt er darauf zurück. Doch auch sie sind vorläufig Ankündigungen, während gegenwärtig in den USA – Stichwort Fracking – ein frenetischer Ölboom stattfindet, eine rückwärtsgewandte Energiewende.

An symbolreichem Ort steht an diesem Nachmittag ein Präsident, dessen zweite Amtszeit bisher von Affären geprägt wird. Er ist noch 43 Monate im Amt, doch schon jetzt fragen sich Beobachter, ob Obama wegen der Skandale um die Bespitzelung von US-Journalisten, den weltweiten Datenabgriff durch den Militärgeheimdienst NSA und die Morde im Ausland per Drohnen, der Richard Nixon des 21. Jahrhunderts wird. Sowohl seine eigene liberale Basis als auch die Republikaner kritisieren den Harvard-Jura-Absolventen für seinen Drohnenkurs. Alles zusammen macht den Präsidenten zu einem gefesselten Gulliver, einem Mann, der dabei ist, sein Hauptkapital aufzuzehren – Glaubwürdigkeit. Genau darin hatte sich Obama sympathiestiftend von Politikern wie Bush jr. abgehoben und eine öffentliche Geneigtheit erzeugt, die ihn zum Mythos machte, noch ehe er überhaupt zu regieren begann. Die seltsam wirkende Ehrung mit dem Friedensnobelpreis gehört dazu.

Trotz Obamas neuer Initiativen offenbart sich in Berlin die Entfremdung von einem Mann, den man immer noch mag, der einen jedoch daran erinnert, dass man sich in ihm getäuscht hat. Die so entstandene Abkühlung flankiert eine Ernüchterung zwischen zwei Alliierten. Sie resultiert auch daraus, dass die Bundesrepublik international weiter Macht gewinnt, während die USA sie relativ einbüßen.

Der frühere Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, der SPD-Mann Karsten D. Voigt, sagt: »Die Beziehungen zu den USA sind für Deutschland weiterhin essenziell. Aber sie sind nicht mehr ebenso existenziell wie früher.« Obama will den Alliierten mehr Lasten zumuten. Die USA sind wegen ihres Rüstungshaushalts, nach wie vor größer als der der nächsten zehn Länder zusammen, dazu immer weniger fähig.

Eines der großen Themen auf dieser Obama-Reise ist die NSA-Abhöraffäre. Die Enthüllung, dass der Geheimdienst milliardenhaft Daten ausländischer Internetnutzer ausspäht, sorgt nicht nur in Deutschland für Empörung. Angela Merkel hat das Thema, wie sie auf der gemeinsamen Pressekonferenz bestätigt, unter vier Augen »lange und intensiv angesprochen« und Fortsetzung angekündigt.

Aber dies geschah mit jener Vehemenz, aus der einst die Redewendung entstand: Zivilcourage ist das, was übrig bleibt, wenn der Chef das Zimmer betritt. Obama jedenfalls verteidigt das Programm vor Journalisten forsch mit Verweis auf »die Sicherheit des amerikanischen Volkes«.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013


»Stop Drone War!«

Forderungen an den Herrn im Weißen Haus ***

Trotz extremer Sicherheitsvorkehrungen blieb der Gast aus den USA von Protesten nicht gänzlich verschont.

»No Nato, No War!« – »Stop Drone War!« – »Hands Off Syria!« Drei Transparente ragten aus der Menge der Auserwählten, die Barack Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor lauschen durften. Die Bundestagsabgeordneten der LINKEN Christine Buchholz, Sevim Dagdelen, Heike Hänsel und Ulla Jelpke hatten sich zu der Aktion entschlossen. Unter Hinweis auf den Prozess gegen Bradley Manning in den USA erklärten sie: »Nicht diejenigen, die Kriegsverbrechen aufdecken und Öffentlichkeit schaffen, gehören vor Gericht, sondern diejenigen, die die Kriegsverbrechen begehen oder verantworten.«

Andere mussten ihren Protest weitab vom »Brennpunkt« des Geschehens vortragen. Nahe der Siegessäule demonstrierte die Piratenpartei gegen das Spähprogramm des Geheimdienstes NSA. Sie forderte Straffreiheit für den früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der Einzelheiten des Programms öffentlich gemacht hatte. Markus Kompa, Bundestagskandidat der Piraten, sagte der Agentur AFP: »Prism verstößt gegen den Rechtsstaat, und Abhörsysteme werden missbraucht.« Auf einem Transparent stand: »Die NSA wusste schon vorher, was für ein Schild ich malen würde.«

Am Potsdamer Platz demonstrierten etwa 40 Aktivisten von Amnesty International für die Schließung des Lagers Guantanamo. Nahe dem Hotel, in dem die Familie Obama die Nacht verbracht hatte, riefen sie: »Yes you can! Close Guantanamo now« (»Ja, Du kannst es! Schließe Guantanamo jetzt«) und spielten damit auf den früheren Wahlkampfslogan Obamas an. Einige Demonstranten trugen orange Overalls, die Kleidung der Guantanamo-Häftlinge.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013


Oberbefehlshaber

Von Olaf Standke ****

Längst dürfte auch dem letzten Obama-Fan in diesem Lande klar geworden sein: Dieser Präsident ist nicht der ersehnte Heilsbringer, der den bei seinem ersten Berlin-Besuch noch als Wahlkämpfer versprochenen politischen Wandel durchzusetzen vermag – und dabei die so verheerende Sicherheitspolitik seines Vorgängers auf den Kopf stellt. Das Gefangenenlager Guantanamo, der ausgeweitete Drohnen-Krieg, nach wie vor gewaltige Rüstungsausgaben, zuletzt die Enthüllungen über beispiellose Ausspähaktionen im In- und Ausland: Barack Obama agiert bei aller auch nachdenklichen Rhetorik letztlich knallhart als Oberbefehlshaber einer Weltmacht, die ihre nationalen Interessen mit allen Mitteln durchsetzen will.

Vor diesem Hintergrund muss man auch die neue Abrüstungsinitiative sehen, das letztlich einzig Konkrete seiner Kurzvisite in der deutschen Hauptstadt. Das Angebot an Moskau, die Zahl der strategischen wie taktischen Kernwaffen weiter zu reduzieren, könnte neue Hoffnung machen. Schließlich hängt auch vier Jahre nach Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt über uns weiter das Damoklesschwert des nuklearen Overkills. Nur versucht Washington mit dem geplanten Raketenabwehrschild ohne russische Einbeziehung oder mit der massiven Modernisierung der eigenen atomaren Arsenale – auch in Deutschland – zugleich alles, die militärische Hegemonie der auf vielen Feldern angeschlagenen Supermacht zu sichern.

**** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013


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