Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Gewinnt die Staatsanwaltschaft, wird Mumia binnen eines Jahres tot sein"

Internationale Solidaritätsbewegung drängt auf stärkeres Engagement für Mumia Abu-Jamal

Von Patrick Widera *

Der Hörsaal im Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität platzt nicht gerade aus allen Nähten. Nur etwa 75 Menschen sind gekommen, um sich über die derzeitige Situation im Streit um ein neues Verfahren für Mumia Abu-Jamal zu informieren. Der Saal könnte drei Mal so viele Menschen fassen. Ein Spiegelbild des gegenwärtigen Zustands der Solidaritätsbewegung für die Freilassung des US-amerikanischen Journalisten.

Mumias Anwalt, Robert R. Bryan, macht die Zuhörer mit eindringlichen Worten darauf aufmerksam, dass der Kampf für seinen Klienten jetzt in die entscheidende Phase eintritt. Am 19. Dezember wird die Verteidigung dem Obersten Gerichtshof ihre Argumente für die Neuaufnahme des rassistisch motivierten Verfahrens von 1982 vorlegen. Die Richter werden voraussichtlich im Februar zu einer Entscheidung kommen. Dabei hängen die Erfolgsaussichten nicht nur von juristischen Faktoren ab. Neben der Fürsprache durch einen hohen Richter ist gerade eine starke Resonanz des Falls in der Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung. »Wenn wir jetzt nicht die Kraft haben, den Kampf für ein neues Verfahren zu gewinnen, wird Mumia binnen eines Jahres hingerichtet werden!«, macht Robert R. Bryan den Ernst der Lage deutlich.

Mumia ist durch sein inzwischen 26-jähriges literarisches und politisches Wirken aus dem Todestrakt zu einem Symbol des Kampfes gegen die Todesstrafe und zur »Stimme der Stimmlosen« geworden, betont Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Er selbst war zwei Mal als Prozessbeobachter beim Verfahren gegen Abu-Jamal. »Wenn der Fall eine positive Wendung erfährt, dann nur durch das Engagement der internationalen Solidaritätsbewegung«, ist Ratzmann überzeugt.

Dass Barbara Lochbihler, Generalsekretärin von Amnesty International, ihre ausdrückliche Unterstützung für den Kampf um ein neues Verfahren für Mumia erklärt hat, wertete Bryan als einen großen Erfolg. »Denn Amnesty International ist nicht irgendwer. Diese Organisation kann sich wirksam Gehör verschaffen, denn sie hält die Fackel der Menschenrechte so hoch wie keine andere.«

Nur indem man öffentlich Stellung bezieht und engagiert für die Befreiung Mumia Abu-Jamals wirkt, wird man dem Obersten Gerichtshof in Washington zeigen können, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens eine bedeutende Resonanz in der Bevölkerung hat, fasst Lochbihler das Anliegen der Solidaritätskampagne zusammen. Gerade weil auch in den Vereinigten Staaten die Solidaritätsbewegung für den Verurteilten noch weit hinter den Erwartungen zurück bleibt, ist die Unterstützung durch Amnesty International ein wirksames Mittel, um »den Zusammenhang zu vermitteln«, wie der Schauspieler Rolf Becker betont, »der Zusammenhang, dass Mumia einer von uns ist, dass er als Stimme der Stimmlosen zu unserer Stimme geworden ist, wird noch nicht gesehen.« Solidarität ist unentbehrlich, bekräftigt Becker. »Sie ist die Hoffnung der Welt, unsere und seine Hoffnung.«

In den kommenden Wochen wird die Verteidigung allein für die notwendigsten Dinge 75 000 Euro benötigen, die finanzielle Unterstützung durch Spenden ist also ein Gebot der Stunde, denn, so Bryan, »Mumias Leben hängt jetzt wirklich am seidenen Faden.«

Vom 6. bis 13. Dezember wird eine internationale Aktionswoche veranstaltet, um auf das Schicksal Mumia Abu-Jamals aufmerksam zu machen. Zum deren Abschluss am 13. Dezember wird eine Solidaritätsdemonstration vom Oranienburger Platz zur Botschaft der USA führen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2008

Warum ist das Leben von Abu Jamal weiter akut bedroht, Rechtsanawalt Bryan? **


Wie stellt sich die Lage Ihres Mandanten derzeit juristisch dar?

Alles hängt vom Obersten Gerichtshof der USA ab. Ich bereite einen Antrag auf Zulassung eines neuen Verfahrens für Mumia Abu Jamal vor. Die Frist dafür läuft am 19. Dezember ab. Im Februar oder März 2009 wird der Supreme Court darüber entscheiden. Davon wird abhängen, ob Mumia hingerichtet wird oder nicht.

Welche Optionen hat der Supreme Court?

Genau genommen drei. Wird mein Antrag abgelehnt und das Todesurteil wieder in Kraft gesetzt, kann mein Mandant in kurzer Zeit hingerichtet werden, dann sind alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Der Supreme Court kann auch entscheiden, dass es ein neues Verfahren nur über das Urteil gibt. Dann könnte erneut die Todesstrafe drohen oder es gibt eine lebenslängliche Haftstrafe. Dann wäre sein Leben nicht mehr akut bedroht, aber er bliebe wohl für immer in Haft.

Mit einer Freilassung ist nicht zu rechnen.

Der Supreme Court kann keine Freilassung anordnen. Er kann aber entscheiden, dass Mumia ein völlig neues Verfahren mit neuen Geschworenen bekommt. Dann würde der Fall nochmal aufgerollt, so dass die Beweise geltend gemacht werden könnten, die Mumias Verantwortung für den Polizistenmord infrage stellen, der ihm angelastet wird. Ich bin optimistisch, dass mein Mandant gute Chancen hätte, dann freigesprochen zu werden.

Wie begründeten Sie jetzt Ihren Antrag?

Mein Hauptargument ist, dass mein Mandant wegen seiner schwarzen Hautfarbe diskriminiert wurde. Das zeigte sich bei der Wahl der Geschworenen. Die Jury war rein weiß besetzt. Ich bin zuversichtlich, dass dieses Argument anerkannt wird, da ein Bundesrichter erklärte hat, der Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung werde verletzt, wenn auch nur ein Jurymitglied wegen seiner Hautfarbe ausgeschlossen wurde. Das ist bei Mumia eindeutig geschehen. Außerdem hatte der Staatsanwalt vor der Urteilsfindung erklärt, die Jury könne ruhig für die Todesstrafe stimmen. Der Angeklagte habe immer die Chance, Berufung einzulegen.

Beeinflusst die Präsidentenwahl das Verfahren?

Obama ist kein Gegner der Todesstrafe, McCain auch nicht. Vielleicht entsteht jetzt ein anderes Klima, doch mein Mandant war schon vor seiner Haft politischer Aktivist und ist das bis heute geblieben. Er wurde zu einem Symbol des Kampfes gegen die Todesstrafe weltweit, über die USA hinaus.

Das Gespräch führte Peter Nowak

Rechtsanwalt Robert M. Bryan lebt in San Francisco und vertritt den US-Journalisten Mumia Abu Jamal, der seit 25 Jahren in der Todeszelle sitzt.

** Aus: Freitag, Nr. 45, 6. November 2008




Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage