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Amoklauf der Republikaner

US-Rechte halten Massenmord in Newtown für »Strafe Gottes«

Von Philipp Schläger *

Nach dem Amoklauf an der Sandy-Hook-Schule in Newtown, Connecticut, argumentieren Rechtskonservative in den USA erneut, daß dieser durch die – tatsächlich kaum vorhandenen – Einschränkungen beim Waffenbesitz ermöglicht worden sei. Ein 20jähriger hatte am Freitag zunächst seine Mutter in ihrem Haus ermordet. Dann brach er über ein Fenster in die Grundschule ein und tötete zwölf Mädchen, acht Jungen und sechs Frauen, bevor er sich selbst das Leben nahm. Alle Kinder waren den Angaben der Polizei zufolge sechs oder sieben Jahre alt. Die »restriktiven Waffengesetze« hätten verhindert, daß sich die Opfer gegen den Angreifer hätten zur Wehr setzen konnten, so die Waffenlobby. Die christliche Rechte glaubt zudem an göttliche Strafe. Nicht überraschend sei das Blutbad, da doch an öffentlichen Schulen in den USA keine Gebete erlaubt seien, sagte der Baptistenpfarrer und ehemalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Mike Huckabee, im rechten Fernsehsender Fox News.

Mit solchen Republikanern verhandelt US-Präsident Barack Obama zur Zeit, um den »Absturz« von der »Fiskalklippe«, dem »fiscal cliff« zu verhindern. Sollten sich die Demokraten und Republikaner nicht bis Ende des Jahres auf einen Kompromiß einigen können, laufen Steuersenkungen für alle Einkommensklassen aus und greifen automatisch Haushaltskürzungen, auf die sich beide Parteien 2011 angesichts der Diskussionen um eine Erhöhung der Schuldengrenze geeinigt hatten. Die Kürzungen von 110 Milliar¬den Dollar pro Jahr für die nächsten zehn Jahre drohen die Wirtschaft empfindlich zu schwächen und betreffen Ausgaben für Sozialprogramme wie das Militär gleichermaßen. Obama hat zudem angekündigt, die unter seinem Vorgänger George W. Bush verabschiedeten Steuersenkungen für fast alle US-Amerikaner zu verlängern. Zur Haushaltskonsolidierung forderte er jedoch auch zusätzliche Einnahmen durch eine Rückkehr zu den geringfügig höheren Steuerraten aus der Clinton-Ära für die reichsten zwei Prozent.

Schon einmal, Ende 2010, mußte der US-Präsident dem Druck der von der »Tea Party«-Bewegung getriebenen Republikaner nachgeben und alle Steuersenkungen Bushs verlängern. Doch 2012 ist anders. Die höhere Besteuerung von Reichen war eine wesentliche Prämisse des erfolgreichen Wahlkampfs Obamas. Sollten die Republikaner in dieser Sache nicht auf die Demokraten zugehen, könnten diese die Steuersenkungen einfach auslaufen lassen und dann im Kongreß einen Entwurf vorlegen, der die Erleichterungen für 98 Prozent der Bevölkerung reaktivieren und nur die obersten Einkommen von dieser Regelung ausnehmen würde. Die Republikaner wären in diesem Szenario in der Zwickmühle. Sie könnten zwar gegen das Gesetz votieren. Die vermeintliche Steuersenkungspartei stände damit jedoch erneut als Blockierer da.

Ob in den verbleibenden Tagen noch ein Kompromiß zustande kommt, bleibt dennoch fraglich. Bislang lehnen die Republikaner jede Vereinbarung ab. Doch ihre Front bröckelt. Unter dem Eindruck der Wahlniederlage vom November fordern prominente Parteivertreter eine Kurskorrektur. In seiner Kolumne für den Weekly Standard zitierte der einflußreiche konservative Kolumnist William Kristol den Autoren Eric Hoffer mit dem Satz: »Jede große Sache beginnt als Bewegung, wird ein Geschäft und degeneriert zu einer Abzocke.« Es könne sein, so Kristol, daß große Teile des amerikanischen Konservativismus zu einer solchen Geschäftemacherei geworden seien und eine »Neugründung« nötig sei. Auch der Moderator Joe Scarborough, der mit seiner Sendung »Morning Joe« Millionen Zuschauer erreicht, sprach von »Abzocke«. Der Konservativismus der Grand Old Party sei für »viele Leute zur bloßen Geschäftemacherei geworden, um sehr sehr reich zu werden«.

Bushs ehemaliger Redenschreiber David Frum setzte in Anspielung auf Rupert Murdochs Propagandasender Fox News und andere Akteure der extremen Rechten noch eins drauf: Die konservative Basis sei vom »konservativen Entertainmentkomplex belogen, ausgenommen und ausgebeutet« worden.

* Philipp Schläger: Amerikas neue Rechte – Tea Party, Republikaner und die Politik der Angst. Rotbuch Verlag, Berlin 2012, 273 Seiten, 14,95 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 17. Dezember 2012


Waffenwahnsinn mit Methode

Weltspitze: Jährlich sterben in den USA 31 000 Menschen durch Schusswaffen

Von Reiner Oschmann **


Der Amoklauf von Newtown entfachte eine neue Debatte über das Waffenrecht in den USA. Präsident Barack Obama forderte »bedeutsames Handeln, um weitere Tragödien wie diese zu verhindern«.

Erinnerung an einen Auftritt Barack Obamas in einer Fernsehdebatte mit Mitt Romney kurz vor der Wahl: Der inzwischen wiedergewählte Präsident erwähnte ein einziges Mal hörbar flüchtig, sichtbar ängstlich und erkennbar folgenlos »die Notwendigkeit zu strengerer Feuerwaffenkontrolle«. Das war's dann auch. Das Thema wurde nicht vertieft, war kein Anlass zu Streit und bewegte sich auf jener rituellen Ebene, auf der die in jüngerer Zeit zahlreichen Amokläufe mit Schusswaffen stets abliefen: Schock über jeden neuen Vorfall, Betonung, dass jetzt Zeit zu trauern und nicht für Politik sei - und Nichtstun bis zur nächsten Katastrophe.

Diese Kettenreaktion wird jetzt auch und gerade dem sichtlich ergriffenen Präsidenten, Vater zweier Töchter, nur wenig älter als die meisten Opfer von Newtown, vorgehalten. Die »Washington Post« schrieb, Obama habe sich in seiner TV-Rede »dem Ausmaß an Tragik emotional gewachsen gezeigt, aber der Schrecken des heutigen Unglücks erfordert, dass Obama und andere Staatsdiener sich endlich auch politisch der Herausforderung gewachsen zeigen«.

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, einer der prominentesten Befürworter schärferer Waffengesetze, sagte, Obamas bewegende Worte reichten nicht. »Das Land erwartet von ihm unverzüglich einen Gesetzentwurf an den Kongress zur Lösung dieses brennenden Problems.« Ob das Drängen auf erschwerten Zugang zu Schusswaffen im Land mit den laxesten Waffengesetzen länger als Tage vorhalten und zu konkreten Aktionen führen wird, ist nach aller Erfahrung zu bezweifeln.

Politiker beider großen Parteien haben in den letzten Jahren über das Thema nicht mal mehr ernsthaft diskutiert. Eine Zügelung der Waffenlobby, die in der gut vier Millionen Mitglieder zählenden National Rifle Association (NRA) ihren sichtbarsten, jedoch keineswegs alleinigen Ausdruck findet, wurde nie versucht. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Zugang zu Handfeuerwaffen und Schusswaffendelikten offenkundig. Auch nach Newtown weisen Experten wieder darauf hin, dass, wie der Kolumnist Gary Younge schreibt, »Amerikaner nicht anfälliger für Wahnsinn sind als jedes andere Volk. Doch sie haben mehr Schusswaffen: rund 90 auf 100 Personen. Und Bundesstaaten mit höherem Pro-Kopf-Waffenbesitz verzeichnen auch mehr Tötungsdelikte als Staaten, wo der Waffenbesitz geringer ist.«

Täglich sterben heute in den USA 85 Menschen durch Schusswaffen; mehr als doppelt so viel werden verletzt. Die »New York Times« summiert die Zahl der in den letzten 40 Jahren mit Schusswaffen im »Zivilleben« getöteten Amerikaner auf über eine Million. In Obamas Heimatstadt Chicago wurden dieses Jahr bisher mehr Bürger erschossen, als US-Soldaten in Afghanistan fielen. Jährlich wechseln im Land 4,5 Millionen Feuerwaffen den Besitzer, oft mit lächerlichen Sicherheitsvorkehrungen, nicht selten auf Flohmärkten. Eine Studie zu 23 bevölkerungsreichen, entwickelten Ländern ergab, dass 80 Prozent der in diesen Staaten registrierten Schusswaffenopfer auf die USA entfielen, »wo die Tötungsraten 6,9 mal höher sind als in den anderen Ländern«, wie die »New York Times« errechnete.

Gary Younge betont diesen Aspekt: »Waffenkontrolle ist möglich. Dafür gibt es sowohl gute Argumente als auch Aufgeschlossenheit bei Wählern. Aber es wird nicht ohne politisches Bündnis geschehen, das dafür kämpft. Wenn Amerika zweimal einen schwarzen Präsidenten wählen kann, kann es auch das schaffen.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 17. Dezember 2012


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