Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Es geht hier um Abschreckung

Der US-Blogger Kevin Gosztola zum Urteil gegen Bradley Manning und zu den Fällen Assange und Snowden *


Kevin Gosztola ist ein US-amerikanischer Bürgerrechtsaktivist. Für seinen Blog »The Dissenter« hat er das Verfahren gegen den Wikileaks-Informanten Bradley Manning, der künftig als Chelsea Manning leben will, von Beginn an regelmäßig verfolgt. Mit Gosztola sprach für »nd« Harald Neuber.


Bradley Manning hatte eine maximal 90-jährige Haftstrafe erwartet. Am Mittwoch ist er zu 35 Jahren verurteilt worden. Ist es für Sie denn eine gute Nachricht?

In den vergangenen 21 Monaten, in denen ich das Verfahren vor dem Militärgericht in Fort Meade verfolgt habe, ist mir klargeworden, dass Manning wohl eine ziemlich harte Strafe bekommen wird. Auch wenn dieser Punkt am Ende fallengelassen wurde, hatte die Richterin die Anklage wegen »Unterstützung des Feindes« zunächst zugelassen. Das weist auf eine neue und gefährliche Rechtsinterpretation hin. Das Urteil war für mich also keine »gute Nachricht«. Aber ein solches Strafmaß war eben auch zu erwarten.

Wäre ein Verfahren vor einem US-Zivilgericht glimpflicher ausgegangen?

US-Bundesgerichte hätten Manning zur gleichen oder sogar einer höheren Strafe verurteilt. Zivile Gerichte in den USA fügen sich in der Regel den Interessen des Militärs und des Sicherheitsapparats. Das betrifft vor allem auch den Schutz behördlicher Geheimunterlagen ...

... von denen im Fall Manning die meisten aber ohnehin in 25 Jahren freigegeben worden wären. Ist es also ein faires Urteil?

Ein faires Urteil hätte Manning ein deutlich geringeres Strafmaß auferlegt. Während der Verhandlung wurde zu keinem Zeitpunkt belegt, dass die Veröffentlichungen Mannings gegenüber Wikileaks einen Schaden angerichtet oder gar zu Verletzungen oder dem Tod von Personen geführt haben. Entsprechende Darstellungen sind nichts als Spekulationen darüber, was möglicherweise hätte geschehen können.

Was bedeutet die Entscheidung der Militärrichterin für künftige mögliche Geheimnisenthüller und die Pressefreiheit in den USA?

Die Nachricht an andere Whistleblower ist: Mach das, was Manning getan hat, nicht nach, oder dir droht das gleiche Schicksal. Die Regierung hat der Militärrichterin wörtlich gesagt: »Es geht hier um Abschreckung, Euer Ehren. Dieses Gericht muss eine Nachricht an jeden Soldaten senden, der darüber nachdenkt, geheime Informationen zu stehlen.« Nicht beachtet wurde dabei, dass die betreffenden Informationen einen großen Wert für die internationale Öffentlichkeit hatten, weil sie den Mord an Zivilisten öffentlich gemacht haben, Folter, Missbrauch und diplomatisches Fehlverhalten sowie Verschwörungen. Journalisten können sich nun nicht mehr sicher sein, ob ein Informant mit vertraulichen Informationen ins Visier der Justiz gerät.

Einige der mutmaßlichen Kriegsverbrechen, die Manning öffentlich gemacht hat, haben noch nicht einmal zu einem Verfahren geführt. Was sagt uns das über das US-amerikanische Justizsystem?

Tatsache ist, dass jede Art von Mord, Folter oder Missbrauch oder die Vertuschung dieser Taten vom Militär gerechtfertigt werden kann. Macht man diese Informationen aber öffentlich, muss man mit Verfolgung als Krimineller oder Verräter rechnen. Der US-amerikanische Machtapparat funktioniert offenbar nur unter Wahrung der Geheimhaltung. Wird diese Geheimhaltung verletzt, schränkt das die Gewaltanwendung natürlich ein. Deswegen die Drohkulisse.

Was sind also die Folgen für die anderen bekannten Enthüller: Edward Snowden und Julian Assange?

Edward Snowden hat Mannings Behandlung in Haft ja schon in seinen Asylanträgen angeführt. Jetzt hat er einen Grund mehr, in Russland zu bleiben und nicht in die USA zurückzukehren. Julian Assange wird nun wohl aufmerksam verfolgen, ob die US-Behörden Schritte gegen ihn, Wikileaks-Mitarbeiter oder andere Personen im Umfeld dieses Projektes unternehmen.

Und inwieweit sind die Fälle von Manning und Edward Snowden zu vergleichen?

In beiden Fällen handelt es sich um junge US-Amerikaner, die sich von ihrem Gewissen haben leiten lassen. Manning hat den inhumanen Charakter des »Krieges gegen den Terrorismus« offenbart. Snowden hat die Öffentlichkeit über die systematische Verletzung der Privatsphäre durch den massiven Überwachungsapparat informiert, der nach den Terroranschlägen vom 11. September aufgebaut wurde. Die öffentliche Unterstützung für Snowden ist größer als für Manning. Es ist klarer, dass es sich bei Snowden um einen Whistleblower handelt, weil er den Machtmissbrauch in den USA aufgedeckt hat. Allerdings sollten auch die Kritiker von Manning verstehen, dass Snowden ihn in seinem ersten Interview als »klassischen Whistleblower« bezeichnet hat. Manning habe sich »vom Allgemeinwohl leiten lassen«, sagte er.

Aus: neues deutschland, Samstag, 24. August 2013


Zurück zur USA-Seite

Zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage