Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Verräter oder Held?

Der Whistleblower Bradley Manning könnte wegen "Unterstützung des Feindes" verurteilt werden

Von Max Böhnel, New York *

Das Urteil über den 25-jährigen Wikileaks-Informanten wird schon am Montag im US-Militärgericht in Fort Meade erwartet.

Nach den Schlussplädoyers der Staatsanwaltschaft am Donnerstag und der Verteidigung am Freitag setzte Richterin Denise Lind für Montagmorgen (Ortszeit) einen weiteren Gerichtstermin in der Militärsiedlung an. Das Urteil wird Beobachtern des Unterstützer-Netzwerks zufolge, die den Prozess akribisch verfolgten, »schuldig« heißen. Eine glaubhafte Einschätzung, hat sich der Hauptgefreite Bradley Manning doch in zehn von 21 Anklagepunkten selbst schuldig bekannt. Einer davon lautet »Diebstahl«: das Herunterladen und die Weitergabe von fast 750 000 Dokumenten aus Armeedatenbanken an das Enthüllungsprojekt »Wikileaks«. Dazu zählen Aufnahmen, die ein »Wikileaks«-Team zu dem berühmten Video »Collateral Murder« zusammenschnitt, sowie großteils belanglose oder peinliche Depeschen von USA-Botschaften an ihre Leitstelle in Washington. Allein dafür muss Manning mit bis zu 20 Jahren Gefängnis rechnen.

Entscheidend für das Strafmaß ist aber der Vorwurf »Unterstützung des Feindes« nach Artikel 104 des Militärgesetzes. Darauf bestanden die Regierungsanwälte von Anfang an. Lind ließ die entsprechende Zeugenbefragung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, gegen den Willen der Verteidigung zu. Im Schlussplädoyer am Donnerstag sagte der Militärstaatsanwalt Ashden Fein, Manning sei »entschlossen gewesen, den USA und ihren Kriegsanstrengungen zu schaden«. Zum ersten Mal im Prozess ließ er dabei öffentlich den Begriff »Verräter« fallen. Mannings Hauptverteidiger David Coombs zeichnete seinen Mandanten dagegen am Freitag als naiven Helden, der die Öffentlichkeit von Kriegsverbrechen der USA-Armee in Afghanistan und im Irak informieren wollte.

Wenn die Militärankläger mit ihrer Behauptung, Manning habe den »Feind unterstützt«, letztendlich durchkommen, wird dies erhebliche Auswirkungen auf Journalisten und Medien in den USA haben. Denn damit ließe sich in Zukunft jede Art von investigativer Enthüllung als Verstoß gegen die nationale Sicherheit uminterpretieren. Um die Pressefreiheit sei es dann geschehen, warnt der Enthüller der Pentagon-Papiere während des Vietnamkriegs, Daniel Ellsberg. »Wenn ›Hilfe für den Feind‹ durchkommt, dann werden Journalisten ernsthaft beeinträchtigt bei ihrem Bemühen, potenzielle staatliche Verbrechen zu enthüllen«. Nicht zuletzt werde damit Kritik an der USA-Außenpolitik kriminalisiert.

Für »Unterstützung des Feindes« droht Bradley Manning eigentlich die Todesstrafe. Nur das Signal der Staatsanwaltschaft vor dem Prozess, sie nicht zu fordern, wird ihn vor der Hinrichtung bewahren. Wenn er wegen Artikel 104 verurteilt wird, sieht er aber immer noch einer lebenslangen Haftstrafe entgegen.

Ob die Urteilsverkündung am Montag oder in den kommenden Tagen erfolgt, liegt allein im Ermessen der Richterin. Die 53-Jährige ist eingeschriebenes Mitglied der demokratischen Partei und seit 2004 Militärrichterin. In ihrer Jura-Abschlussarbeit vor 14 Jahren hatte sie sich interessanterweise für mehr Offenheit des Militärs gegenüber der Presse stark gemacht. Während des Prozesses gegen Manning legte sie jedoch sowohl den Medien wie auch der Verteidigung gegenüber eine fast unnachgiebige Haltung zutage. Sie lehnte es ab, das Verfahren auf Staatskosten mitschreiben und veröffentlichen zu lassen. Außerdem blockte sie fast alle Einwürfe und Bedenken der Verteidigung ab. Beobachter sind deshalb der Meinung, dass sie sich um ihrer eigenen Karriere willen um keinen Preis eines Vergehens gegen die »nationale Sicherheit« schuldig machen will. Andere sprechen deshalb von einem Schauprozess im Stil von Guantanamo. Da Lind die Öffentlichkeit scheut, ist wenig über sie bekannt.

Der Urteilsverkündung wird sich bis Mitte August die Phase des Beschlusses des Strafmaßes anschließen. Anklage und Verteidigung haben dazu bereits Listen mit weiteren Zeugen erstellt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 29. Juli 2013


»Plus 154 Jahre«

USA: Lebenslang reicht Ankläger nicht als Strafe für Bradley Manning. Verteidigung wirft Staatsanwalt Hetzrede vor

Von Jürgen Heiser **


Dem Whistleblower Bradley Manning droht lebenslange Haft, sollte das US-Militärgericht in Ford Meade dem Strafantrag der Anklage folgen. Der Urteilsspruch scheint unmittelbar bevorzustehen, danach wird in weiteren Prozeßterminen das Strafmaß verhandelt und verkündet. »Freiheit für Bradley Manning« forderten am Samstag Tausende Menschen in vierzig Städten weltweit. Bereits am Freitag war die Einfahrt von Fort McNair, dem Amtssitz von Generalmajor Jeffrey Buchanan in Washington, von Demonstranten blockiert worden. Dem Militärkommandeur obliegt die Oberaufsicht über das Verfahren gegen Manning.

Am selben Tag konnte Hauptverteidiger David Coombs mit eintägiger Verspätung sein Schlußplädoyer halten. Am Vortrag hatte der leitende Staatsanwalt Major Ashden Fein die Atmosphäre im Gerichtssaal über viele Stunden mit wortgewaltigen Ausführungen aufgeladen. Diese gipfelten in einem Strafantrag von biblischen Ausmaßen. Lebenslang ist dem Vertreter der weltgrößten Militärmacht zur Abschreckung weiterer Whistleblower nicht genug. Mit »zusätzlich 154 Jahren Gefängnis« will Fein die Liste der 22 Vorwürfe gegen den Wikileaks-Informanten ahnden, die von »Diebstahl von Regierungseigentum« über »Spionage« bis zur »Unterstützung des Feindes« reichen.

Die hohe Strafe hält Fein für angemessen, weil Manning sich »wissentlich und in böser Absicht« der »Unterstützung des Feindes Al-Qaida« schuldig gemacht habe. Zwar hat das die Beweisaufnahme nicht ergeben, aber Major Fein setzt auf die Wirkung von Reizwörtern, die aus dem Whistleblower einen Terrorhelfer machen sollen. Manning, den er als »Anarchisten, Hacker und Verräter« beschimpfte, habe die Dokumente ins Internet gestellt, weil er »wußte, daß Al-Qaida diese lesen würde«. Dem »ruhmsüchtigen Egoisten« habe »sein Eid genausowenig bedeutet wie die US-Fahne«, wetterte Fein in den Saal. Manning habe nicht »als Whistleblower, naiv oder in guter Absicht gehandelt, um Debatten auszulösen«. Das Video »Kollateraler Mord« sei für ihn »cool« gewesen, nur deshalb habe er es »an regierungsfeindliche Aktivisten und Anarchisten geschickt« und »um Julian Assange und Wikileaks zu gefallen«.

Auch hierfür hatte der Prozeß keine Beweise erbracht. Rechtsanwalt Coombs griff deshalb in seinem Plädoyer den Staatsanwalt wegen dessen Verbalattacken an. Fein habe Mannings »eigene Worte« aus dem Zusammenhang gerissen, um sie »in eine Hetzrede« zu verwandeln und »ihn in einem negativen Licht erscheinen zu lassen«. Manning sei jedoch in Wahrheit »ein Humanist, für den jedes Menschenleben von Wert ist« und der »überzeugt war, daß die Öffentlichkeit erfahren mußte, was er selbst in den Kriegen in Irak und Afghanistan gesehen hatte«. Dazu führte der Anwalt das besagte Video vor, das aus der Perspektive der Bordkamera eines über Bagdad kreisenden US-Helikopters zeigt, wie dessen Besatzung blindwütig Zivilisten und Reporter am Boden erschießt. Coombs an die Militärrichterin gewandt: »Was hätten Sie empfunden, wenn Sie mit 22 Jahren ein solches Video gesehen hätten?«

Der Verteidiger wies schließlich die Theorie der Anklage zurück, sein Mandant habe »systematisch und wahllos« Geheiminformationen gesammelt und sei dabei »rücksichtslos« vorgegangen. In Wahrheit habe Manning »sehr selektiv Dokumente ausgesucht, die er kannte«. Bei seinen an die US-Öffentlichkeit gerichteten Enthüllungen habe sein Mandant Sorgfalt walten lassen, um »weder Quellen noch Kameraden zu schaden«, so Coombs.

Manning erwartet nun das Urteil auf dem Militärstützpunk Fort Meade. Dieser ist für die Weltöffentlichkeit seit den Enthüllungen von Edward Snowden von besonderem Interesse, weil dort auch die NSA-Geheimdienstzentrale angesiedelt ist, die permanenten Verrat an den Grund-und Bürgerrechten der Weltgesellschaft begeht.

** Aus: junge Welt, Montag, 29. Juli 2013


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage