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Ernsthafte Alternative zu Wikipedia

Das neue "USA-Lexikon" darf auch heute einen Standardwerk-Status beanspruchen

Von Reiner Oschmann *

Nobelpreisträger John Steinbeck hat einmal über sein Land gesagt: Die USA seien »kompliziert, widerspruchsvoll, dickköpfig, schüchtern, grausam, lärmend, unsagbar lieb und sehr schön«. Anfügen ließe sich: riesig, brutal und größenwahnsinnig, egoistisch, widerständig und großherzig. Doch auch das erfasst den Kontinentalstaat und sein inneres System nicht angemessen. Die USA sind das Einfache, das schwer zu beschreiben ist. Weshalb eine gute Enzyklopädie, auch im Zeitalter von Wikipedia, vielleicht immer noch der solideste und sympathischste Versuch ist, dem Land in seiner Herkunft und Entfaltung, Größe und Großmannssucht, Vielfalt und Widersprüchlichkeit einigermaßen gerecht zu werden.

Das »USA-Lexikon« der Historiker und Herausgeber Prof. Dr. Christof Mauch und Dr. Rüdiger B. Wersich von den Universitäten München und Frankfurt (Main) ist ein solches intelligentes Angebot. Es erfüllt den selbstgestellten Anspruch an ein Standardwerk und die gewachsenen Publikumserwartungen an modernen Zugang zu Lexika im Internetzeitalter gleichermaßen. Das gewichtige Printwerk, das auch als E-Book bzw. als elektronische Datenbank erworben werden kann, ignoriert nicht Präsenz und Chance des Internets – und ist trotzdem eine ernsthafte Alternative zu Wikipedia. Oder wie die Herausgeber betonen: Das Buch stellt keinen Ersatz für den Wust der online-Informationen dar, »aber es bietet – anstelle des Wissens der Massen – die strukturierte und kompetente Information von Experten«.

Das Amerika-Lexikon war erstmalig schon 1995 erschienen. Die vorliegende zweite Ausgabe ist völlig neu bearbeitet, wesentlich erweitert und in vielem ein anderes Werk als sein Vorgänger vor 18 Jahren. Das bezieht sich nicht nur auf die parallele digitale Verfügbarkeit, sondern auch auf viele neue Einträge (Guantánamo, Gulf wars, Homeland Security), auf erstmalige Einträge zu den wichtigsten US-Großstädten oder – ebenfalls neu – kompakte Einzelartikel zu sämtlichen 50 Bundesstaaten. Ein Standardwerk wie dieses ist nur im Team zu meistern: Die über 500 englischen, alphabetisch gelisteten Schlüsselbegriffe, in der Regel nicht kürzer als auf einer (Blue jeans) und nicht länger als fünf (African Americans) bis maximal sieben Seiten (Arms control) erläutert, wurden von über einhundert Autoren erstellt. Viele sind an den Universitäten München und Frankfurt, Freiburg und Heidelberg verankert.

Die Beleuchtung der transatlantischen, namentlich deutsch-amerikanischen Beziehungen stellt eine weitere Besonderheit des Lexikons dar, das mit der Aussage für sich wirbt, kein anderer Band zu den Vereinigten Staaten biete »in deutscher Sprache eine vergleichbare Fülle von Informationen zu den USA – Orientierungswissen, Fakten und Hintergründe sowie weiterführende Literaturhinweise zu allen Stichwörtern«.

Aber Fülle ist nur das eine. Ein hilfreiches Lexikon sorgt – anders als das World Wide Web – für Ordnung und Prägnanz, Bündelung und idealerweise für inhaltliche Qualität. Das gewährleistet diese Veröffentlichung leserfreundlich. Und dies geschieht auch mit Hilfe eines stattlichen, 175-seitigen Anhangs, unverdächtig, fünftes Rad am Wagen zu sein. In ihm finden sich, mehrfach zugleich im englischen Original und auf Deutsch, u.a. Unabhängigkeitserklärung, Verfassung und Nationalhymne, die Eckziffern aller Bundesstaaten und Territorien, die Amtszeiten der bisherigen Präsidenten, eine – neu in dieser Ausgabe – praktische, auf zwölf Seiten gedrängte Zeittafel der Geschichte, von der frühesten Besiedlung Nordamerikas durch Einwanderer aus Nordostasien vor über 32 000 Jahren bis zu Barack Obamas Wiederwahl 2012, ein Verzeichnis wichtiger Institutionen und Webseiten sowie ein aufgefächertes Register, das einen nicht im Stich lässt.

Anders die 24 Schaubilder und Grafiken zu Themen wie Bürgerkrieg, Wahlsystem und Einwanderung, Parteien oder Militärisch-Industriellem Komplex: Hier haben die Verantwortlichen versäumt, jedem Band eine Lupe beizulegen. Die interessanten illustrierten Informationen sind ärgerliches Augenpulver; sie hätten entschieden großzügiger aufgemacht werden müssen.

Es heißt ja, Wissen halte nicht länger als frischer Fisch. Heißt das, dass man sich die Mühe dieses Lexikons hätte sparen sollen? Nein, einerseits enthält jedes Nachschlagewerk abgeschlossene Entwicklungen und somit Gelegenheit zu abschließender Wertung. Andererseits erzeugen Kennerurteile Haltbarkeit, und wenn die Aussagequalität zudem vom erfolgreichen Streben um ausgewogene Urteile getragen wird, entsteht auch daraus Mehrwert. Der wird nicht ohne weiteres vom Wind des Webs verweht.

Natürlich ist dieses Lexikon ein Nachschlagewerk mit bürgerlicher Sicht auf die USA. Der Blickwinkel ist insofern vorhersehbar, wichtiger jedoch: Er ist nicht polemisch verengt, sieht man sich beispielsweise die Einträge zu Antiamericanism, Anticommunism oder American Dream, zu Unemployment, Watergate oder Terrorism an. Überdies macht ein Lexikon mit Standardwerk-Anspruch nicht alles falsch, wenn seine Verfasser ihren Drang zügeln, gleichzeitig ein Handbuch der Revolution vorzulegen.

Christof Mauch/Rüdiger B. Wersich (Hg.): »USA-Lexikon«, 2., völlig neu bearb. und wesentl. erw. Auflage. Erich Schmidt Verlag. 1.334 S., geb., 128 €.; auch als E-Book und Datenbank.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


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