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Mann ohne Eigenschaften

John Kerry soll Obamas neuer Außenminister werden

Von Reiner Oschmann *

US-Präsident Barack Obama hat sich Medienberichten zufolge für den demokratischen Senator John Kerry als Nachfolger von Außenministerin Hillary Clinton entschieden.

Kurz nach seinem 69. Geburtstag vor wenigen Tagen erhielt Senator John F. Kerry offenbar das Geschenk, auf das er lange gehofft hatte. Es kann trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nur zweite Wahl ist: Präsident Obama, hieß es am Sonntag bei großen Fernsehsendern wie CNN und ABC, werde den Senator noch vor Weihnachten als neuen Außenminister und damit zum Nachfolger Hillary Clintons nominieren. Dass es noch nicht geschehen ist, liegt an den Nachrichten um das Newtown-Massaker. Dagegen ist die Personalie vorerst zweite Wahl.

Kerry, Yale-Absolvent und Ostküsten-Patrizier aus Massachusetts (Vermögen: 231,7 Millionen Dollar), ist mit einer Erbin des Ketchup-Imperiums Heinz verheiratet. Der 1,94m große Graumelierte sitzt seit 1984 im Senat. 2004 war er als Präsidentschaftskandidat der Demokraten gegen den damaligen Amtsinhaber George W. Bush unterlegen. Im Senat leitet er, seit Joe Biden Obamas Vizepräsident wurde, den Außenpolitischen Ausschuss. Er gilt als Vertrauter des Präsidenten und übernahm in Obamas erster Amtszeit manche Sondermission. In Pakistan, einem heiklen Verbündeten Washingtons, handelte er die Freilassung eines unter Mordverdacht stehenden CIA-Geschäftspartners aus und später die Freigabe von Teilen eines Helikopters. Der Hubschrauber war am 1. Mai 2011 auf jenem Grundstück in Abbottabad abgestürzt, auf dem sich Osama Bin Laden versteckt hielt. Minuten nach dem Crash wurde der Al-Qaida-Chef von Navy Seals standrechtlich liquidiert.

Kerry ist vorerst auch der ranghöchste US-Amerikaner, der Ägyptens neuen Präsidenten Mursi traf. Seine außenpolitische Erfahrung ist groß. Dennoch ist er für die erwartete Nominierung nur zweite Wahl. Obama hätte zu gern seine UN-Botschafterin und Vertraute Susan Rice ins State Department geholt. Die aber verzichtete auf den auch von ihr ersehnten Wechsel, als klar war, dass der Widerstand der Republikaner gegen ihre Nominierung Obama zu lange beschäftigt hätte. Kerry dagegen kann mit parteiübergreifender Unterstützung im Senat rechnen. Für Obama hat der Schwenk Charme sogar in doppelter Hinsicht: Er präsentiert einen Mann, den auch die Republikaner akzeptieren. Und er verschleißt sich nicht weiter an dieser Front in einem Moment, da er seine Kraft für die Großkrise um die Fiskal-Klippe bis zum Jahreswechsel braucht.

Obamas Schwenk ließe sich freilich auch so deuten, dass er trotz Stärkung durch die Wiederwahl nicht stark genug ist, sich in einer wichtigen Personalfrage gegen die Republikaner durchzusetzen. Wie dem auch sei: Kerry sähe sich nach Amtsübernahme schnell dornigen Entscheidungen an der diplomatischen und militärischen Front gegenüber: Washingtons weiteres Vorgehen gegen Syrien, Iran und Afghanistan. Doch als Gefolgsmann des Präsidenten wird Kerry keine Alleingänge wagen. Der Kommandant eines Kanonenboots im Vietnamkrieg gestand später im Senat, US-Truppen dort hätten »vergewaltigt, Ohren und Köpfe abgeschnitten, Drähte von mobilen Telefonen an Genitalien befestigt und Strom aufgedreht, menschliche Körper in die Luft gejagt, willkürlich auf Zivilisten geschossen (und) Dörfer in einer Manier dem Boden gleichgemacht, die an Dschingis Khan erinnerte«. Dieser Kerry ist allzu oft weder Fisch noch Fleisch gewesen. Aber ein Mann ohne Eigenschaften empfiehlt sich für den diplomatischen Dienst erst recht.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. Dezember 2012


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