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Schlingen am Baum

Zehntausende demonstrieren in der US-Südstaaten-Stadt Jena gegen Rassismus in Alltag und Justiz. Entsteht eine neue Bürgerrechtsbewegung?

Von Gloria Fernandez *

Die Bilder erinnern an die US-Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren: Zehntausende Schwarze ziehen durch eine kleine Stadt im Süden des Landes, rufen Losungen wie »Keine Gerechtigkeit, kein Frieden!« und wehren sich lautstark gegen den alltäglichen Rassismus. So geschehen am Donnerstag in Jena, Bundesstaat Louisiana. Einst mit seinen ausgedehnten Plantagen ein Zentrum der Sklavenarbeit dominiert außerhalb der großen Städte immer noch der koloniale Konservatismus nicht nur in der weißen Bevölkerung; er reicht bis weit in den Staatsapparat hinein.

»Free Jena 6« forderten die aus allen Teilen der USA angereisten Demonstranten und zogen vor Jenas Gerichtsgebäude und zur örtlichen High School. Auf deren Schulhof hatten sich im September 2006 – Jahrzehnte nach der offiziellen Aufhebung der Rassentrennung an US-Schulen also –afroamerikanische Schüler doch tatsächlich erdreistet, unter einer Eiche Platz zu nehmen, wo bis dahin nur weiße Schüler gesessen hatten. Am nächsten Tag hingen drei Schlingen an dem Baum, ein Symbol der gegen Schwarze gerichteten Lynchjustiz früherer Zeiten in den US-Südstaaten.

Daraufhin kam es an der High School und anderen Orten der Stadt, in der 85 Prozent der Einwohner weiß und zwölf Prozent schwarz sind, zu Auseinandersetzungen - insbesondere, nachdem die für den improvisierten Galgen verantwortlichen weißen Jugendlichen lediglich für ein paar Tage vom Unterricht ausgeschlossen wurden. Sechs Schwarzen dagegen wurde zunächst versuchter Totschlag zur Last gelegt. Die inzwischen im ganzen Land als »Jena Six« Bekannten sollen an einer Prügelei, bei der ein Weißer verletzt worden war, beteiligt gewesen sein. Die Anklage wurde zwar später abgemildert, doch sitzt der 17jährige Mychall Bell bis heute hinter Gittern.

Die Demonstranten, darunter auch der Sohn des 1968 ermordeten US-Bürgerrechtlers Martin Luther King, warfen der Staatsanwaltschaft Voreingenommenheit und Rassismus vor. Der international bekannte schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson sagte der Menge, in einem Land, in dem mehr schwarze Jugendliche im Gefängnis als im College seien, laufe etwas falsch. Er forderte Untersuchungen der Strafjustiz, »denn in jeder Stadt, in jedem Bundesstaat gibt es ein Jena«.

Jena könnte zum Symbol für einen neuen Aufbruch der Diskriminierten werden. So bezeichnete der afroamerikanische Bürgerrechtler Al Sharpton die Demonstration im Fernsehsender CNN als »Beginn einer Bewegung, die sich mit dem Justizsystem in diesem Land befassen wird«. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft unterstrich Sharptons Überlegung: Sie erklärte am Donnerstag erneut, bei dem Fall sei es nie um die Rassenzugehörigkeit gegangen. Das Aufhängen der Schlingen in dem »Weißen-Baum« sei moralisch zu verurteilen, könne aber nicht als Verbrechen eingestuft werden, das aus Haß begangen wurde. Und auch US-Präsident George W. Bush hatte nicht mehr zu erklären als sein »Verständnis für die Emotionen«. Alle Bürger der USA wünschten Fairneß in der Justiz, ergänzte der Südstaatler noch.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Urban League, die sich für Gleichberechtigung einsetzt, ist die ungleiche Rechtsprechung für Schwarze und Weiße in den USA weit verbreitet. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein festgenommener Afroamerikaner zu einer Haftstrafe verurteilt wird, ist demnach dreimal so hoch wie bei einem Bürger mit heller Haut. Außerdem seien die Haftstrafen für das gleiche Verbrechen für Schwarze im Durchschnitt 15 Prozent länger.

* Aus: junge Welt, 22. September 2007


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