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Truppenrückzug aus Irak ist "patriotisch"

US-Friedensbewegung verstärkt Debatte mit Aktionen zum Unabhängigkeitstag

Von Max Böhnel, New York *

Die Antikriegsbewegung in den USA hat sich zum "Independence Day" (4. Juli) viel vorgenommen – Mahnwachen, einen Hungerstreik und eine Gerichtsklage als Auftakt zu den Kongresswahlen.

Die Friedensbewegung in den USA nimmt die traditionellen Umzüge zum Unabhängigkeitstag zum Anlass, auf lokaler Ebene, in der Hauptstadt Washington und sogar vor Gericht die Debatte um den Truppenrückzug aus Irak zu verstärken. Umfragen aus jüngster Zeit und die Themen, die Washingtons Politiker diskutieren, beweisen, dass die Aktivisten in den letzten Monaten ungeachtet der Ignoranz, die ihr aus dem Weißen Haus und einem Großteil der Medien entgegenschlägt, politische Erfolge erzielen konnten. Daran wollen sie in den Monaten bis zu den Kongresswahlen am 7. November – sie gelten auch als »Thermometer« für die außerparlamentarische Friedensarbeit – anknüpfen.

Auftakt soll der »Independence Day« sein, der von Tausenden von großen und kleinen Gemeinden als nationaler Feiertag mit Märschen, Paraden und Feuerwerken begangen wird. Die Friedensbewegung hat dabei kein Problem, die Symbole des amerikanischen Patriotismus, etwa die Nationalfarben und die USA-Fahne, in ihre Politik einzubeziehen. »Peace is Patriotic« heißt beispielsweise der Aufruf des Dachverbands der Friedensbewegung »United for Peace«, sich in die Paraden einzumischen und auf Transparenten, mit Sprechchören und Flugblättern den sofortigen Truppenrückzug aus Irak zu fordern. Mehr als 100 Initiativen haben sich dazu bereit erklärt.

Vor dem Weißen Haus werden Prominente in einen »Hungerstreik« für das Ende des Irakkriegs treten. »Wir sind marschiert, haben Mahnwachen abgehalten, Politiker bearbeitet und vor Bushs Ranch kampiert. Jetzt ist es Zeit, mehr zu tun«, verkündete »Peace Mom« Cindy Sheehan. An dem »rollenden Fasten« beteiligen sich Prominente wie die Schauspieler Danny Glover und Susan Sarandon, Kriegsveteranen, Gewerkschafter, bekannte Linke und die beiden Kongressabgeordneten Lynn Woolsey und Cynthia McKinney. Der »Hungerstreik« soll bis zum internationalen Friedenstag am 21. September dauern. Dieser Tag soll Auftakt für eine Woche zivilen Ungehorsams werden.

Auch Cindy Sheehan, die im vergangenen Sommer mit ihrer Protest-Zeltstadt »Camp Caesy« vor George Bushs Ranch in Texas Furore machte, lässt nicht locker. Am vergangenen Freitag verklagte sie mit vier weiteren Mitstreitern die Verwaltung des Bezirks, in dem sich die Bush-Ranch befindet. Denn im Spätsommer war das zeitweise von Tausenden besuchte Camp von den Behörden mit Hilfe von Park- und Campingverboten aufgelöst worden. Die Zufahrtstraße zu Bushs Anwesen soll diesen Sommer nach dem Willen der mutigen Aktivisten erneut zum medienträchtigen Protestort werden.

Dass die öffentliche Meinung in den USA stückchenweise und vorsichtig in Richtung Friedensbewegung tendiert, unterlegen Umfragen von Mitte Juni. CNN ermittelte, dass 53 Prozent der USA-Bevölkerung gerne einen Zeitplan für den Rückzug von Truppen aus Irak sehen würden. Das Zogby-Umfrageinstitut fand heraus, dass selbst bei den Armeeangehörigen in Irak eine Mehrheit innerhalb von einem Jahr abziehen will, 29 Prozent plädieren sogar für einen sofortigen Rückzug. Die oppositionellen Demokraten hinken der öffentlichen Meinung nach wie vor hinterher. So weigerte sich die aussichtsreichste Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008, die New Yorker Senatorin Hillary Clinton, auf einer linksliberalen Strategiekonferenz, einen Zeitrahmen für einen Rückzugsplan zu unterstützen – wofür sie heftig ausgebuht wurde. Trotzdem ist innerhalb der Partei mit Blick auf die Stimmung im Lande fünf Monate vor den Erfolg versprechenden Kongresswahlen eine Debatte über den Irakkrieg entbrannt. Einer der ersten prominenten Parteigrößen, die sich für ein Ende des Kriegs aussprachen, war der Bush-Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen 2004, Senator John Kerry. Er forderte einen Truppenrückzug »zum frühestmöglichen Zeitpunkt«. Inzwischen fanden Kerry und der Antikriegs-Senator Russ Feingold sogar eine gemeinsame Plattform, in der sie sich für einen Rückzug innerhalb eines Jahres und für einen Friedensgipfel aussprachen.

* Aus: Freitag 26, 30. Juni 2006


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