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Imperiales Amerika und Krieg

Von John Bellamy Foster*

Am 11. November 2000 stellte Richard Haass - ein Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates und spezieller Mitarbeiter des Präsidenten unter dem älteren Bush, ein Mann, der kurz vor seiner Ernennung zum Direktor für Politische Planung im Außenministerium des neugewählten Präsidenten George W. Bush stand - in Atlanta eine Denkschrift namens "Imperiales Amerika" vor. Damit die Vereinigten Staaten ihr Ziel weltweiter Vorherrschaft erreichten, so erklärte er, würde es nötig sein, dass die Amerikaner "ihre Rolle von einem traditionellen Nationalstaat weg hin zu einer imperialen Macht umdefinieren" sollten. Haass vermied den Begriff "imperialistisch" bei der Beschreibung der Rolle Amerikas und zog den Ausdruck "imperial" vor, weil ersterer Begriff mit "Ausbeutung, normalerweise aus kommerziellen Gründen" und "territorialer Kontrolle" verbunden sei. Trotzdem wurde die Absicht vollständig klar: "Eine imperiale Außenpolitik zu befürworten ist der Aufruf zu einer Außenpolitik, die versucht, die Welt gemäß bestimmter Prinzipien zu organisieren, was die Beziehungen zwischen Staaten und die Zustände in ihnen mit einbezieht. Die Rolle der USA dabei würde an das Britische Empire des 19. Jahrhunderts erinnern ... Zwang und Gewaltanwendung wären normalerweise ein letztes Mittel - was John Gallagher und Ronald Robinson vor 150 Jahren über Großbritannien schrieben, dass nämlich "die britische Politik dem Prinzip folgte, ihre Kontrolle zwanglos wenn möglich und ganz offiziell wenn nötig auszuüben", könnte auch auf die amerikanische Rolle zu Beginn des 21. Jahrhunderts passen." (Richard N. Haass, www.brook.edu).

Die Existenz eines amerikanischen Weltreichs ist kein Geheimnis. Das wird weithin, sogar global in den meisten Teilen der Welt anerkannt, wenn es auch traditionell von den Mächtigen in den Vereinigten Staaten selbst bestritten wird. Wozu Haass aber aufrief, war eine viel offenere Bestätigung dieser imperialen Rolle durch Washington, vor der amerikanischen Bevölkerung und vor aller Welt, um die imperialen Ambitionen Washingtons zu fördern. "Die Grundfrage, vor der die amerikanische Außenpolitik weiterhin steht", erklärte er, "ist, was wir mit einem Überfluss an Macht und den vielen wichtigen Vorteilen tun sollen, den dieser Überfluss den Vereinigten Staaten verleiht." Dieser Überfluss an Macht könne nur mittels der Erkenntnis genutzt werden, dass die Vereinigten Staaten imperiale Interessen der Größenordnung von Großbritannien im 19. Jahrhundert haben. Der Welt solle daher mitgeteilt werden, dass Washington bereit ist, "seine Kontrolle auszubauen", zwanglos, wenn möglich, und ganz offiziell, wenn nicht, um zu sichern, was es auf dem ganzen Globus als seine legitimen Interessen betrachtet. Der abschließende Teil der Denkschrift von Haass trägt die Überschrift "Imperialismus beginnt zu Hause". Es schließt mit den Worten: "Die größere Gefahr, mit der die USA in diesem kritischen Augenblick konfrontiert sind ... besteht darin, dass sie durch ungenügendes Handeln die Möglichkeit verspielen, eine Welt hervorzubringen, die ihre Kerninteressen unterstützt. Zu wenig imperiale Ausdehnung, nicht imperiale Überdehnung, scheint die größere Gefahr zu sein."

Es spricht alles dafür, dass die von Haass vertretene Argumentation vom "imperialen Amerika" in großen Zügen den heute dominierenden Ansichten der herrschenden Klasse der USA und damit denen des US-Staates entspricht, der in erster Linie dieser Klasse dient. Nachdem die Existenz eines US-Imperiums jahrelang geleugnet wurde, hat die veröffentlichte Meinung in den Vereinigten Staaten jetzt eine Position eingenommen, die das "Amerikanische Imperium" mit seinem "imperialen Militär" und seinen "imperialen Protektoraten" verherrlicht. Diese Veränderung in der wahrnehmbaren öffentlichen Haltung geschah erstmals Ende der 90er Jahre, als deutlich wurde, dass die USA nach dem Ende der Sowjetunion nicht nur die einzig verbliebene Supermacht wurden, sondern dass außerdem Europa und Japan aufgrund ihrer im Vergleich zu den USA schwächeren wirtschaftlichen Wachstumsraten weniger in der Lage waren, den USA ökonomisch als Rivalen entgegen zu treten. Europa schien angesichts des Debakels der jugoslawischen Bürgerkriege auch nicht in der Lage zu sein, selbst in seinem eigenen Bereich militärisch ohne die Vereinigten Staaten zu handeln.

Als Washington seinen weltweiten Krieg gegen den Terrorismus nach dem 11. September 2001 begann, wurden die imperialen Dimensionen der US-Außenpolitik immer deutlicher. Das US-Empire wird daher jetzt von politischen Experten und den führenden Medien als eine den USA aufgrund ihrer noch nie da gewesenen Rolle in der Welt notwendig auferlegte "Last" dargestellt. Die Vereinigten Staaten gelten als Kopf einer neuen Form des Empires, das nichts mehr mit nationalen Interessen, wirtschaftlicher Ausbeutung, Rassismus oder Kolonialismus zu tun hat, sondern ausschließlich deshalb existiert, um Freiheit und Menschenrechte zu fördern. Wie Michael Ignatieff, Professor für Menschenrechtspolitik an der Kennedy School of Government, Harvard University, im New York Times Magazine (5. Januar 2003) verkündete, ist "Amerikas Empire nicht so wie frühere Weltreiche auf Kolonien, Eroberungen und der Bürde des Weißen Mannes aufgebaut ... Das Imperium des 21. Jahrhunderts ist eine Neuentwicklung in den Annalen der Politischen Wissenschaften, ein Empire light, eine globale Hegemonie, deren Verzierungen freie Märkte, Menschenrechte und Demokratie sind, die durch die furchtbarste militärische Macht erzwungen werden, die die Welt je gekannt hat."

Solche hochtrabenden Worte beiseite - was das "Imperium des 21. Jahrhunderts" zu einer Sache von entscheidender Bedeutung für die Menschheit macht, ist Washingtons gesteigerte Bereitschaft, seine unangefochtene militärische Macht zur Invasion und Besetzung anderer Länder einzusetzen, wann immer die USA dies als absolut notwendig erachten, um ihre Ziele zu erreichen. Allerdings hat, wie der indische Wirtschaftswissenschaftler Prabhat Patnaik vor mehr als einem Jahrzehnt angemerkt hat, "kein Marxist jemals die Existenz des Imperialismus aus der Tatsache heraus begründet, dass es Kriege gibt. Im Gegenteil - die Existenz von Kriegen wurde aus dem Imperialismus heraus erklärt." Ist die Realität des Imperialismus durch die stattfindenden Kriege einmal wieder ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit gelangt, gilt es die zugrunde liegenden Ursachen herauszufinden.

Klassischer Imperialismus

Eine der einflussreichsten Darstellungen des britischen Imperialismus im 19. Jahrhundert in der herrschenden Wissenschaft wurde mit dem Artikel "Der Imperialismus des Freihandels" gegeben, den die Wirtschaftshistoriker John Gallagher und Ronald Robinson vor einem halben Jahrhundert geschrieben haben. Haass benützte Teile dieser Analyse, um sein Thema "Imperiales Amerika" zu begründen. Die zentrale These des Artikels von Gallagher und Robinson war einfach: Imperialismus ist eine immerwährende Realität der wirtschaftlichen Expansion in modernen Zeiten. Wer Imperialismus vorwiegend mit Kolonien und Kolonialismus assoziierte und deshalb die Balgerei um Afrika und die koloniale Expansion des späten 19. Jahrhunderts als Basis für ein allgemeines Modell des Imperialismus ansah, lag falsch. Der britische Imperialismus im ganzen 19. Jahrhundert blieb in seiner inneren Logik im Wesentlichen gleich, auch wenn er sich in einer Periode auf die Ausweitung des Freihandels und in einer anderen auf die Annexion von Kolonien konzentrierte. Gallagher und Robinson arbeiteten in der selben Passage, aus der Haass zitierte, heraus, dass die britische Politik dem Prinzip folgte, ihre Kontrolle zwanglos wenn möglich und ganz offiziell wenn nötig auszuüben. Die eine Methode als "antiimperialistisch" und die andere als "imperialistisch" zu bezeichnen, würde die Tatsache ignorieren, dass unabhängig von der Methode die britischen Interessen ständig gesichert und ausgeweitet wurden. Die übliche Kennzeichnung der Politik des Imperiums des Freihandels als "Handel statt Beherrschung" sollte besser als "zwanglose Kontrolle durch Handel wenn möglich; Handel mit Herrschaftsausübung wenn nötig" bezeichnet werden. ... Trotz ... Versuchen, einen "mühelosen und billigen Imperialismus" aufzubauen, erzwang die Bedrohung der britischen Spitzenstellung im tropischen Afrika (im späten 19. Jahrhundert) und das annähernde Fehlen großangelegter, starker, einheimischer politischer Organisationen dort - die anderswo der zwanglosen Expansion so gut gedient hatten - schließlich den Umschwung hin zu ganz offizieller Herrschaftsausübung.

Für das Verständnis des britischen Imperialismus im 19. Jahrhundert legte dieses Argument nahe, dass nicht auf den Kolonialismus, sondern auf den "Imperialismus des Freihandels" das Hauptaugenmerk gerichtet werden sollte. Nur wenn die ökonomischen Ziele Großbritanniens nicht durch zwanglose Kontrolle gesichert werden konnten, verlegte es sich auf formellen Imperialismus oder Kolonisierung, also auf direkten und andauernden Einsatz militärischer und politischer Kontrolle, um die Ziele durchzusetzen. Wenn oft gesagt wurde, dass "der Handel der Flagge folgte", wäre die Formulierung viel richtiger, dass es "für den britischen Handel eine generelle Tendenz" gab, "der unsichtbaren Flagge des informell, zwanglos errichteten Weltreichs zu folgen." Das "besondere Merkmal" des "britischen Freihandels-Imperialismus im 19. Jahrhundert", argumentierten diese Autoren, war dass der Einsatz seiner militärischen Kraft und hegemonialer Macht im Allgemeinen darauf beschränkt war, sichere Bedingungen für ökonomische Vorherrschaft und Expansion zu schaffen.

Das offenkundigste Beispiel eines solchen informellen Imperialismus war die britische Rolle in Südamerika im 19. Jahrhundert. Britannien hielt eine Kontrolle der Region mit verschiedenen Wirtschaftsverträgen und Finanzbeziehungen aufrecht, denen durch die britische Seestreitmacht Nachdruck verliehen wurde. Wie es der britische Außenminister George Canning 1824 formulierte: "Spanisch-Amerika ist frei; und wenn wir nicht alles falsch machen, ist es englisch." Immer, so führen Gallagher und Robinson aus, wurde der britische Einfluss so ausgeübt, dass solche "Gebiete in rein ergänzende Satelliten-Ökonomien" verwandelt wurden, "die für Großbritannien Rohmaterialien und Nahrungsmittel ebenso bereitstellten wie sich ausweitende Märkte für seine Industrie." Wenn es keine andere Möglichkeit sah, seine Dominanz zu erzwingen, war Britannien immer bereit, zu aktiven Interventionen zu greifen - was im Lateinamerika des 19. Jahrhunderts auch mehrfach geschah.

Wie der hervorragende deutsche Historiker Wolfgang J. Mommsen in seinen "Imperialismustheorien" anmerkte, lag die Bedeutung des Konzeptes vom Informellen Imperialismus darin, dass es dazu tendierte, den Abgrund zwischen marxistischen und nichtmarxistischen Herangehensweisen zu überbrücken, da es die historische Kontinuität des Imperialismus als einer Manifestation wirtschaftlicher Expansion hervorhob und ihn eben nicht mit seinen direkt politisch-militärischen Zügen verwechselte.

Durch die Erkenntnis, dass es vielfältige informelle Typen imperialistischer Vorherrschaft gibt, die der Errichtung offizieller Herrschaft vorausgehen, sie begleiten oder sogar unnötig machen, ist das westliche (nichtmarxistische) Denken über das Thema Imperialismus der marxistischen Theorie näher gekommen ... Allgemein gesagt geben die meisten nichtmarxistischen Theoretiker heutzutage zu, dass Abhängigkeiten vom imperialistischen Typus sehr gut aus den verschiedensten Arten informellen Einflusses resultieren können, besonders aus solchen wirtschaftlicher Natur. Imperialistische Mächte in der kolonialen Peripherie waren keinesfalls ständig genötigt, ihre politische Macht tatsächlich anzuwenden - es war normalerweise durchaus genug, zu wissen, dass die imperialistischen Gruppen im Krisenfall auf die Unterstützung durch die Macht in der Metropole rechnen konnten. Direkte politische Herrschaft erscheint so lediglich als die spezifischste, aber nicht als die normalste Form imperialistischer Abhängigkeit.

Ironischerweise unterschieden Gallagher und Robinson ihr Herangehen von den klassischen Arbeiten von John Hobson (in seinen Imperialismusstudien von 1902) und Lenin (in "Imperialismus, das höchste Stadium des Kapitalismus" von 1916), indem sie sowohl Hobson als auch Lenin mit einem engeren Blickwinkel in Zusammenhang brachten , der sich mehr auf Fälle offener Kontrolle oder von Kolonialismus bezog. Besonders Lenin habe, argumentierten diese Autoren, indem er das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts, als sich koloniale Annexionen auf ihrem Höhepunkt befanden, als ein qualitativ neues Stadium des Kapitalismus (nämlich als sein monopolistisches oder imperialistisches Stadium) bezeichnete, den Imperialismus eher mit direkter statt informeller Kontrolle assoziiert.

Diese Kritik zielte aber ins Leere, da Lenin selbst betont hatte, dass der Imperialismus nicht notwendigerweise direkte Kontrolle beinhaltete, was besonders im Falle des britischen Imperialismus in Lateinamerika im 19. Jahrhundert zu beobachten war. " Die Teilung der Welt in ... Kolonien besitzende Länder auf der einen Seite und Kolonien auf der anderen Seite", analysierte er, machte nicht die ganze Vielseitigkeit der Beziehungen zwischen Nationalstaaten des Kerns und der Peripherie aus. Tatsächlich sprach Lenin von "einer Vielzahl von Formen abhängiger Länder; Ländern, die offiziell politisch unabhängig sind, aber in Wirklichkeit in ein Netz finanzieller und diplomatischer Abhängigkeiten verstrickt sind ... Halbkolonien", wie zum Beispiel Argentinien, das finanziell so stark von London abhängig war, dass es praktisch als Kolonie bezeichnet werden konnte.

Die Realität eines informellen Freihandels-Imperialismus (oder eines Imperialismus ohne Kolonien) war nie ein Rätsel für die marxistische Theorie, die den Imperialismus als einen historischen Prozess ansah, der mit kapitalistischer Expansion einherging und nur sekundär von den politischen Formen, in denen er sich verdeutlichte, geprägt war. Der Grund dafür, das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts als das imperialistische Stadium zu charakterisieren, hatte im Werk Lenins und der meisten folgenden marxistischen Theoretiker nicht vorrangig mit einem Wechsel von informellem zu ganz direktem Imperialismus zu tun, auch nicht mit der bloßen Tatsache einer Vielzahl von Annexionen in der Peripherie, sondern eher mit der Evolution des Kapitalismus selbst, der sich hin zu seinem monopolistischen Stadium entwickelt und einen qualitativ neuen Typus des Imperialismus geschaffen hatte. Es war genau diese historisch spezifische Analyse des Imperialismus als einer Manifestation kapitalistischer Entwicklung in all seiner Komplexität (ökonomisch, politisch, militärisch, Kern und Peripherie), die der marxistischen Imperialismustheorie ihre Bedeutung als einen in sich geschlossenen Weg verleihen sollte, die tieferen globalisierenden Tendenzen des Systems zu verstehen.

Gemäß dieser Interpretation war der Imperialismus in gewisser Weise von Anfang an im Kapitalismus angelegt. Viele der Formen des heutigen Imperialismus, so die Entwicklung des Weltmarktes, die Teilung zwischen Kern und Peripherie, die rivalisierende Jagd nach Kolonien oder Halbkolonien, die Abschöpfung des Mehrwertes, die Sicherung von Rohmaterialien für das Mutterland usw. sind Teil des Kapitalismus als eines globalen Systems seit dem späten 15. Jahrhundert. Imperialismus im weitesten Sinne hatte seine Quellen in der Akkumulationsdynamik des Systems (so grundlegend wie die Jagd nach Profit selbst), die die Länder im Zentrum der kapitalistischen Weltwirtschaft und besonders die auf Reichtum gerichteten Interessen innerhalb dieser Länder ermutigte, ihre eigenen Nester durch die Aneignung von Mehrwert und lebenswichtigen Ressourcen aus der Peripherie auszupolstern - was Pierre Jaee "Die Ausplünderung der Dritten Welt" nannte. Durch eine Vielzahl von Zwangsmaßnahmen waren die ärmeren Ökonomien der Satelliten seit dem Zeitalter der Eroberungen im späten 15. und im 16. Jahrhundert so strukturiert, dass ihre Systeme der Produktion und Verteilung weniger ihren eigenen Bedürfnissen entsprachen als denen der dominierenden Metropolen. Trotzdem war die Anerkennung solcher gleichbleibender Merkmale in den verschiedenen Phasen kapitalistischer Entwicklung völlig vereinbar mit der Beobachtung, dass es eine qualitative Änderung in der Natur und Bedeutung des Imperialismus gegeben hatte, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begann und weitreichend genug war, dass Lenin sie als ein neues Stadium des Kapitalismus bezeichnen konnte.

Marxisten haben deshalb oft zwischen einem älteren Imperialismus und dem sogenannten "neuen Imperialismus" unterschieden, der in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts begann. Vor allem zwei Dinge zeichneten diesen Neuen Imperialismus aus: Erstens der Zusammenbruch der britischen Hegemonie und der zunehmende Konkurrenzkampf um die Kontrolle über die Gebiete der Welt zwischen den verschiedenen entwickelten kapitalistischen Staaten und zweitens der Aufstieg monopolistischer Konzerne - großer, integrierter Industrie- und Finanzfirmen - als die dominierenden wirtschaftlichen Akteure in allen entwickelten kapitalistischen Staaten. Die neuen Mammutkonzerne trachten aus ihrer Natur heraus danach, nationale Grenzen zu überschreiten und die globale Produktion und Konsumption zu dominieren. Wie Harry Magdoff bemerkte, ist "der Drang nach Dominanz dem Geschäft immanent". In diesem imperialen Kampf engagierte monopolistische Firmen wurden häufig durch ihre eigenen Nationalstaaten bevorzugt. Die marxistische Theorie des Neuen Imperialismus, mit seiner Betonung des Aufstiegs der gigantischen Firmen, deutete so auf die global veränderten wirtschaftlichen Bedingungen, die sich gemeinsam mit dem, was später als multinationale oder globale Konzerne bekannt wurde, entwickelten. Dies alles wurde zu dem Zusammenhang, in dem sich die älteren Phänomene wie die Mehrwertabschöpfung, das Rennen um die Kontrolle der Rohmaterialien und Ressourcen, die Bildung wirtschaftlicher Kolonien in der globalen Peripherie und der niemals endende Wettkampf zwischen rivalisierenden kapitalistischen Mächten auf neue und veränderte Art und Weise manifestierte.

Es war dieses Verständnis des Imperialismus als einer historischen Realität der kapitalistischen Entwicklung, die mit der Entwicklung des Systems selbst neue Charakteristika zeigte, was das marxistische Herangehen von den üblichen Interpretationen am schärfsten unterschied. Letztere sahen den Imperialismus meist als eine reine Politik und assoziierten ihn vorrangig mit politischen und militärischen Aktionen von Staaten. Nach Meinung des weiter verbreiteten Mainstreams (von dem realistische Wirtschaftshistoriker wie Gallagher und Robinson abwichen), gab es Imperialismus nur in offenkundigen Fällen politischer und territorialer Kontrolle, die durch tatsächliche militärische Eroberung eingeleitet wurden. In marxistischer Sicht hingegen lag Imperialismus nicht nur in der Politik von Staaten, sondern auch in den Aktionen der Konzerne und den Mechanismen von Handel, Finanzen und Investitionen. Er umfasste eine ganze Konstellation von Beziehungen zwischen den Klassen, einschließlich der Pflege örtlicher Kollaborateure oder Kompradorenelemente in den abhängigen Gesellschaften. Jede Erklärung der Wirkungsweise des modernen Imperialismus erforderte so eine Beschreibung des Gesamtsystems des Monopolkapitalismus. Laut dieses Sicht war informelle Kontrolle der Länder im Zentrum des Systems über die Länder der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems ebenso wichtig wie ganz offizielle Kontrolle. Kämpfe um Hegemonie und, allgemeiner, Rivalitäten zwischen den führenden kapitalistischen Staaten gingen weiter, nahmen aber veränderte Formen an - je nach den ihnen zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Mitteln.

Das imperiale Amerika und die Welt nach dem Kalten Krieg

Wenn in marxistischer Sicht das wichtigste Unterscheidungsmerkmal des modernen Imperialismus im Aufstieg der gigantischen Konzerne zur Vorherrschaft lag, veränderte sich die Verteilung der Macht innerhalb des Systems, wie sie sich in der relativen Position verschiedener Nationalstaaten widerspiegelte, trotzdem mit der Zeit erheblich. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert war die wichtigste weltweite Realität der Niedergang der britischen Hegemonie und in der Folge die zunehmende Rivalität zwischen den entwickelten kapitalistischen Staaten, die zum Ersten und Zweiten Weltkrieg führte. Der Aufstieg der Sowjetunion im Kontext des 1. Weltkrieges war eine von außen kommende Herausforderung für das System, die schließlich zu einem Kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten, der neuen hegemonialen Macht der kapitalistischen Weltwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg, und der Sowjetunion führte. Deren Fall im Jahre 1991 ließ die Vereinigten Staaten als die einzige Supermacht übrig. Ende der 90er Jahre hatten die Vereinigten Staaten dann auch gegenüber ihren wichtigsten wirtschaftlichen Rivalen an Boden gewonnen. Das Ergebnis all dieser Veränderungen war zu Beginn des neuen Jahrhunderts, wie Henry Kissinger 2001 in "Braucht Amerika eine Außenpolitik?" erklärte, dass die Vereinigten Staaten "eine Überlegenheit erlangt" hatten, die "selbst die größten Weltreiche der Vergangenheit nicht genossen."

Dies führte natürlich zu der Frage, was die Vereinigten Staaten mit diesem enormen "Überfluss an Macht" anfangen sollten. Washingtons Antwort war, besonders nach dem 11.9., seine imperialen Ambitionen mit erneuten Interventionen in der globalen Peripherie zu verfolgen - in einem seit dem Vietnamkrieg nicht mehr gesehenen Ausmaß. In seinem imperialen Krieg gegen den Terrorismus ist sich der US-Staat mit den expansiven Zielen der US-Geschäftswelt einig. Ganz wie Business Week Online Ende Januar 2003 die wirtschaftlichen Vorteile einer US-Invasion des Irak beschrieb: "Da das US-Militär die Öl- und Gasdepots des Iraks (die zweitgrößten bekannten Reserven der Welt nach Saudi Arabien) einige Zeit kontrollieren würden, ständen US-Firmen in der ersten Reihe, einen lukrativen Teil des Geschäfts abzusahnen. Sie könnten auch Bohrrechte ergattern." Firmen der ölverarbeitenden Industrie, die von den Vereinigten Staaten dominiert wird, könnten "sich ebenso siegreich fühlen wie die US-Spezialeinheiten." Das Hauptziel solcher militärischer Invasionen ist ja ein Regimewechsel und die darauffolgende Restrukturierung der Wirtschaft des "Schurkenstaates" - so genannt, weil er außerhalb der vor allem von den Vereinigten Staaten definierten imperialen Ordnung steht -, um ihn den dominierenden Erfordernissen der kapitalistischen Weltwirtschaft anzupassen, was beinhaltet, seine Ressourcen einer intensiveren Ausbeutung zu öffnen. Richard Haass (dessen Zuständigkeiten in der jetzigen Administration ausgeweitet wurden; er ist jetzt auch US-Koordinator der Politik für die Zukunft Afghanistans) argumentierte in seinem Buch "Intervention", dass Regimewechsel oftmals nur durch eine umfassende militärische Invasion erreicht werden kann, die das eroberte Land in Ruinen zurücklässt und einen darauf folgenden Neuaufbau einer Nation ("nation-building") erforderlich macht:
"Es ist schwierig, mit militärischer Macht auf spezifische Individuen zu zielen ... US-Versuche, Gewalt anzuwenden, um Veränderungen in der politischen Führung durchzusetzen, scheiterten in den Fällen Gaddafi in Libyen, Saddam im Irak und Aideed in Somalia. Gewaltanwendung kann einen Kontext herstellen, in dem politische Veränderung wahrscheinlicher wird, aber ohne besondere Intelligenz und eine gehörige Portion Glück ist es unwahrscheinlich, dass Gewaltanwendung an sich besondere politische Veränderungen hervorbringt. Der einzige Weg, die Wahrscheinlichkeit solcher Veränderungen zu erhöhen, besteht in höchst eindringlichen Interventionsformen, wie 'nation-building', was zunächst beinhaltet, jegliche Opposition zu eliminieren und sich dann in einer Besetzung zu engagieren, die einen grundsätzlichen Aufbau einer anderen Gesellschaft ermöglicht."
Eine solche "nation-building" Operation, betonte Haass, beinhaltet "das Niederschlagen und die Entwaffnung jeder örtlichen Opposition und die Etablierung einer politischen Amtsgewalt, die ein Monopol oder fast ein Monopol der Kontrolle über die rechtmäßige Anwendung von Gewalt genießt." (Dies ist Max Webers wohlbekannte Definition eines Staates, nur in diesem Fall von einer Invasionsmacht eingesetzt.) Das erfordert daher, wie Haass in Form eines Zitates eines außenpolitischen Analytikers anmerkt, eine Besetzung von "imperialem Ausmaß und möglicherweise von endloser Dauer."

Es ist genau diese Art Invasion von "imperialem Ausmaß" und unbestimmter Dauer, die nun offensichtlich der wichtigste Punkt bei Washingtons Krieg gegen den Terrorismus ist. In den Prozessen der Besetzung und des "nation-building" nach Invasionen (wie im Falle Afghanistans) wird expliziter Kolonialismus im unverschämten Sinne des 19. Jahrhunderts vermieden werden. Es wird keine formelle Annexion geben, und wenigstens eine lokale Pseudo-Herrschaft wird von Anfang an eingerichtet werden, sogar während der direkten militärischen Besetzung. Trotzdem wird ein zentrales Ziel sein, etwas von dem zu erreichen, was früher der klassische Kolonialismus erreicht hatte. Wie Magdoff ausführte, war "der Kolonialismus, verstanden als direkte Anwendung militärischer und politischer Gewalt, notwendig dafür, die sozialen und ökonomischen Institutionen vieler abhängiger Länder den Bedürfnissen der Metropolen anzupassen. War diese Anpassung einmal geschehen, reichten die wirtschaftlichen Kräfte - die internationalen Preis-, Marketing- und Finanzsysteme - in sich aus, das Verhältnis von Dominanz und Ausbeutung zwischen Mutterland und Kolonie zu verewigen und sogar zu intensivieren. Unter diesen Umständen konnte der Kolonie formale politische Unabhängigkeit gewährt werden, ohne grundsätzlich etwas zu ändern, und ohne zu sehr mit den Interessen in Konflikt zu geraten, die ursprünglich zur Eroberung der Kolonie geführt hatten."

Etwas dieser Art passiert in Afghanistan und wird nun für den Irak geplant. Ist ein Land einmal völlig entwaffnet und für die Bedürfnisse der Länder im Zentrum der kapitalistischen Welt neustrukturiert, ist das "nation-building" fertig und die Besetzung wird wahrscheinlich ihr Ende finden. Aber in Gegenden mit lebenswichtigen Ressourcen wie Öl (oder denen strategische Bedeutung bezüglich des Zugangs zu solchen Ressourcen zugesprochen wird), wird eine Verschiebung von ganz offiziellem zu informellem Imperialismus nur langsam oder nur auf sehr eingeschränkte Weise stattfinden. "Informelle Kontrolle" oder die Mechanismen der globalen Akkumulation, die systematisch die Kernnationen bevorzugen, bilden die normalen Mittel, mit denen die imperialistische Ausbeutung der Peripherie funktioniert. Aber dies erfordert gelegentlich außerordentliche Maßnahmen, um widerspenstige Staaten wieder zur Konformität mit dem Markt und der internationalen Machthierarchie mit den USA an der Spitze zu bringen.

Heute erscheint der US-Imperialismus besonders deutlich, weil er direkt mit Krieg verbunden ist und von einer endlosen Serie weiterer Kriege spricht, um im Grunde die gleichen Ziele zu erreichen. Wenn wir aber die alldem zugrunde liegenden Kräfte verstehen wollen, sollten wir uns von diesem gesteigerten Militarismus und dieser Aggression nicht von der inneren Logik des Imperialismus ablenken lassen, die besonders in der immer weiter aufklaffenden Schere in Einkommen und Reichtum zwischen reichen und armen Ländern deutlich wird, sowie in den Nettotransfers wirtschaftlichen Mehrwerts von der Peripherie ins Zentrum, die diese Schere möglich machen. Die wachsende Polarisierung von Reichtum und Armut zwischen Nationen (die innerhalb der Länder ebenso existiert) ist weltweit gesehen die dieses System krönende Errungenschaft. Sie ist es auch, worum es im Kampf gegen den modernen Imperialismus schließlich geht. Wie Magdoff in "Imperialismus ohne Kolonien" argumentiert, gibt es eine grundlegende Einheit wirtschaftlicher, politischer und militärischer Herrschaft im Kapitalismus. Diejenigen, die den Symptomen des Imperialismus Widerstand entgegen bringen wollen, müssen erkennen, dass es unmöglich ist, eines dieser Symptome effektiv zu bekämpfen, ohne gleichzeitig alle anderen - und somit das gesamte System - in Frage zu stellen.

* John Bellamy Foster ist einer der Herausgeber der "Monthly Review", deren Mai-Ausgabe 2003 wir den Artikel entnommen haben. Es handelt sich dabei um eine leicht überarbeitete Version der Einführung in eine Essaysammlung von Harry Magdoff, "Imperialismus ohne Kolonien" (Monthly Review Press, 2003). Fußnoten mit allen Belegen finden sich in diesem Buch. Übersetzung: Jürgen Köster.

Der Beitrag erschien in Heft 4/2003 der "Marxistischen Blätter". Mit bestem Dank für die Wiederveröffentlichungserlaubnis!


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