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Wasser wird Ware

Privatisierung der Versorgung mit wichtigstem Lebensmittel steht auf der Tagesordnung bei Verhandlungen über Freihandelsabkommen zwischen EU und USA

Von Ben Mendelson *

Der Wassersektor in der Europäischen Union (EU) ist erneut vom Ausverkauf bedroht. Denn ein Abkommen über die weltweit größte Freihandelszone zwischen den USA und der EU könnte genau das vorsehen. Käme es dazu, hätte dies Vorrang vor anders lautenden EU-Richtlinien.

Nachdem fast zwei Millionen Mensche aus EU-Staaten die Petition der Bürgerinitiative »Right 2 Water« gegen Privatisierungen im Wassersektor unterschrieben hatten, schien das Thema zunächst erledigt zu sein. Die Initiative wurde unter anderem von vielen Bürgermeistern, Gewerkschaften sowie vereinzelt von regionalen Regierungen unterstützt. Gemeinsam brachte man den Vorstoß des EU-Kommissars Michel Barnier von der konservativen französischen UMP-Partei zu Fall: Die Wasserversorgung wurde aus der Dienstleistungskonzessionsrichtlinie gestrichen. Damit ist deren Ausschreibung zugunsten privater Anbieter nicht verbindlich.

Die erste europäische Bürgerinitiative verhinderte die Umsetzung der Pläne von Binnenmarktkommissar Barnier, der die Kommunen auch im Wassersektor zur Ausschreibung ihrer Dienstleistungen verpflichten wollte. Durch das Votum der Bevölkerung schien ein erster wichtiger Schritt unternommen worden zu sein, hin zu einem freien Zugang zu sauberem Trinkwasser und zur sanitären Grundversorgung für alle, fern von Profitinteressen multinationaler Konzerne.

In Europa erreichte die Privatisierungswelle des Wassersektors ab den 90er Jahren Dutzende Großstädte, oft stieß die Politik gut erhaltene Betriebe ab, um marode Haushalte zu sanieren. Der groß organisierte Protest gegen den Verkauf dieser Einrichtung der öffentlichen Daseinsvorsorge ließ bis zum Ende der 2000er-Jahre auf sich warten – dann aber hatte er schnell Erfolg: So wurde die Rekommunalisierung (teil)privatisierter Wasserbetriebe in Berlin, Paris und London in den letzten Jahren durch öffentlichen Druck auf den Weg gebracht.

In den durch die Euro-Krise am meisten betroffenen Ländern wird jedoch, diktiert von der Troika, der Ausverkauf der Wasserversorgung weiterhin forciert. So sollen die großen Konzerne beispielsweise bereits untereinander die lukrativen Wasserbetriebe Griechenlands aufteilen. EU-Kommissar Barnier beteuerte jedoch in einem Interview im Sommer: »Wasser ist ein öffentliches Gut – auch für mich. Und das soll es bleiben.«

Genau das wird in zweierlei Hinsicht bezweifelt. Einerseits ist die Streichung der Wasserversorgung aus der Konzessionsrichtlinie nicht endgültig, wie Johanna Söhnigen von der Bürgerinitiative Berliner Wassertisch (berliner-wassertisch.info) gegenüber jW erklärte. In spätestens acht Jahren solle »überprüft werden, wie sich die Herausnahme auf den europäischen Binnenmarkt auswirkt«. Andererseits bestehe, so Söhnigen, die Gefahr, daß die Wasserversorgung in den bilateralen Verhandlungen zwischen EU und USA um ein transatlantisches Freihandelsabkommen »der Zwangsprivatisierung« zum Opfer fallen kann. Das Thema stehe jedenfalls wieder auf der Verhandlungsagenda. Da die EU alles unter Marktdruck stelle, sei zu befürchten, daß sie erneut versuchen werde, die Wasserversorgung zu »liberalisieren«.

Auch die Verhandlungen über ein derartiges Abkommen zwischen Kanada und der EU könnten laut Christa Hecht, der Geschaftsführerin der Allianz der öffentliche Wasserwirtschaft e.V. (AöW), auf der anderen Seite des großen Teichs zur Privatisierung der bislang vielerorts kommunal organisierten kanadischen Wasserbetriebe führen. Die französischen Konzerne Veolia und Suez würden nach der Ratifizierung des Abkommens versuchen, die Privatisierung der Wasserver- und -entsorgung zu erzwingen, berichtete Hecht auf einer Diskussionsveranstaltung des Berliner Wassertischs Anfang November. Bereits heute gehören die beiden Konzerne zu den größten privaten Konzernen dieser Sparte auf der Welt. Allein Veolia Deutschland versorgt nach eigenen Angaben jeden Tag 4,6 Millionen Menschen mit Trinkwasser.

Als Global Player nutzten Veolia und Co. vielfältige Mittel und Wege, »von Imagekampagnen bis zur Korruption und Einflußnahme auf kommunale, nationale oder internationale Gesetzgebung«, hieß es von einem Vertreter des Wassertisches auf jW-Nachfrage. So versuchten sie zu kaschieren, daß sie nicht für die Allgemeinheit, sondern lediglich im Sinne privater Profitinteressen handelten.

Dennoch ist es aus Sicht von vielen Bürgerinitiativen und Kommunalpolitikern nicht unwahrscheinlich, daß der eigentlich beerdigte Plan von Michel Barnier in ähnlicher Form Teil des Abkommens zwischen Europäischer Union und Vereinigten Staaten sein wird. Der EU-Protest wäre dann obsolet: Denn für das Freihandelsabkommen würde ein »Anwendungsvorrang« gelten, weshalb es gegenteilige EU-Richtlinien aushebeln könnte, berichtete der Münchner Merkur.

Durch das Handelsabkommen werde eine »Wirtschafts-NATO« mit grenzenlosen Befugnissen geschaffen, sagen Kritiker. Nicht die Bevölkerung, sondern Privatpersonen ohne demokratische Legitimation entschieden über grundsätzliche Fragen, die letztlich alle Bereiche umfaßten, die von der Profitgier privater Konzerne betroffen seien.

AöW-Geschäftsführerin Christa Hecht erinnerte auf der Diskussionsveranstaltung mit Blick auf die transatlantischen Verhandlungen, die in den kommenden Wochen in Washington fortgesetzt werden sollen, daran, daß die Vereinten Nationen (UN) den Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu sanitärer Grundversorgung seit 2010 als Menschenrecht anerkennen. Aktuell diskutiert werde die Frage, wie dieses Recht in den jeweiligen Ländern umgesetzt werden kann. Auch ob die Schaffung dieses Zugangs für alle Menschen mit dem Profitgedanken der Konzerne vereinbar ist, haben EU, USA und auch die UN bis heute nicht nachgewiesen.

* Aus: junge welt, Montag, 9. Dezember 2013


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