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Gerechtigkeit oder Politik?

Anhörung zu einem Wiederaufnahmeverfahren des Prozesses gegen die "Cuban Five" ("Miami Five"). Hintergrund, Bericht und Interview

Cuban Five (auch: Miami Five) bezeichnet eine Gruppe von Kubanern, die im Auftrag der kubanischen Regierung in exilkubanischen Organisationen in Miami (USA) Informationen über terroristische Aktivitäten gegen Kuba sammelten und nach ihrer Verhaftung 1998 zu hohen Strafen verurteilt wurden.
Im Folgenden dokumentieren wir

  1. eine kurze Beschreibung des Hintergrunds (siehe Kasten)
  2. einen Artikel über das Wiederaufnahmeverfahren im August 2007 und
  3. ein Interview mit zwei Prozessbeobachtern.



Der Fall Miami Five

Bei den fünf Kubanern handelt es sich um Gerardo Hernández, Antonio Guerrero, Ramón Labañino, Fernando Gonzáles und René Gonzáles. Diese wurden, nachdem sie auf Anweisung ihrer Regierung hin Teile ihrer Ermittlungstätigkeit den US-Behörden bekannt gemacht hatten, im September 1998 in Miami verhaftet und vor Gericht gestellt. Die 26 Anklagepunkte reichten von Spionage über Verschwörung bis hin zu Mord.

Die Mordanklage gegen Gerardo Hernandez folgt einer abenteuerlichen Argumentation: Durch seine Berichte über die exilkubanische Gruppe Hermanos de Rescate (Brüder der Rettung) soll Hernandez dazu beigetragen haben, dass die kubanische Luftwaffe 1996 zwei Sportflugzeuge abschoss, die zu früheren Zeitpunkten unter Verletzung des kubanischen Luftraums regierungsfeindliche Flugblätter über Kuba abgeworfen hatten. Der Abschuss am 26. Februar 1996 soll gemäß kubanischen Angaben nach mehrfacher Aufforderung zur Landung innerhalb kubanischen Luftraumes erfolgt sein. Diese Darstellung wird indessen von der ICAO (International Civil Aviation Organization) in Frage gestellt. Die ICAO behauptet,
  • dass entgegen den im internationalen Luftverkehr üblichen Verfahren keine Versuche durch die kubanischen Abfangjäger oder Bodenstellen zur Kontaktaufnahme bzw. Umleitung beider Flugzeuge erfolgt sind;
  • dass beide Maschinen außerhalb kubanischen Luftraumes über internationalen Gewässern abgeschossen wurden.
Bei dem Vorfall starben alle vier Insassen (Carlos Costa, Pablo Morales, Armando Alejandre Jr, Mario de la Pena).

Im Juni 2001 wurden die Cuban Five in allen Anklagepunkten von einem Geschworenengericht für schuldig befunden. Die drastischen Strafen lauten:
  • Gerardo Hernández: zweimal lebenslänglich plus 15 Jahre.
  • Antonio Guerrero: lebenslänglich plus 10 Jahre.
  • Ramón Labañino: lebenslänglich plus 18 Jahre.
  • Fernando Gonzáles: Gefängnisstrafe von 19 Jahren.
  • René Gonzáles: Gefängnisstrafe von 15 Jahren.
Die kubanische Regierung betrachtet die Miami Five als „Gefangene des Imperiums“ und „Kämpfer gegen den Terrorismus“ und fordert deren Freilassung.

In vielen Ländern der Welt, auch in den USA und sogar in Miami selbst, bildeten sich Solidaritätskommitees, die diesen Prozess als politisch beeinflusstes Verfahren sehen und der US-amerikanischen Justiz schwere Menschenrechtsverletzungen und Rechtsbeugung vorwerfen (auch: Nobelpreisträger Günter Grass, Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, der Linguist und Philosoph Noam Chomsky, die Pulitzer-Preisträgerin Alice Walker, Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der USA, Nadine Gordimer, Schriftstellerin, Mikis Theodorakis, Komponist).

Neue Hoffnung

Am 9. August 2005 verwarf ein dreiköpfiges Appellationsgericht die Urteile von 2001. Begründung: Die fünf Angeklagte hätten kein faires Verfahren erwarten können wegen der vorherrschenden Anti-Castro-Stimmung in Miami.

Am 9. August 2006 widerspricht das Berufungsgericht dieser Auffassung mit dem Argument, dass ja kein Exil-Kubaner Mitglied des Gerichts gewesen sei. Die Urteile von 2001 wurden bestätigt. Allerdings wurde eine Anhörung zu anderen Fragen des Verfahrens zugelassen.

Diese Anhörung fand nun am 20. August 2007 in Atlanta statt. Ein dreiköpfiges Richtergremium des Berufungsgerichts hörte sich Beschwerden der Verteidiger der Cuban Five an, wonach die Ankläger eine Reihe Verfahrensfehler im Prozess 2001 begangen hätten, einschließlich der Überbetonung der Rolle Castros.

Quelle: Wikipedia; St. Petersburg Times, 21. August 2007



"Cuban Five" werden zur Staatsangelegenheit

Atlanta: Anhörung zum Fall verurteilter Kubaner positiv bewertet. Uruguay für Neuauflage des Verfahrens

Von Harald Neuber *

Eine halbe Stunde – mehr Zeit blieb der Verteidigung nicht, um am Montag nachmittag (Ortszeit) für ein Berufungsverfahren im Fall der fünf kubanischen Informanten zu plädieren, die in den USA zu langjährigen Haftstrafen verurteilt sind. Das Berufungsgericht in Atlanta beschäftigte sich zum dritten Mal mit dem Fall der »Cuban Five«, seit Gerardo Hernández, René González, Ramón Labañino, Antonio Guerrero und Fernando González 2001 in Miami verurteilt worden waren. In einem unfairen Verfahren, wie am Montag (21. August) erneut deutlich wurde.

Die Anwälte hätten »sehr gut« dargelegt, daß das Hauptverfahren politisch beeinflußt gewesen sei, sagte der chilenische Jurist Juan Guzmán. Der pensionierte Ermittlungsrichter hatte der Anhörung als Mitglied einer internationalen Beobachtermission beigewohnt. »Dem Verlauf nach schätze ich die Lage für die Verteidigung positiv ein«, sagte Guzmán, der in seinem Land führend an den Verfahren gegen Exdiktator Augusto Pinochet beteiligt war. Die Anwälte der Kubaner hätten überzeugend auf eine Serie von Unstimmigkeiten und Verfahrensfehlern hingewiesen.

Die fünf kubanischen Männer waren 1998 in Miami festgenommen worden. Nach eigenen Angaben hatten sie terroristische Organisationen überwacht, von denen Anschläge in dem sozialistischen Inselstaat befürchtet wurden. Von der US-Justiz wurden sie unter anderem wegen »Verschwörung mit dem Ziel der Spionage« zu Haftstrafen zwischen 15 Jahren und lebenslänglich verurteilt.

Sechs Jahre nach dem international kritisierten Schuldspruch sprechen sich Beobachter aus aller Welt für eine Neuauflage des Hauptverfahrens aus. Am Montag appellierte zudem die uruguayische Regierungspartei »Breite Front« an die US-Justiz, das Verfahren neu aufzurollen. Der Fall der »Cuban Five« hat damit eine neue Dimension erreicht.

* Aus: junge Welt, 22. August 2007


"Dieser Prozeß ist einzigartig"

Politverhandlung in Atlanta: Internationale Beobachter bei Anhörung im Fall der fünf inhaftierten Kubaner.
Ein Gespräch mit Eberhard Schultz und Norman Paech *




Herr Schultz, der chilenische Jurist Juan Guzmán sieht nach der Anhörung am Montag gute Chancen für ein Berufungsverfahren im Fall der fünf in den USA inhaftierten Kubaner. Wie haben Sie den Termin erlebt?

Schultz: Die Richter haben gleich zu Beginn erklärt, daß sie den Standpunkt der Staatsanwaltschaft nicht teilen, nach der die Argumente der Verteidigung schon durch die letzte Entscheidung des Gerichtes hinfällig seien. Die Staatsanwaltschaft wollte damit offenbar sämtliche neuen Einwände vom Tisch wischen. Das hat das Gericht verhindert.

Herr Paech, am Tag der Anhörung hat die uruguayische Regierungspartei »Breite Front« die US-Justiz aufgefordert, den fünf Kubanern ein faires Verfahren zu gewähren. Wäre ein solcher Appell nicht auch aus Deutschland notwendig?

Paech: Die Linkspartei hat ja bereits zwei entsprechende Initiativen gestartet, die jeweils von allen 53 Bundestagsabgeordneten unterstützt wurden. Beim ersten Mal haben wir in einem Brief an Kongreßabgeordnete, das US-Justizministerium und das Gericht ein faires Verfahren eingefordert. Im zweiten Schreiben ging es darum, daß Ehefrauen der Gefangenen der Zugang zu ihren Männern verweigert wurde. Das war ein klarer Verstoß gegen internationales Recht.

Weshalb wurde das Thema dann noch nicht im Bundestag angesprochen?

Paech: Unter anderem, weil der Fall in der Bundesrepublik noch auf geringe Resonanz stößt. Im Bundestag müssen wir zunächst daran arbeiten, die antikubanische Mentalität der anderen Parteien zu durchbrechen.

Gäbe es denn Bündnispartner in anderen Fraktionen?

Paech: Es gibt einzelne, zum Beispiel in der SPD, vielleicht auch bei den Grünen. Grundätzlich aber eint die anderen Fraktionen eine antikubanische Haltung, die sie daran hindert, in dem vorliegenden Fall gegen die offensichtlichen Rechtsverstöße Position zu beziehen.

Welche Rolle haben die Prozeßbeobachter in Atlanta gespielt?

Schultz: Unter anderem war Paolo Lins e Silva anwesend, der Vorsitzende der Internationalen Anwaltsvereinigung. Diese Organisation interveniert eigentlich nur bei der Verfolgung von Rechtsanwälten. Diesem Fall aber wurde eine so große Bedeutung beigemessen, daß sich Lins e Silva für eine Teilnahme entschieden hat. Er begründete das mit der Verletzung von Menschenrechten, etwa der erwähnten Verweigerung des Besuchsrechts für Ehefrauen der inhaftierten Kubaner.

Eine Niederlage für die Verteidigung ist trotz dieser internationalen Aufmerksamkeit nicht ausgeschlossen. Schließlich wurde schon einmal im Sinne der Verteidigung geurteilt, die Entscheidung später aber widerrufen. Welche Perspektive sehen Sie?

Schultz: Diese Gefahr besteht weiterhin. Tatsache ist aber auch, daß ein solcher Fall in der Geschichte der US-Justiz noch nie dreimal nachverhandelt wurde. Das ist einzigartig. Es wäre also sehr außergewöhnlich, wenn die Staatsanwaltschaft ein für die Verteidigung positives Urteil noch einmal anfechten würde.

In der US-Presse wurde die Berufung eines dritten Richters für die Anhörung am Montag kritisch bewertet, weil er als rechter Jurist gilt. Wie sehen Sie seinen Einsatz?

Schultz: Vor Gericht spielte das keine Rolle. Die Kritik in der US-Presse bezog sich vor allem auf seine früheren Entscheidungen. Der neu berufene dritte Richter hatte sich als entschiedener Gegner der Abtreibung und homosexueller Partnerschaften einen Namen gemacht. Als Präsident George W. Bush 800 Berufsrichter benennen wollte, legte die Demokratische Partei gegen einige dieser Richter zunächst ihr Veto ein, unter anderem gegen den am Montag anwesenden. Nach Verhandlungen stimmten die Demokraten dann doch zu. Die bekannten Positionen des Richters lassen befürchten, daß er einer Entscheidung zugunsten der fünf Kubanern nicht zustimmen wird. In der gegenwärtigen Konstellation – es sind insgesamt drei Richter – wird das aber nicht erheblich sein.

Interview: Harald Neuber

* Der Völkerrechtler Norman Paech ist Abgeordneter der Fraktion Die Linke im Bundestag. Eberhard Schultz arbeitet als Rechtsanwalt in Bremen und Berlin. Beide haben am Montag die Anhörung in Atlanta verfolgt.

Aus: junge Welt, 22. August 2007



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