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Washington nervös

CIA-Affäre um Vernichtung von Videobeweisen könnte alle früheren USA-Politskandale in den Schatten stellen

Von Alexander Bahar *

Die Debatte um die Vernichtung von Videobeweisen für CIA-Folterverhöre in den USA nimmt immer schärfere Formen an. In einem kürzlich an die US-Medien gelangten internen Memorandum vom 13. Dezember beschuldigt der frühere Leiter (executive director) der Untersuchungskommission zu den Anschlägen vom 11. September, Philip Zelikow, den US-Auslandsgeheimdienst CIA, die Ermittlungen der Kommission systematisch blockiert zu haben. Der stellvertretende Vorsitzende der Kommission, der demokratische Kongeßabgeordnete Lee Hamilton, bestätigte diese Einschätzung. Gegenüber der New York Times (22. Dezember) sagte Hamilton, der Geheimdienst habe die Arbeit der Kommission »klar behindert«.

Mit den vernichteten Videobändern hatte die CIA die Verhöre zweier Terrorverdächtiger dokumentiert. Beide wurden nach ihrer Gefangennahme im Jahr 2002 in Pakistan in geheimen CIA-Verhörzentren gefoltert, wobei u. a. das bei der CIA beliebte »Waterboarding« zum Einsatz kam, wie der CIA-Agent John Kiriakou in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC jüngst bestätigte. Kiriakou droht deshalb ein Verfahren wegen Geheimnisverrats. Die Aussagen der beiden Verhörten sollen zur Festnahme der angeblichen Drahtzieher des 11. September, Ramzi Binalshibh und (des ebenfalls brutal gefolterten) Khalid Scheich Mohammed geführt haben.

Von der Vernichtung der Bänder im November 2005 hatte die New York Times erstmals am 7. Dezember berichtet und damit eine Lawine ins Rollen gebracht. Die Verhörvideos waren sowohl den Gerichten, etwa im Verfahren gegen den wegen seiner angeblichen Verwicklung in die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu einer lebenslanger Haftstrafe verurteilten Zacharias Moussaoui, als auch den Geheimdienstausschüssen und der 11.-September-Kommission des US-Kongresses vorenthalten worden. Dem Memorandum Zelikows zufolge hat die CIA die Verhörvideos der 11.-September-Kommission ganz gezielt verheimlicht. Zelikow fordert deshalb eine Untersuchung des Falles. Damit soll geklärt werden, ob die CIA rechtswidrig gehandelt habe. Laut US-Bundesrecht macht sich strafbar, wer »wissend und vorsätzlich« Information vor einer Untersuchungskommission zurückhält oder den Ermittlern gegenüber falsche Angaben macht. Die jüngsten Enthüllungen legen den Verdacht nahe, daß mit der Vernichtung der Bänder nicht nur Beweise für die Mißhandlung und Folter von Gefangenen, sondern auch Material vernichtet werden sollte, das der regierungsoffiziellen Darstellung der Anschläge vom 11. September und ihrer Hintergründe zuwiderläuft. Verschiedenen Quellen zufolge soll einer der Verhörten die Beteiligung des pakistanischen Geheimdienstes und von Mitgliedern der saudischen Königsfamilie an der Planung der Anschläge vom 11. September offenbart haben.

Inzwischen hat sich der Bezirksrichter des Distrikts Columbia, Henry Kennedy, eine Entscheidung über eine mögliche gerichtliche Untersuchung des Vorgangs vorbehalten. Kennedy hatte 2005 während einer Verhandlung über die Haftbedingungen in Guantánamo gefordert, daß alle Beweise und Informationen über Folter und Mißhandlungen in dem Gefangenenlager auf Kuba aufbewahrt werden müßten. Fünf Monate später vernichtete die CIA die Bänder -- laut CIA-Chef Michael Hayden, um die Ermittler, die auf den Bändern zu identifizieren gewesen seien, vor möglichen Racheakten zu schützen. Naheliegender ist jedoch der Verdacht, die CIA habe mit den Aufnahmen mögliche Beweise für für die Mißhandlung oder gar Folter von Gefangenen beseitigen wollen.

Die Bush-Regierung reagiert auf die täglich neuen Enthüllungen mit wachsender Nervosität. In einem internen Memo an CIA-Mitarbeiter hatte CIA-Chef Hayden am 6. Dezember behauptet: »Die Entscheidung zur Vernichtung der Bänder wurde von der CIA selbst getroffen.« Präsident Bush will erst vor kurzem sowohl von der Existenz der Bänder als auch von ihrer Vernichtung erfahren haben. Darüber hinaus verweigert das Weiße Haus unter Verweis auf laufende Untersuchungen des Justizministeriums und der CIA jede weitere Auskunft. Während Regierungsbeamte versicherten, das Weiße Haus habe mit der Zerstörung der Bänder nichts zu tun, berichtete die New York Times am 19. Dezember, daß an den Diskussionen, die der Vernichtung der Bänder vorausgegangen waren, mindestens vier Topjuristen des Weißen Hauses teilgenommen hatten. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, daß Bush und Cheney über die zwischen ihren Mitarbeitern und der CIA diskutierten kriminellen Machenschaften im Dunkeln gelassen wurden.

Mit dem Untertitel »White House Role Was Wider Than It Said (Das Weiße Haus spielte eine größere Rolle als zugegeben)« brachte die New York Times diesen Sachverhalt auf den Punkt -- und das Weiße Haus auf die Palme. Von diesem öffentlich zu einer Korrektur aufgefordert, beugte sich das einstmals liberale US-Vorzeigeblatt in einem Akt knechtischer Unterwürfigkeit dem Druck aus Washington und korrigierte den Beitrag wunschgemäß auf seiner Internetseite. Weniger Erfolg hatte die Bush-Administration bei ihren Bemühungen, eine Untersuchung des Kongresses zu verhindern. Ein Untersuchungsausschuß des US-Repräsentantenhauses hat inzwischen eine Vorladung für den früheren CIA-Mitarbeiter Jose Rodriguez ausgestellt, der die Vernichtung der geheimen Foltervideos beaufsichtigt haben soll. Rodriguez hatte hierfür von Anwälten des Geheimdienstes grünes Licht bekommen, während der CIA-Chefjurist John Rizzo von dieser Entscheidung erst nachträglich erfahren haben will. Dem früheren Leiter des National Clandestine Service der CIA könnte womöglich die undankbare Aufgabe des Bauernopfers zufallen. Zwei frühere hochrangige CIA-Mitarbeiter haben Rodriguez in der Times of London vom 23. Dezember inzwischen entlastet. Beide halten es für schlicht unmöglich, daß Rodriguez auf eigene Faust gehandelt hat. »Es sieht zunehmend danach aus, daß die Entscheidung vom Weißen Haus getroffen wurde«, sagte einer der beiden.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2008


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