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Der Folterpräsident

Politisch Verantwortliche bisher straffrei

Von Olaf Standke *

Dank seiner Memoiren wissen wir es nun genau: Bushs »Blut kochte«, als er von den Anschlägen am 11. September 2001 erfuhr, und für ihn stand fest: »Wir würden herausfinden, wer das getan hat, und sie fertigmachen.« So zog er in seinen verheerenden »Krieg gegen den Terror«. Und hat nichts dazu gelernt. Auch heute noch steht Bush z.B. hinter den »harschen« Methoden bei Verhören von Terrorverdächtigen. Als die CIA anfragte, ob bei dem Pakistaner Khalid Sheikh Mohammed, einem vermuteten Drahtzieher der Anschläge, das simulierte Ertrinken angewandt werden dürfe, antwortete er: »Damn right!« (Verdammt, ja) – obwohl die USA die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen 1994 ratifiziert hatten.

Das sogenannte Waterboarding wurde zum Alltag, etwa im berüchtigten Gefangenenlager Guantanamo, das Bush einrichten ließ. Über 750 Terrorverdächtige wurden dort seit Anfang 2002 inhaftiert, ohne Anklage und ohne Zugang zu Anwälten. Da sich das Lager nicht auf US-Staatsgebiet befindet und den Insassen der Status von Kriegsgefangenen verweigert wird, werden diesen »illegalen Kämpfern« auch Rechte verwehrt, die in den USA gelten würden. Obwohl sein Nachfolger Barack Obama versprochen hat, das Lager innerhalb eines Jahres zu schließen, werden dort noch immer 174 Männer festgehalten, wie USA-Vertreter Harold Koh jetzt im UN-Menschenrechtsrat erklärte.

Waterboarding, so Menschenrechtler, sei Folter pur und damit völkerrechtlich verboten. Allein Sheikh Mohammed wurde offiziellen Angaben zufolge 183 Mal der brutalen Prozedur unterzogen. Bei dem Palästinenser Abu Subaida kamen die peniblen Folterbürokraten auf 83 »Anwendungen« allein im August 2002. In jedem Rechtsstaat müssten so gewonnene Geständnisse zu den Akten gelegt werden. Obama erließ nach seinem Amtsantritt ein Folterverbot. Doch stellte der neue Präsident auch klar, dass Agenten, die Gefangene derart unter Druck setzten, nicht juristisch belangt werden könnten, da sie auf Befehl von oben handelten. Nach der von der Bürgerrechtsorganisation ACLU gerichtlich erzwungenen Veröffentlichung eines internen CIA-Folterreports wurde zumindest die Einsetzung eines Sonderstaatsanwaltes angeordnet. Er soll untersuchen, ob CIA-Beamte und Mitarbeiter von privaten Sicherheitsfirmen bei der Vernehmung von Terroristen gegen Gesetze verstießen.

Wie Justizminister Eric Holder im Juni laut »Main Justice« erklärte, stehe John Durham »kurz vor dem Abschluss einer vorläufigen Prüfung, ob es Anhaltspunkte für eine Gesetzesverletzung« gebe. Doch Spitzenbeamte in seinem Haus bauten damals schon vor: Es könne Monate dauern, bis alles geprüft sei. Im UN-Menschenrechtsrat nach dem Stand befragt, verwies Koh darauf, dass die Ermittlungen noch immer liefen. Vorwürfe, man hätte mutmaßliche Folterer bisher nicht verfolgt, seien aber falsch; in über 100 Fällen sei das schon geschehen, man habe auch Täter bestraft.

Und die politisch Verantwortlichen? Die bleiben nach wie vor unbehelligt. Juristen der Bush-Regierung z.B. müssen keine Strafe fürchten. John Yoo und Jay Bybee – die Autoren der vier Foltermemos aus den Jahren 2002 und 2005, in denen detailliert 14 »harsche« Verhörmethoden geschildert und ihre Anwendung gerechtfertigt wurden – hätten zwar »schlechtes Urteilsvermögen« an den Tag gelegt, so das Justizministerium in einem Untersuchungsbericht, sich aber kein professionelles Fehlverhalten zuschulden kommen lassen.

Eine interne Ethik-Stelle des Ministeriums war zuvor noch zum gegenteiligen Schluss gekommen und hatte berufliche Sanktionen gegen die Juristen empfohlen. Sie blieben verschont, wie andere, die Foltermethoden autorisierten. Schließlich begann die Befehlskette im Weißen Haus. Und während die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für Folter und Misshandlung fordert, lehrt Yoo mittlerweile an der Universität von Kalifornien, ist Bybee Richter an einem Berufungsgericht in Nevada, und Bush rühmt sich seiner Menschenrechtsverletzungen.

Als Washington jetzt erstmals im UN-Menschenrechtsrat über die Lage im Lande Rede und Antwort stehen musste, versicherte Vize-Außenminister Michael Posner in Genf, dass unter Präsident Obama nicht mehr gefoltert werde: »Es gibt keine Misshandlung von Gefangenen, ohne wenn und aber.« Das berüchtigte Waterboarding gehöre endgültig der Vergangenheit an.

* Aus: Neues Deutschland, 9. November 2010


Hang zum Kriegsverbrecher

Heute erscheinen in den USA Bushs geschönte Memoiren

Von Reiner Oschmann **


Heute kommen die Memoiren von Bush jun., die sich auf Schlüsselmomente in seinem Leben und seine Amtszeit als Präsident konzentrieren, unter dem Titel »Decision Points« (Entscheidungspunkte) in die US-amerikanischen Buchläden.

Dass Geschichtsschreibung oft Planung der Vergangenheit ist, weiß man. Im Fall des 43. USA-Präsidenten erfolgt sie besonders dreist. Die Kolumnistin Maureen Dowd schrieb zu den heute erscheinenden Erinnerungen von George W. Bush (64): »In seinen raffiniert zurecht gestellten, furchtbar selektiven Memoiren ist W. der Präsident, von dem wir uns alle wünschten, dass es ihn so tatsächlich gegeben hätte: mitfühlend, parteiübergreifend, lustig und charmant, instinktiv und unabhängig, in der Lage, Fehler zu gestehen und daraus zu lernen – und ein guter Papa, der den Zwillingstöchtern seinen Burschenschaftssong aus der Zeit an der Yale-Uni als Gutenachtlied vortrug.«

Die meisten politischen Beobachter sind sich bei Erscheinen von »Decision Points« einig, dass die Memoiren des republikanischen Präsidenten, der 2001 bis 2009 amtierte, insgesamt so geschönt und verlogen daher kommen wie seine Präsidentschaft. Nichts bereut und nichts dazu gelernt – auf diesen Nenner lassen sich sein Bekenntnis zum Irak-Krieg, seine Billigung von Folter, seine Verteidigung der Todesstrafe oder seine Sicht auf den Ausbruch der großen Wirtschafts- und Finanzkrise des Kapitalismus im Jahr 2008 bringen.

Seit Bush am 20. Januar 2009 Washington im »Marine One«-Hubschrauber verließ und zurückgezogen im Vorort Preston Hollow von Dallas (Texas) an seinen Memoiren arbeitete, hat sich trotz anderslautender Hoffnungen seiner Getreuen nichts an Bushs Einschätzung als einem verheerenden Präsidenten geändert. Joe Klein, einer der erfahrensten Beobachter der acht letzten Präsidentschaftswahlen, notierte zu seinem Abschied: »Dies ist ein Präsident, der zwischen zwei Extremen schwankte – anmaßender Arroganz und lähmender Inkompetenz.«

»Wenn ich nach Texas zurückgehe und dort in den Spiegel schaue, bin ich stolz auf das, was ich sehe«, hatte dagegen Bush erklärt. Dieses Zeugnis stellt er sich nun auch in seinen Erinnerungen aus. Der Ex-Präsident, vorher Gouverneur von Texas, sah sich als Westernheld und bewegte sich – etwa bei seinem fälschlich den Sieg über den Irak feiernden Auftritt am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger »Abraham Lincoln« – in der Öffentlichkeit auch so. Obwohl er sich geärgert habe, in Saddam Husseins Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden zu haben (die Behauptung war Invasionsvorwand), sei der Krieg richtig gewesen; er habe die USA »sicherer gemacht«.

Bushs Präsidentschaft hatte mit seiner Amtseinsetzung gleichsam per Gerichtsbescheid nach einer Wahl begonnen, die er nicht gewinnen konnte. Sie war von vielen Dramen geprägt, von denen die Terroranschläge am 11. September 2001 und das Erdbeben im September 2008, das die kapitalistische Finanzarchitektur aus den Angeln hob, die schwerst wiegenden sind. Dazu kommen die Kriege in Afghanistan und Irak, der Folterskandal von Abu Ghoreib, der Menschenrechtsskandal Guantanamo und eine Fast-Verdopplung der US-Staatsschuld, der Anstieg der Zahl von US-Amerikanern ohne Krankenversicherung um acht auf 47 Millionen sowie riesige Steuergeschenke an die reichsten der reichen Amerikaner. In einer Umfrage kürten ihn fast zwei Drittel von 109 Historikern zum schlechtesten Präsidenten aller Zeiten.

** Aus: Neues Deutschland, 9. November 2010


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