Obama: Anschlag war ein "Terrorakt"
Noch keine konkreten Spuren nach Attentat bei Boston-Marathon. Große Teile der Innnenstadt abgeriegelt *
Nach dem Bombenanschlag auf den Boston-Marathon ermitteln die Sicherheitsbehörden nach eigenen Angaben in mehrere Richtungen. Als Attentäter vermuten sie eine regierungsfeindliche Gruppe aus dem Inland oder Islamisten, wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Ermittlerkreisen erfuhr. US-Präsident Barack Obama sprach am Dienstag von einem »Terrorakt«. Am Montag waren bei zwei fast zeitgleichen Explosionen in der Nähe der Ziellinie des Marathons drei Menschen getötet worden, darunter Medienberichten zufolge ein achtjähriger Junge. Laut Polizei wurden 176 Menschen verletzt, der Zustand von 17 Patienten sei kritisch. Obama erklärte, man werde die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.
In der Stadt ging die Nationalgarde des Bundesstaates Massachusetts in Stellung, während schwerbewaffnete Polizisten die Krankenhäuser sicherten. Große Teile der Innenstadt blieben abgesperrt. Die Bundespolizei FBI übernahm die Leitung der Ermittlungen, an denen sich neben den örtlichen Behörden auch der Geheimdienst CIA beteiligt.
Ein FBI-Vertreter sprach auf einer Pressekonferenz am Dienstag von »sehr aktiven« Ermittlungen und betonte zugleich, daß es keine weiteren Bedrohungen gebe. Ermittlungsdetails wollte er nicht nennen. Auch zu Berichten, nach denen ein verletzter Student aus Saudi-Arabien verhört worden sei und im Krankenhaus von der Polizei bewacht werde, äußerte er sich nicht. Es gebe aktuell keine Festnahmen, hieß es.
Nach Angaben des Gouverneurs von Massachusetts, Deval Patrick, wurden keine weiteren Sprengsätze gefunden. Zunächst hatte es in Medienberichten geheißen, daß möglicherweise zwei oder drei weitere Bomben entdeckt worden seien, die nicht funktioniert hätten. Patrick zufolge fand die Polizei zwar mehrere verdächtig erscheinende Gegenstände, die vorsichtshalber gesprengt worden seien. Dabei habe es sich aber nicht um Bomben gehandelt.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. April 2013
"The angst" ist zurück
Gedanken an 2001 werden wach
Von John Dyer, Boston **
Die US-Amerikaner haben sich
an Nachrichten über vereitelte
Attentate gewöhnt: Da war
2001 der »Schuhbomber« oder
Weihnachten 2009 der Passagier,
der ein Flugzeug mit
Sprengstoff zerfetzen wollte,
der in seiner Unterwäsche
versteckt war. Die Gewöhnung
beruhigte, doch jetzt ist man
wieder aufgeschreckt. Die
Bomben von Boston lassen
befürchten: Der Terror ist
wieder da. Und damit Unsicherheit
und Hilflosigkeit.
»Gerade denkst du noch,
wir leben in Sicherheit. Und
nun sieh dir das an«, sagt Adrienne
Wald. Sie war am Montag
am Tatort. Erst kürzlich ist
sie von New York nach Boston
umgezogen, um an der Universität
von Massachusetts
Mediziner auszubilden. »Ich
war am 11. September (2001)
in New York. Das hier war wie
ein Erinnerungsblitz. Die beiden
Explosionen. Es braucht
nur eine Handvoll Hohlköpfe,
um einen wundervollen Tag zu
ruinieren.« Adrienne leitete
eine Gruppe von 30 Studenten,
die freiwilligen Dienst in einem
Erste-Hilfe-Zelt neben der
Ziellinie des Marathonlaufs
leistete. Sie berichtet von chaotischen
Szenen, abgerissenen
Armen und Beinen und viel
Blut auf der Straße. Dazu die
Furcht vor einer weiteren
Bombe. Alle fragen sich: Wie
konnte es den Bombenlegern
gelingen, an den Polizisten,
Nationalgardisten und anderen
Sicherheitskräften vorbei zu
kommen?
Ein Bürger überwältigte einen
Mann aus Saudi-Arabien,
der nach den Explosionen davonlief.
Er wurde überprüft
und freigelassen. Der Saudi
war wohl Opfer eines unwillkürlich
einsetzenden Gefühls
geworden, dass hinter Attentaten
immer Al Qaida oder andere
radikalislamistische Täter
stehen müssten. Dafür spricht
aus Expertensicht aber eigentlich
nichts. »Ich wäre sehr
überrascht, wenn das von Al
Qaida ausgegangen wäre«,
sagt Terrorabwehrspezialist
Rick Nelson vom Center for
Strategic and International
Studies in Washington. »Das
ist kein typisches Ziel für sie.
Al Qaida sucht sich hochrangige
Ziele aus, die wichtiger
sind und spektakulärer als ein
Wettlauf in Boston.«
Also ein neues Oklahoma
City, wo vor 18 Jahren bei einem
Anschlag 168 Menschen
getötet wurden? Täter war
damals ein US-Amerikaner.
Sicherheitsexperten warnen
seit Jahren vor einem Erstarken
einheimischer Terrorgruppen.
Deren Motive sind
vielfältig: von der Wahl eines
afroamerikanischen Präsidenten
bis zur entschiedenen Ablehnung
strengerer Waffenkontrollen.
Das Southern Poverty
Law Center (SPLC) in
Alabama schrieb kürzlich einen
Brief an Justizminister
Eric Holder, um vor Gruppen
von »Patrioten« zu warnen, die
sich bewaffnen, um gegen die
vermeintliche Tyrannei von
links gewappnet zu sein. Der
Anschlag in Boston wurde am
»Patriots Day« verübt, einem
Feiertag zum Gedenken an den
Aufstand der Farmer von Lexington
und Concord gegen die
Kolonialmacht England.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 17. April 2013
Die Amerikaner lassen sich nicht terrorisieren
Erklärung des Präsidenten
Nachfolgend dokumentieren wir die Erklärung von US-Präsident Barack Obama zu den Explosionen während des Marathons in Boston vom 16. April 2013. Die Übersetzung besorgte der Amerika Dienst.
US-Präsident Barack Obama:
Guten Morgen. Ich habe soeben von meinem nationalen Sicherheitsteam, FBI-Direktor Mueller, Justizminister Holder, Ministerin Napolitano sowie meiner Beraterin für Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit, Lisa Monaco, weitere Informationen über die Anschläge in Boston erhalten. Wir setzen weiterhin alle Ressourcen der Strafverfolgung ein, um unsere Bürger zu schützen, diesen Angriff zu untersuchen und auf ihn zu reagieren.
Unsere Gedanken gelten heute Morgen natürlich zuallererst den Opfern, ihren Familien und der Stadt Boston. Wir wissen, dass bei zwei Explosionen Dutzende Amerikaner verletzt wurden und andere, darunter ein achtjähriger Junge, starben.
Dies war eine abscheuliche und feige Tat. Angesichts dessen, was wir über das Geschehen wissen, behandelt das FBI den Fall als Terroranschlag. Immer, wenn Bomben gegen unschuldige Zivilisten gerichtet werden, handelt es sich um einen Terroranschlag. Allerdings wissen wir noch nicht, wer diesen Anschlag verübt hat, warum er verübt wurde und ob er von einer inländischen oder ausländischen terroristischen Organisation geplant und ausgeführt wurde oder von einer niederträchtigen Einzelperson. Das wissen wir noch nicht. Wir befinden uns am Anfang unserer Ermittlungen.
Es wird dauern, bis wir allen Hinweisen nachgegangen sind und herausgefunden haben, was geschehen ist. Aber wir werden es herausfinden. Wir werden diejenigen finden, die unseren Bürgern Schaden zugefügt haben, und sie zur Rechenschaft ziehen.
Wir wissen auch: Die Amerikaner lassen sich nicht terrorisieren. Was die Welt gestern nach den Explosionen gesehen hat, war Heldenmut, Güte, Großherzigkeit und Liebe: erschöpfte Läufer, die weiter zum nächsten Krankenhaus liefen, um Blut zu spenden. Andere, die den Verletzten halfen und teilweise ihre eigene Kleidung zerrissen, um einen Druckverband anzulegen. Die Krisenreaktionskräfte, die sich in das Chaos begaben, um Leben zu retten. Die Frauen und Männer, die in einigen der besten Krankenhäuser der Welt die Verletzten behandelten, die Medizinstudenten, die zur Hilfe eilten und sagten: „Als wir davon gehört haben, sind wir alle gekommen.“ Die Priester, die ihre Kirchen öffneten, und sich um die Verletzten und Ängstlichen kümmerten. Und die hilfsbereiten Bürger von Boston, die ihre Häuser für die Betroffenen und die Opfer dieses Anschlags öffneten.
Wenn Sie also wissen wollen, wer wir sind, wie Amerika ist und wie wir auf das Böse reagieren – so sind wir: selbstlos, mitfühlend, furchtlos.
In den kommenden Tagen werden wir keine Mühe scheuen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Wir werden wachsam bleiben. Ich habe meine Regierung angewiesen, angemessene Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der amerikanischen Bevölkerung zu treffen. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um sich daran zu erinnern, dass wir alle unseren Teil beitragen können: Wenn Sie also etwas Verdächtiges sehen, sagen Sie es.
Ich habe außerordentliches Vertrauen in die Frauen und Männer des FBI, der Bostoner Polizei und der anderen Behörden, die gestern so heldenhaft und effektiv auf die Ereignisse reagiert haben. Ich bin sehr dankbar für die Führungsrolle, die Gouverneur Patrick und Bürgermeister Menino übernommen haben. Während wir unsere Bürger schützen und die Ermittlungen energisch vorantreiben, werden die Menschen in Boston – dessen bin ich mir sicher – weiter ebenso stolz und heroisch reagieren, wie sie es bisher getan haben – und ihre amerikanischen Mitbürger werden ihnen dabei zur Seite stehen.
Vielen Dank. Im Laufe des Tages werden Sie von unseren Strafverfolgungsbeamten weiter informiert werden. Wenn wir über weitere Einzelheiten verfügen, werden wir sie bekannt geben. Ich habe Ihnen gesagt, was wir jetzt wissen. Wir wissen, dass Bomben gezündet wurden. Wir wissen, dass sie offensichtlich erheblichen Schaden angerichtet haben. Wir wissen nicht, wer sie gelegt hat. Wir wissen nicht, ob es sich um die Tat einer Organisation oder einer oder mehrerer Einzeltäter handelt. Wir haben noch keine Informationen über das Tatmotiv. Alles andere wäre zu diesem Zeitpunkt Spekulation. Sobald wir mehr Informationen haben, sobald das FBI mehr Informationen hat, wenn unsere Terrorismusbekämpfungsteams mehr Informationen haben, werden wir Sie und die amerikanischen Bürger umgehend informieren.
Herzlichen Dank Ihnen allen.
Originaltext: Statement by the President
Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/
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