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Washingtons Geheimdienst liest weltweit mit

Per Gesetz und Gerichtsurteil werden die USA im Namen der Terrorbekämpfung zum Überwachungsstaat

Von John Dyer, Boston *

Der Text dieses Artikels gelangte über das Internet aus den USA nach Europa. Man darf getrost davon ausgehen, dass er zuvor auf dem Server des Geheimdienstes NSA gelandet ist.

Die Regierung in Washington lässt seit sieben Jahren die Verbindungsdaten aller Telefonate bei den großen US-amerikanischen Telefonunternehmen sammeln. Seit fast sechs Jahren werden alle Verbindungen über die Netze der großen Internetanbieter von Apple bis Google und Facebook kontrolliert – weltweit. Das alles geschieht auf der Rechtsgrundlage der Terrorabwehr. Die Aktionen im Rahmen von Artikel 215 des Staatsschutzgesetzes »Patriot Act« sind mehrfach im Kongress von allen Parteien gebilligt worden. Doch in den Medien wie von Bürgerrechtlern werden diese staatlichen Schnüffeleien heftig kritisiert.

Die schockierenden Enthüllungen der letzten Tage sind jetzt von Geheimdienstdirektor James Clapper bestätigt worden. Sowohl der britische »Guardian« als auch die »Washington Post« hatten über die Überwachungspraktiken berichtet. In der schriftlichen Erklärung des ehemaligen Generals heißt es, dass die mit diesem »wichtigen und vollkommen legalen Programm« gesammelten Daten zu den wichtigsten und wertvollsten »Aufklärungsinformationen« gehörten. »Sie werden genutzt, um unsere Nation vor einem Fächer von Bedrohungen zu schützen.« Deshalb sei die nicht autorisierte Enthüllung verwerflich und gefährde die Sicherheit der Amerikaner, so Clapper.

Zunächst berichtete der »Guardian«, dass der Geheimdienst NSA (National Security Agency) vom Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), dem geheimsten Sondergericht in den USA, die Genehmigung erhalten habe, Telefonverbindungsdaten der Gesellschaft Verizon abzugreifen. Am Donnerstag wurde bekannt, dass nicht nur Verizon betroffen ist, sondern auch andere große Anbieter von AT&T über Sprint bis T-Mobile. Es folgten schließlich Berichte, dass die gesamte Kommunikation über das Internet bei Microsoft, Apple, Paltalk, Skype, Yahoo, YouTube oder Facebook kontrolliert wird – in Echtzeit. Und hier geht es auch um Inhalte und nicht nur um Verbindungsdaten.

Anthony Romero, Direktor der Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union, zeigte sich empört. Der Kongress habe dieses Vorgehen durch Gesetze ermöglicht, das Gericht sei »ein Papiertiger und Erfüllungsgehilfe« und die Regierung Obama »verrät ihre Werte«. Zu der öffentlichen Kritik trugen Bemerkungen aus dem Kongress wie die von Senats-mehrheitsführer Harry Reid bei, »alle sollten sich beruhigen und nicht so tun, als sei das etwas Neues«.

Tatsächlich begannen die flächendeckenden Überwachungen schon 2007 unter Präsident George W. Bush und wurden später im Kongress per Gesetz abgesegnet. Damals wurde auch das Programm PRISM zur Internetkontrolle gestartet. Doch hat Barack Obama die Bespitzelung massiv ausgeweitet, auch Firmendaten werden umfangreich kontrolliert. Internet-Riesen wie Facebook oder Apple bestreiten allerdings, dass sie der NSA Zugang zu ihren Computern gewähren. Laut »Washington Post« könnten sich die Sicherheitsbehörden aber unbemerkt von den Firmen direkt in die Computer-Netzwerke einklinken.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Juni 2013


Obama hört mit

US-Geheimdienste haben Zugriff auf Telefongespräche und Internetdienste. Washington Post berichtet über »Hintertür« bei **

Die US-Geheimdienste überwachen ungehindert die Telefongespräche von Millionen US-Bürgern und verfügen über »Hintertüren« bei großen Internetunternehme n wie Facebook, Google, Apple und Microsoft. Das geht aus Berichten hervor, die die Tageszeitungen The Guardian und Washington Post am Donnerstag (Ortszeit) veröffentlicht haben. Während sich nordamerikanische Parlamentarier »überrascht« zeigten, daß sie über die Maßnahmen nicht informiert worden seien, bestreiten die genannten Konzerne einen »direkten Zugriff« staatlicher Stellen auf ihre Ressourcen.

Am Donnerstag bestätigte der Geheimdienstausschuß des US-Senats in Washington Informationen des Guardian, wonach das Telefonunternehmen Verizon detaillierte Informationen über alle inneramerikanischen und internationalen Gespräche an die Nationale Sicherheitsbehörde (NSA) geben müsse. Als Beleg hatte das Blatt die Kopie eines streng geheimen Gerichtsbeschlusses veröffentlicht. Diesem Urteil zufolge muß Verizon unter anderem die Rufnummern beider Gesprächsteilnehmer, ortsbezogene Daten sowie die Dauer und die Uhrzeit der Anrufe an den Geheimdienst geben. Unklar blieb, ob die Anordnung auch für andere Anbieter gilt. Sie beruht auf Artikel 215 des sogenannten Patriot Act, der US-Behörden weitreichende Befugnisse zur Überwachung von »Terrorverdächtigen« gibt. Das Gesetz wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet.

Der republikanische Senator Saxby Chambliss bemerkte, daß die Datensammelei nicht neu sei. »Das läuft bereits seit sieben Jahren. Jedes Mitglied des Senats wurde darüber unterrichtet«, sagte er laut der Website »Politico«. Ein Regierungsbeamter versicherte der Washington Post, daß der Gerichtsbeschluß nicht erlaube, Telefongespräche zu belauschen. Die Verbindungsdaten auszuwerten, sei aber »ein wichtiges Mittel, die Nation vor terroristischen Bedrohungen für die Vereinigten Staaten zu bewahren«. Der demokratische Senator Dick Durbin beklagte laut »Politico« hingegen »einen ungeheuerlichen Einbruch in die Privatsphäre von Amerikanern«. Daß die Daten über alle Anrufe an die Regierung gingen, gehe weit über das Normale hinaus.

Nicht nur Telefongespräche interessieren Washingtons Spitzel, sondern auch die Nutzerdaten der weltweit wichtigsten Internetkonzerne. Wie die Washington Post am Donnerstag berichtete, arbeiten Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube und Apple wissentlich als Teil des »PRISM«-Programms mit der NSA und der US-Bundespolizei FBI zusammen. Dem Blatt liegen nach eigenen Angaben Dokumente und Powerpoint-Vorlagen zu dem bislang streng geheimen Programm vor. Diese seien der Zeitung von einem Geheimdienstmitarbeiter zugespielt worden. »Die können im wahrsten Sinne des Wortes sehen, wie Sie beim Tippen Ihre Gedanken ausformulieren«, wurde der Insider zitiert.

In US-Kreisen wurde die Existenz des Programms bestätigt. Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter sagte der Nachrichtenagentur Reuters, erfaßt würden nur die Daten von Nicht-US-Bürgern, die außerhalb des Landes lebten. PRISM wurde den Berichten zufolge 2007 unter US-Präsident George W. Bush ins Leben gerufen und von dessen Nachfolger Barack Obama ausgebaut. In den vergangenen sechs Jahren sei der Umfang der Nutzung exponentiell gewachsen und inzwischen die Grundlage für jeden siebten Geheimdienstbericht. Der Zugang zu den Servern stelle heute die umfangreichste Quelle für die täglichen Berichte des Präsidenten dar.

In ersten Reaktionen erklärten die Konzerne hingegen am Freitag, man gewähre keiner offiziellen Stelle einen direkten Zugang zu seinen Servern. ­Google teilte mit, der Regierung sei nie »eine Hintertür« geöffnet worden. Microsoft erklärte, man leiste nur Anweisungen Folge, die sich auf »spezifische Nutzer oder identifizierende Merkmale« bezögen. »Wir haben noch nie von PRISM gehört«, sagte ein Apple-Sprecher. Wenn eine Regierungsstelle Zugang zu Nutzerdaten erhalten wolle, müsse sie eine richterliche Anordnung vorlegen. Auf die direkte Frage, ob man am NSA-FBI-Programm teilnehme, lehnte Apple eine weitergehende Stellungnahme ab.

** Aus: junge Welt, Samstag, 8. Juni 2013


»Big Brother« Obama

Von Olaf Standke ***

In der Scheidung und im Krieg ist alles erlaubt; auch so ein Anwaltsspruch. Von Trennungsabsichten bei den Obamas hört man nichts, aber tiefer denn je steckt der USA-Präsident im »Krieg gegen den Terror« – und scheint keine Grenzen zu kennen. Der Zweck heiligt offensichtlich alle Mittel. Der auf Verfassungsrecht spezialisierte Jurist lässt unter Umgehung des Völkerrechts selbst eigene Staatsbürger fern der Heimat durch Kampfdrohnen exekutieren, Terrorverdächtige im rechtlichen Niemandsland Guantanamo weiter ohne Prozess und Urteil dahinvegetieren. Und nun kommt scheibchenweise ans Tageslicht, dass die Geheimdienste der Supermacht den Telefon- und Datenverkehr in einer Dimension ausspähen, die »Big Brother« zum Waisenknaben stempelt.

Abermillionen USA-Bürger wie Menschen in anderen Staaten sind betroffen, wenn etwa der Militärnachrichtendienst NSA flächendeckend Zugriff auf Unmengen Gespräche, E-Mails, Fotos, Videos und sonstige gespeicherte Daten führender US-amerikanischer Telefon- und Internetunternehmen hat. Und das gesetzlich abgesegnet. Da werden sogar Verschwörungstheoretiker blass und Datenschützer wie Bürgerrechtler gehen auf die Barrikaden. Ausgerechnet unter dem Präsidenten des vorgeblichen Wandels, der die verheerenden Verwerfungen der Bush-Ära korrigieren wollte und Transparenz, Offenheit und Augenmaß predigte, mutieren die Vereinigten Staaten im Namen der nationalen Sicherheit vollends zum Überwachungsstaat.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Juni 2013 (Kommentar)


Beobachtung mit System

Gesetz zur Bestandsdatenauskunft räumt Behörden umfassende Möglichkeiten ein

Von Robert D. Meyer ****


Die Empörung über die flächendeckende Abfrage von Millionen Telefon- und Internetdaten durch den US-Geheimdienst NSA ist berechtigt. Doch auch in Deutschland verfügen Sicherheitsbehörden über weitreichende Befugnisse.

Für US-Präsident Obama ist dieses Bild wenig schmeichelhaft. Die als linksliberal geltende Onlinezeitung »Huffington Post« zeigte gestern auf ihrer Startseite eine Fotomontage, in der das Porträt Obamas mit dem seines republikanischen Amtsvorgängers vermischt wurde. Das Ergebnis: George W. Obama. Die damit verbundene Botschaft ist vernichtend. Längst achtet Obama die Bürgerrechte der eigenen Bevölkerung nicht nur genauso wenig wie einst der Republikaner Bush, sondern er übertrifft dessen Überwachungswahn an einigen Stellen sogar deutlich. Die vom Weißen Haus geäußerte Begründung für das flächendeckende Abhörprogramm mit dem Codenamen PRISM dürfte weitestgehend aus der Vergangenheit bekannt sein.

Mögliche Terrorangriffe ließen sich nur durch eine gezielte Überwachung verhindern. »Gezielt« ist an den Maßnahmen zur »Gefahrenabwehr« schon längst nichts mehr. Doch ein mahnender Blick aus Deutschland Richtung Übersee wäre unberechtigt. Gab es in den letzten Jahren hierzulande nicht immer wieder politische Akteure, die Gesetzesprojekte wie die Vorratsdatenspeicherung und andere Überwachungsmaßnahmen mit genau der gleichen Begründung zu rechtfertigen versuchten? Jüngster Vorstoß in diese Richtung ist die ab dem 1. Juli geltende Neufassung des Gesetzes zur Bestandsdatenauskunft. Polizei, Bundeskriminalamt und Nachrichtendienste werden dadurch befugt, Informationen zu Handy- und Internetnutzern bei den zuständigen Telekommunikationsanbietern abzufragen. Die Fülle an potenziell abzugreifenden Daten durch die Sicherheitsbehörden ist riesig. Dazu gehören neben Name, Adressdaten und Telefonnummer der jeweiligen Kunden unter bestimmten Vorrausetzungen auch PIN-Codes des Mobiltelefons und Passwörter, etwa für das Mailpostfach. Indirekt, so warnen Datenschützer, könnten Ermittler den Zugang zum Mailpostfach auch nutzen, um sich Zugang zum Facebook- und Twitterprofil vermeintlicher Täter zu beschaffen.

Besonders heikel an dem Gesetz ist, dass – mit Ausnahme von Passwörtern – sämtliche Daten ohne richterlichen Beschluss abgefragt werden dürfen. Ob das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) Bestand haben wird, ist fraglich. Derzeit laufen Vorbereitungen für eine Sammel-Verfassungsbeschwerde, die von den beiden Piraten Patrick Breyer und Katharina Nocun eingereicht wird, sobald das Gesetz in Kraft tritt. Breyer war es auch, der das Vorgängergesetz 2012 vor dem BVG zu Fall brachte. Schon jetzt haben sich mehr als 8000 Menschen der Klage in Karlsruhe angeschlossen.

Einen interessanten Überblick darüber, was technisch und rechtlich in Deutschland möglich ist, liefert ein bereits 2011 im Internet aufgetauchter »Leitfaden zum Datenzugriff« der Generalstaatsanwaltschaft München. Auch wenn nicht alle darin beschriebenen Maßnahmen zulässig sind, verrät das »nur für den Dienstgebrauch« gedachte Dokument eindrucksvoll, welche Maßnahmen möglich sind und wovon so mancher Ermittler träumt. So verfügen viele Navigationsgeräte, die etwa in Limousinen verbaut werden, über SIM-Karten, wie sie in Mobiltelefonen eingesetzt werden. Mittels Telefonüberwachung ließe sich problemlos der Standort des Fahrzeugs bestimmen. Die dahintersteckende grundsätzliche Technik ist der breiten Öffentlichkeit seit der flächendeckend durchgeführten Überwachung von Demonstranten während der Antinaziproteste 2011 in Dresden bekannt.

Begehrlichkeiten scheinen auch elektronische Bezahldienste mittels internetfähigen Mobiltelefone zu wecken. So bietet die Deutsche Bahn ihren Kunden an, ihr Ticket mit Hilfe des Smartphones zu kaufen. Da die Abrechnung der Fahrt über das Mobiltelefon erfolgt, verfügt die Bahn damit laut dem Betreiber des bekannten »Law Blogs« von Udo Vetter »über die Daten sämtlicher Funkzellen, die der Nutzer durchfahren hat«. Fragten Sicherheitsbehörden die Daten ab, könnten sie ein Bewegungsprofil des Reisenden erstellen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. Juni 2013


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