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55 Gründe, mit den USA nicht solidarisch zu sein

Das neue Buch von Till Bastian

Till Bastian: 55 Gründe, mit den USA nicht solidarisch zu sein.
Zürich München: Pendo Verlag, 2002. 116 Seiten, Preis: 14,90 EUR (ISBN 3-85842-488-9)


Die Außenpolitik der nach dem Ende des Kalten Krieges verbliebenen einzigen Weltmacht USA wird unverkennbar immer imperialer. Die Ereignisse des 11. September 2001 gaben dieser Entwicklung einen kräftigen Schub. Die Jahrzehnte lang beiderseits des Atlantik beschworene NATO-Solidarität wurde von den USA aufgekündigt. Die NATO durfte zwar nach dem 11. September in einem ziemlich eigenartigen Schnellverfahren zum erstenmal in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall erklären, blieb dann aber bei allem weiteren politisch außen vor. Die gegenwärtige Kriegführung der USA und die ihr zu Grunde liegende Politik sind erklärtermaßen rein amerikanisch.

Vom Krieg in Afghanistan bis zu den derzeitigen Vorbereitungen für einen Krieg gegen den Irak war und ist die Politik der USA gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft und insbesondere auch gegenüber ihren Verbündeten heute so unilateral, nationalistisch und imperialistisch wie nie zuvor. Und sie ist dies nicht nur in den militärischen Teilen der internationalen Beziehungen, sondern darüber hinaus, mit noch viel weiter reichenden negativen Folgen für die Menschheit, auch im Bereich der großen Weltprobleme. Denn diese können die - wie etwa Hunger und AIDS, Klimazerstörung und Menschenrechtsverletzungen. - nicht ohne wenigstens ein Minimum an internationaler Solidarität gelöst werden. Jüngstes Beispiel für die politische Grundhaltung der USA ist ihr unter Schädigung des Friedensprozesses auf dem Balkan unternommener Vorstoß, für den Welt-Strafgerichtshof ein Zwei-Klassen-Recht zu schaffen: für die allgemeine Menschheit die Strafverfolgung und für die Bürger der USA das Privileg der Freiheit von Verfolgung.

Till Bastian - Dr. med., praktischer Arzt, lange Jahre engagierter deutscher Geschäftsführer der noblen Organisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) und heute kritischer politischer Autor - hat seine Wut über diese politische Grundhaltung der USA in einem Buch zusammengefasst. Wobei er im Titel der klaren Ablehnung von Solidarität mit der amerikanischen Politik noch den an die deutsche Adresse gerichteten Zusatz hinzugefügt hat: "... und schon gar nicht bedingungslos". Es ist dies ein engagiertes, gleichzeitig aber auch ein ausgesprochen sachlich und nüchtern geschriebenes Buch. So werden z.B. Zuspitzungen und brisante Vergleiche, wie etwa der zwischen Aktionen der USA und denen von Nazi-Deutschland, immer auch sorgfältig belegt.

Der Autor bündelt die vielfältigen Gründe, die sich, wie er zeigt, gegen eine Solidarität mit heutiger amerikanischer Politik ergeben, in 55 Kapiteln. Mit ihnen führt er den Leser Schritt für Schritt durch das weite Feld kritisch zu beurteilender Teile der amerikanischen Außenpolitik jenseits der beiden Großthemen Hiroshima und Vietnam, von den Versuchen, Castro und Allende zu liquidieren, bis zu den heutigen Ungereimtheiten und Auffälligkeiten im amerikanischen Kampf gegen den Terrorismus.

Als rote Fäden ziehen sich durch die Darstellung insbesondere: Die Konstante, dass die USA einer schnellen und punktuell orientierten Politik mit Hilfe von Waffengewalt den Vorzug vor einer umfassend orientierten mittel= und langfristigen vorbeugenden Politik geben; ferner die Unbekümmertheit, mit der die USA Völkerrecht verletzen; dazu die Rücksichtslosigkeit, mit der sie gegenüber ihren Verbündeten und gegenüber internationalen Organisationen, sowie im militärischen Kampf gegenüber der Zivilbevölkerung handeln; auch die Sprunghaftigkeit, mit der sie Staaten und Kräfte (wie etwa den Irak und die afghanischen Mudjahedin) zunächst als Alliierte und dann plötzlich als Schurken verstehen; schließlich der absolute Vorrang, den in der amerikanischen Politik nationale Interessen und der eigene Wohlstand vor lebenswichtigen Interessen anderer Staaten und Völker haben; und die wichtige Rolle, die in diesem Rahmen für die amerikanische Außenpolitik die Versorgung der USA mit Rohstoffen, insbesondere mit Öl, spielt; usw.

Viele der vom Autor erwähnten Beispiele sind bekannt und zum Teil auch von kritischen Beobachtern schon heftig diskutiert worden. Das besondere des Buches ist jedoch, dass mit ihm die vielen Einzelfälle, die in den geschichtlichen und politischen Abläufen als solche entstanden und im allgemeinen in der Öffentlichkeit auch vorwiegend als Einzelfälle verstanden werden, sich hier zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen, das eine besondere Qualität der amerikanischen Außenpolitik zeigt.

Die Analyse des Autors zeigt einmal mehr, dass die USA, verglichen mit den Staaten Europas, immer noch eine junge und unfertige Nation sind, die eine Außenpolitik betreibt, wie sie die europäischen Staaten bis ins 20. Jahrhundert hinein betrieben haben, als sie noch weltpolitisch bedeutsame Mächte waren, die sie seither aber versuchen, zu Gunsten einer für die Welt besseren Politik zu überwinden. Insofern ist es bedauerlich, dass der Autor in seine Darstellung nicht auch die Kritik und den Widerstand einbezogen hat, die sich in den USA selbst (wenn auch sicher nicht als Massenbewegung) gegen diese Aspekte der amerikanischen Außenpolitik richten, und dass er die Frage, was von den übrigen Staaten der Welt gegen diese Art von amerikanischer Außenpolitik getan werde kann, offen gelassen hat. Freilich wäre mit beiden Themen wohl auch der Rahmen des Buches gesprengt worden.

Kurz, es ist dies ein gleichermaßen instruktiv und argumentativ geschriebenen Buch, das vieles ins Licht stellt, was von der etablierten Politik bewusst verdrängt wird, und das zweifellos ein Nachdenken in die richtige Richtung fördert.

Hans Arnold


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