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Schnüffellizenz

USA verlängern Antiterrorbestimmungen. Behörden können weiterhin Daten sammeln und "Verdächtige" überwachen

Von Philipp Schläger, New York *

Der US-Senat hat die Gültigkeit der befristeten Teile des Patriot Act um vier Jahre verlängert. Eine deutliche Mehrheit der Kammer stimmte Ende letzter Woche für die Beibehaltung eines Bündels von Maßnahmen des Antiterrorgesetzes. Neben der Überwachung der Telefon- und E-Mail-Kommunikation und dem Ausspähen von Datenmaterial ohne jeden Verdachtsmoment regeln die Bestimmungen auch die Überwachung sogenannter »Lone wolves« – terrorverdächtiger Personen ohne Kontakte zu terroristischen Organisationen. Die Regelungen wären in der Nacht zum Freitag ausgelaufen. Da sich US-Präsident Barack Obama zur gleichen Zeit anläßlich des G-8-Gipfels in Frankreich aufhielt, ordnete er wenige Minuten vor Mitternacht die Unterzeichnung durch einen Automaten in Washington an, der seine Unterschrift auf das Dokument kopierte. Das Verfahren kam zum ersten Mal zur Anwendung. Bei Abwesenheit waren Präsidenten bislang in der Regel nach Washington geflogen oder hatten sich das Gesetz durch einen Boten überbringen lassen, um den Vorgaben der US-Verfassung zu entsprechen.

Die nun bis Juni 2015 verlängerten Regelungen sind Teil des Patriot Act, der von der Bush-Regierung rund eineinhalb Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführt wurde und staatlichen Behörden weitreichende Befugnisse im »Kampf gegen den Terrorismus« im In- und Ausland verlieh. Während die meisten Bestimmungen des Patriot Act unbefristet in Kraft sind, blieben diese besonders weit reichenden Regelungen zeitlich befristet.

In seltener Eintracht stimmte nun im Senat eine klare Mehrheit von 72 Demokraten und Republikanern für die Verlängerung. Nur 23 Senatoren verweigerten ihre Zustimmung. Kurz darauf bestätigte das Repräsentantenhaus das Gesetzespaket – 250 Abgeordnete votierten für, immerhin 153 gegen die Beibehaltung der behördlichen Befugnisse.

Der Patriot Act bleibe ein wichtiges Werkzeug im Krieg gegen den Terrorismus, erklärte die Obama-Administration. In den Tagen vor der Entscheidung wurde seitens der Regierung Druck auf die Kongreßabgeordneten ausgeübt und vor einem Scheitern der Verhandlungen gewarnt. Auch die Fraktionsführer beider Parteien unterstützten die Regelungen. Der linke Flügel der Demokraten lehnte die Verlängerung dagegen ab.

Von einer geheimen Rechtstheorie sprach etwa Ron Wyden, demokratischer Senator aus Oregon und Mitglied des Geheimdienstausschusses. Die Exekutive verwende eine Auslegung des Patriot Act, die es ihr erlaube, Informationen in einem Umfang zu sammeln, der vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt sei, sagte Wyden vorige Woche. »Wenn das amerikanische Volk herausfindet, wie die Regierung heimlich den Patriot Act interpretiert hat, wird es fassungslos und wütend sein«, so der Senator. Er verglich das Vorgehen der US-Regierung mit früheren Skandalen, von der Iran-Contra-Affäre bis zu dem von Expräsident George W. Bush autorisierten geheimen Abhörprogramm ohne richterliche Kontrolle. Ähnlich kritisch über solch »geheimes Recht« äußerte sich Senator Mark Udall, ebenfalls Mitglied des Ausschusses. Aufgrund der Kritik soll es im kommenden Monat Anhörungen zu dem Thema geben. Die US-Regierung hat sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. Ein Sprecher des Justizministeriums erklärte, daß die Anwendung des Gesetzes durch den Kongreß und ein Richtergremium beaufsichtigt würde. Bei letzterem handelt es sich allerdings um das sogenannte FISA-Gericht – ein Geheimgericht zur Regelung nachrichtendienstlicher Aktivitäten, dessen Entscheidungen gemeinhin nicht publik gemacht werden.

* Aus: junge Welt, 31. Mai 2011


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