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Arroganz der Weltmacht

Das Scheitern innenpolitischer Reformprojekte verstärkt die aggressiven Tendenzen der US-Geopolitik. Ausweitung der Kriege während Präsidentschaft von Barack Obama

Von Ingar Solty *

Barack Obama war nie der Antikriegspräsident, für den viele ihn hielten. Sein Aufstieg als Kritiker des Irak-Kriegs begann, als dieser schon äußerst unpopulär war. Er bezeichnete den Einsatz als »dummen Krieg«, tat aber zugleich offen kund, den »War on Terror« noch ausweiten zu wollen.

Außenpolitik ist stets als Wechselverhältnis zwischen Innen und Außen zu betrachten. Die Hauptaufgabe Obamas im Innern war es, die große Krise des Kapitalismus zu managen. Historiker werden entscheiden, wie ernst es ihm mit einer grünkapitalistischen Reform gewesen sein mag. In jedem Fall scheiterte diese an den inneren Kräfteverhältnissen, und Obama schwenkte auf eine exportorientierte Wachstumsstrategie um. Dazu gehört auch der stark angestiegene Waffenexport – nicht zuletzt in verbündete Länder wie Saudi-Arabien oder Bahrain, wo mit dem US-Kriegsgerät Demokratiebewegungen niedergeschlagen wurden.

Mit der neuen Strategie signalisieren die USA der Welt, daß die Tage, in denen die Importwirtschaft des Landes als globaler Konjunkturmotor funktionierte, gezählt sind.

Eine Reform im Innneren hätte mit Hilfe des Zugriffes des US-Staates auf die globalen Finanzreserven und einer staatlich angeschobenen grünkapitalistischen Wende den relativen Bedeutungsverlust des US-Kapitalismus in der internationalen politischen Ökonomie hinauszögern können. Dies hätte den Führungsanspruch und die hegemoniale Ausstrahlungskraft der USA untermauert. Das Scheitern der Reform gefährdet mittelfristig den Bestand des American Empire und verstärkt kurzfristig Tendenzen militärischer Dominanz und aggressiver Geopolitik.

Neue Militärbündnisse

Angesichts stagnierender Freihandelsabkommen und einer dynamischen regionalen Integration in Asien zielt die Strategie Washingtons letzten Endes auf eine Kontinentalblockade gegen China ab. Die USA machen sich Spannungen unter den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers zunutze und verstärken trotz der Proteste der jeweils betroffenen Bevölkerungen ihre Militärpräsenz von Nordaustralien über Guam und die Philippinen bis Japan. Und auch mit Thailand, Indien und Vietnam laufen einigermaßen erfolgreiche Verhandlungen über bilaterale Militärbündnisse.

Zugleich bemüht sich Washington verstärkt um Brückenköpfe im politisch instabilen Zentralasien, dem geopolitisch und geoökonomisch bedeutsamen Grenzgebiet zwischen China, Rußland und dem – durch die US-Niederlage im Irak und in Afghanistan – gestärkten Iran.

Aus dem Irak zog Obama Ende 2011 ab, aus Afghanistan wollen sowohl er als auch sein republikanischer Konkurrent bei den Präsidentschaftswahlen, Mitt Romney, 2014 abziehen. Damit endet aber die unilaterale völkerrechtswidrige Politik Washingtons nicht. Guantánamo ist – wie wohl auch die Mehrzahl der weltweiten CIA-Geheimgefängnisse außerhalb (Ost-)Europas – noch in Betrieb. Spektakuläre Entführungen finden zwar nur noch außerhalb des Westens statt, und Inhaftierungen ohne rechtsstaatliche Verfahren sind zumindest in Guantánamo öffentlichkeitswirksam zurückgenommen worden; dennoch sind diese Methoden nach wie vor an der Tagesordnung. Andere völkerrechtswidrige Praktiken wie die gezielte Tötung von Personen auf dem Territorium souveräner Staaten wurden unter Obama sogar stark ausgeweitet. Obwohl mit Osama bin Laden jener Mann getötet wurde, der von den US-Behörden als Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 präsentiert wurde, und die zentrale Begründung des »War on Terror« damit weggefallen ist, wird der permanente Krieg fortgeführt. Der Friedensnobelpreisträger Obama befehligte zwischenzeitlich Kriege in mindestens sechs Ländern: Irak, Afghanistan, Pakistan, Libyen, Jemen, Somalia. Hinzu kommen verdeckte militärische Operationen in zahlreichen anderen Ländern, darunter auf den Philippinen oder in Syrien.

Die Arroganz der Macht, mit der der Westen seine Kriege im Mittleren Osten führt, wird schon seit längerem als Ausdruck westlichen Herrenmenschendenkens kritisiert. Bei vielen Menschen in der betroffenen Region entsteht der Eindruck, daß der Westen bei Opfern mit zweierlei Maß mißt. Schließlich stehen den alljährlich mit großen Trauerfeiern bedachten knapp 3000 Opfern der Terroranschläge vom 11. September 2001 laut der durch Wikileaks öffentlich gewordenen Zählung des US-Militärs allein im Irak 109032 getötete Iraker zwischen Januar 2004 und Dezember 2009 gegenüber, darunter 66081 Zivilisten. Manche Berechnungen gehen sogar von mehr als einer Million Todesopfern aus. Eine Entschuldigung für das verursachte Leid oder die Lügen, mit denen der Krieg vom Zaun gebrochen wurde, hat es bis heute nicht gegeben.

Die Ausweitung des Krieges in Afghanistan unter Obama hatte verheerende Folgen. Die UNO schätzt die zwischen 2002 und 2011 nachweislich durch westliche Truppen getöteten Zivilisten auf etwa 10000 Personen. Nicht dazu gezählt werden die später infolge von Verwundungen Gestorbenen. Die Zahl der von den USA und ihren Verbündeten getöteten Zivilisten lag 2011 so hoch wie seit 2006 nicht mehr. Immer wieder kommt es zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Auch die Zahl der unter Obama getöteten US-Soldaten stieg. Von Kriegsbeginn 2001 bis 2008 starben 635, seit Obamas Machtübernahme 2009 1505.

Krieg führt zu Terror

Der Eindruck einer Herrenmenschenmentalität wird auch durch die Art und Weise der Kriegführung genährt. Daß die Zahl der getöteten US-Soldaten in Afghanistan nicht noch höher liegt, ist vor allem auf die neue Drohnenstrategie zurückzuführen. Diese ist nicht nur völkerrechtswidrig, sondern zugleich Ausdruck eines mörderischen Machiavellismus: Daß mit Hilfe des Drohneneinsatzes US-Soldaten geschont werden, soll vor allem dazu beitragen, die Legitimität der insgesamt unpopulären Kriegspolitik des Empire daheim nicht noch weiter zu untergraben.

Diese Art der Kriegführung ist in ihrer instrumentellen Vernunft auch kontraproduktiv und verstärkt die Terrorismusgefahr nachhaltig. Al-Qaida konnte sich nicht zuletzt infolge dieser Strategie in Pakistan, Irak, Libyen, Jemen und wohl auch in Syrien etablieren. Der Hintergrund ist ein wachsender Antiamerikanismus. Nach einer Umfrage der Pew-Forschungsgruppe vom 13. Juni 2012 befürworten 62 Prozent aller US-Amerikaner die Drohnenpolitik. Weltweit wird diese jedoch von großen Mehrheiten abgelehnt, und zwar nicht nur im arabischen Raum und den Schwellenländern, sondern auch bei engsten Verbündeten der USA.

In den Vereinigten Staaten ist die unter dem vorherigen Präsidenten George W. Bush lebhaft geführte Debatte über den »War on Terror« seit Obamas Amtsantritt im Grunde beendet. Obamas Vermächtnis sei, so schrieb der Kolumnist Gleen Greenwald kürzlich im Salon-Magazin, daß er die Bush-Cheney-Praktiken als Standard der US-Außenpolitik normalisiert habe. Indem Obama seine Anhänger dazu gebracht habe, diese Praktiken »als die ihrigen anzunehmen, hat er etwas geschafft, was kein Republikaner-Präsident jemals zu träumen gewagt hätte«.

* Ingar Solty ist Politikwissenschaftler und arbeitet an der York University in Toronto

Aus: junge Welt, Mittwoch, 24. Oktober 2012


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