Ein Koloß auf tönernen Füßen
2008 im Rückblick: USA. Die Bush-Ära kann als Anfang vom Ende des Imperiums gedeutet werden
Von Rainer Rupp *
Laut Umfragewerten gilt George W. inzwischen als einer der schlechtesten
Präsidenten in der Geschichte der USA. Das hat er sich damit verdient,
daß er im Rahmen des von ihm erklärten hundertjährigen Krieg gegen den
Terror das moralische Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt
verspielt, die politische Geltung des Landes nachhaltig geschädigt und
die einst stolze amerikanische Wirtschaft zu einem Sanierungsfall
heruntergewirtschaftet hat. In den letzten Tagen hat Bush versucht, sein
Image für die Nachwelt aufzuhübschen. In seinen Reden hebt er immer
wieder hervor, daß er trotz aller Probleme prinzipienfest darauf beharrt
habe, die Freiheit bis in den letzten Winkel der Erde zu tragen.
Inzwischen gesteht er sogar ein, Fehler gemacht zu haben, aber nur, weil
er nicht bereit gewesen sei, auf Kosten der Freiheit faule Kompromisse
einzugehen. Er brüstet sich damit, die Vereinigten Staaten »sicherer«
gemacht zu machen.
Bush hat in der Tat die freie Marktwirtschaft nach Irak gebracht, wenn
auch auf den Spitzen von Bajonetten, mit denen die US-Soldateska
Millionen Iraker entweder vertrieben oder ermordet hat. »Freiheit«, so
wie Washington sie versteht, wurde auch mit Hilfe großartig
organisierter und finanzierter Farben- oder Pflanzen-»Revolutionen« in
einer Reihe von Ländern durchgesetzt, deren geo-strategische Lage von
besonderer Bedeutung für die Hegemonialpläne des US-Imperiums ist. Aber
diese anfänglichen Erfolge sind inzwischen weitgehend verpufft, sei es
in Georgien, in der Ukraine oder im Libanon.
Heuchelei statt Freiheit
Im eigenen Land hat Bush alles getan, um die Freiheit zu beschränken. So
ist das in seiner Amtzeit zustandegekommene polizeistaatliche
PATRIOT-Gesetz zusammen mit dem neuen Ministerium für Heimatschutz zum
Synonym für den rapiden Abbau persönlicher Freiheitsrechte geworden.
Sogar das mittelalterliche Verhörinstrument der Folter wurde unter Bush
wieder eingeführt. Man hat die Überwachung unbescholtener US-Bürger
radikal ausgeweitet und juristisch Präzedenzfälle geschaffen, unliebsame
Menschen ohne Gerichtsbeschluß und ohne Anklage auf unbestimmte Zeit ins
Gefängnis zu werfen. Für kritische US-Bürger ist die »amerikanische
Freiheit« inzwischen zum Alptraum und auf internationaler Ebene zum
Inbegriff amerikanischer Heuchelei geworden.
Egal in welche Himmelsrichtung man heute schaut, überall haben die
US-amerikanischen Interessen am Ende der neokonservativen Bush-Ära
schwere Rückschläge erfahren. Dabei hatten der Präsident und die Seinen
2000 mit großen Plänen die Macht übernommen. Mit Hilfe der
Strafexpedition nach Afghanistan und der Invasion des Irak sollten alle
anderen sogenannten Schurkenstaaten diszipliniert und dem amerikanischen
Willen unterworfen werden. Insbesondere das Irak-Exempel sollte deutlich
machen, daß es niemand und nichts gab, auch kein Völkerrecht, das
mißliebige Staaten vor der Supermacht USA schützen konnte. Washington
zeigte sich fähig und bereit, jederzeit und überall mit
uneingeschränkter, tödlicher Gewalt zuzuschlagen. Trotzdem kam alles anders.
Durch den Erfolg des irakischen Widerstands wurde Washington trotz
seiner mächtigen Militärmaschine als Papiertiger entlarvt. Dadurch hat
Bush statt der Festigung der US-Hegemonie das Gegenteil erreicht. Der
US-Anspruch auf Weltherrschaft ist heute schwächer denn je. Das
amerikanische Imperium hat den Zenit überschritten. Der Anfang vom Ende
deutet sich an, wohin man blickt. Die Staaten Lateinamerikas, die von
Washington als ureigner Hinterhof reklamiert werden, sind mit wenigen
Ausnahmen in der Bush-Amtszeit linksozialistisch oder sozialdemokratisch
geworden. Bei der jüngsten regionalen Gipfelkonferenz war der kubanische
Präsident Raoul Castro geladen, nicht aber der Yankee Bush. Washingtons
Reaktivierung der 5. Flotte erscheint da wie ein eher kindischer
Erpressungsversuch.
Keiner will AFRICOM
Der US-Plan, in einem afrikanischen Land das neugeschaffene militärische
US-Oberkommando (AFRICOM) für den schwarzen Kontinent unterzubringen,
ist dieses Jahr kläglich gescheitert. Niemand will AFRICOM, das deshalb
in Deutschland bleiben muß. Ebenso erfuhr die US-Expansion nach
Zentralasien starke Rückschläge, wurde sie doch von der regionalen
Sicherheitsorganisation unter Führung von Rußland und China gestoppt und
teilweise zurückgedrängt.
Zuletzt war der georgisch-russische Krieg für die USA eine
außenpolitische Katastrophe. Erstens konnten die Amerikaner ihren
georgischen Schützlingen nicht helfen und zweitens schlugen Frankreich
und die Europäische Union zulasten Washingtons politisches Kapital aus
der Krise. Nicht einmal mehr in der NATO kann sich Washington
durchsetzen, denn die US-geführte Allianz ist wegen der von Washington
betriebenen Aufnahme Georgiens und der Ukraine wegen unterschiedlicher
strategischer Interessen aller Beteiligten in bezug auf Rußland tiefer
gespalten denn je.
Zu guter Letzt hat die Finanzkrise die Fassade von der übermächtigen und
unschlagbaren US-Finanzindustrie niedergerissen und die amerikanische
Wirtschaft als einen Koloß auf tönernen Füßen gezeigt, dessen
Wirtschaftsstärke mit sogenanntem Phantomwachstum aufgeblasen und nur
heiße Luft ist. Das US-Finanzministerium und die US-Notenbank versuchen
derzeit, mit immer neuen Aktionen und mit Billionen und Aberbillionen
Dollar das Abgleiten der US-Wirtschaft in eine schwere Deflation zu
verhindern. Die gigantischen Summen, die dabei im Spiel sind, und die
höchst unkonventionellen Methoden von Regierung und Notenbank
unterstreichen nur den Ernst der Lage. Aber selbst wenn es gelingen
würde, den wirtschaftlichen Totalabsturz zu verhindern, haben die USA
bereits jetzt den Dollar als Leitwährung nachhaltig beschädigt. Zum
anderen wird die ins gigantische gestiegene Auslandsverschuldung die
fiskalpolitische Bewegungsfreiheit zukünftiger US-Regierungen
signifikant einschränken. Selbst in dem Szenario mit dem bestmöglichsten
Ausgang für die USA ist als Folge der Krise eine nachhaltige
Umstrukturierung der globalen ökonomischen Machtzentren zuungunsten
Amerikas zu erwarten.
Angst vor Unruhen
Aber was wird passieren, wenn Washington die Krise nicht in den Griff
bekommt und Massenarbeitslosigkeit und Armut auch in der
US-Mittelschicht anwachsen? Der Chef des Internationalen Währungsfonds
IWF in Washington, der Franzose Dominique Strauss-Kahn, hat Mitte
Dezember als Folge der Krise vor Aufständen und Unruhen rund um den
Globus gewarnt. Daß das auch für die USA gilt, wird aus einem Bericht
des Phoenix Business Journal vom 17. Dezember deutlich. Das Blatt
zitiert aus einem neuen Bericht der Kriegsschule der US-Armee (U.S. Army
War College), in dem vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise der
Einsatz von Militär bei sozialen Unruhen oder bei Protesten gegen
Fabriken, Banken oder Regierungsgebäude geplant wird. Das läßt die
Prognose von Igor Panarin, Politologe und Dekan der Fakultät für
Internationale Beziehungen der Diplomatischen Akademie des russischen
Außenministeriums, der bereits vor zwei Jahren mittelfristig einen
Bürgerkrieg in den USA und einen anschließenden Zerfall des Landes in
mehrere Teile prognostizierte, gar nicht mehr so absurd klingen.
* Aus: junge Welt, 24. Dezember 2008
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