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Nur nette Ideen, schöne Träume?

Ein Jahr Präsidentschaft von Barack Obama - eine Bilanz

Von Walter Friedrich *

Der 44. Präsident der USA (zugleich der erste afro-amerikanische) ist am 20. Januar 2009 offiziell auf sein Amt vereidigt worden. Grund genug, für viele Auguren und politisch Interessierte zu fragen: Was hat Barack Obama im ersten Regierungsjahr von seinen Wahlversprechen erreicht? Was kann man künftig von seiner Politik erwarten?

Bei der Suche nach gut fundierten Antworten kann ein Taschenbuch mit dem Titel »Obama. Hoffnungen und Enttäuschungen« sehr hilfreich sein, das kürzlich in Berlin erschienen ist. Verfasser ist der Erziehungswissenschaftler, Soziologe und Politikwissenschaftler Ekkehard Sauermann aus Halle, besonders ausgewiesen durch sein Buch über die aggressive Hegemonialpolitik des vorangegangenen Präsidenten George W. Bush, auf das hier ebenfalls ausdrücklich hingewiesen werden soll.

Sauermann definiert sich selbst als »linker Analytiker«. Er erinnert - unter Berufung auf US- und andere internationale Experten - an die schwierige politische, wirtschaftliche und soziale Lage in den letzten Jahren der Bush-Ära, die sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 noch dramatisch zugespitzt und dadurch den Start Obamas an die Macht zusätzlich erheblich kompliziert hat. Insbesondere geht der Autor auf die gegenwärtig tonangebenden Gruppierungen des politisch rechten Flügels ein, den entschiedensten und gefährlichsten Kontrahenten Obamas, deren politische Strategien sowie ihre ideologischen und wirtschaftlichen Hintergründe er gut charakterisiert.

In den folgenden Abschnitten beschäftigt sich Sauermann mit einigen der wichtigsten von Obama im Wahlkampf genannten Themen: an erster Stelle mit seinem bedeutendsten innenpolitischen Projekt, der Gesundheitsreform. Obama weiß, wenn er hier ebenso wie seine demokratischen Vorgänger Clinton und Carter scheitern sollte, würde er seinen Popularitätsbonus schnell einbüßen und seine Chancen auf eine zweite Legislaturperiode verlieren. Trotz der Finanzkrise und des massiven Widerstandes der Republikanerfraktion, der teilweise in Intrigen und aggressive Polemiken ausartete (angeblich: Einführung sozialistischer bzw. gar kommunistischer Verhältnisse), konnte aber Obama in den letzten Monaten die Abstimmungen im Repräsentantenhaus und im Senat mehrheitlich für sich entscheiden, wenn auch mit erheblichen inhaltlichen Zugeständnissen. Sollte das auch in der entscheidenden letzten Abstimmung gelingen, dann wäre das für den Präsidenten und die Demokraten ein großer Triumph: über 30 Millionen bisher unversicherte US-Bürger könnten dann eine staatlich subventionierte Krankenversicherung erhalten. Was war das bisher für ein Armutszeugnis für »das reichste Land der Erde«!

Ein anderes Wahlkampfversprechen Obamas bezog sich auf die umgehende Schließung des Folterlagers Guantanamo auf Kuba, wo unter Ausschluss des Völkerrechts in einem rechtsfreien Territorium einige hundert Terrorismusverdächtige misshandelt und beliebig anderen Willkürakten ausgesetzt ein Kerkerleben fristen mussten. Sauermann stellt fest, dass Obama hier nur mit kleinen Schritten vorangekommen ist, er mitunter auch in der eigenen Partei keine volle Unterstützung findet und noch weit davon entfernt ist, auch Hauptverantwortliche der Bush-Administration für ihre Rechtsbrüche zur Verantwortung zu ziehen, was ja sein letztes, wenn auch nicht sehr klar ausgesprochenes Ziel sei.

Ausführlich befasst sich der Autor mit den außenpolitischen Zielen und Aktivitäten des Präsidenten. Er anerkennt, dass dieser besonders mit seinen gut inszenierten internationalen Auftritten ganz andere Schwerpunkte und Perspektiven gesetzt habe als sein Vorgänger Bush, er seine Vision von einer atomwaffenfreien Welt (in Prag/April 09) verkündet habe, ein »prinzipiell anderes Verhältnis«, keine Konfrontation, sondern eine ehrliche Zusammenarbeit mit Russland anstreben, transparente Verträge der Rüstungsbegrenzungen abschließen möchte, die für alle Länder der Welt verbindlich sein müssten etc. Doch zwischen seinen konstruktiven Ideen und den praktischen Schritten bestehen häufig große Diskrepanzen, die im Laufe der Zeit eher zu- denn abgenommen haben.

Nur ein Beispiel: Den von Bush forcierten Aufbau des »Raketenschutzschildes« in Polen und Tschechien hat Obama zunächst gestoppt, doch aufgrund der anhaltenden Proteste der Ultras, der Rüstungslobby und anderer konservativer Kräfte im eigenen Land, aber auch der Regierungen in Polen sowie der tschechischen Republik, offensichtlich vorerst wieder in der Schwebe gehalten. Sauermann zitiert konservative Politikbeobachter aus Europa, die sich inzwischen über solche Vorschläge Obamas lustig machen, sie als »nette Ideen«, »schöne Träume« oder »bombastische Rhetorik« hinstellen. Diese Diplomatie kann man auch bei anderen Verhandlungen beobachten, etwa beim Nahost-Konflikt oder beim Weltklima-Gipfel in Kopenhagen.

Kritisch bewertet Sauermann die Entscheidung Obamas, zunächst weitere 30 000 Soldaten nach Afghanistan in den Kampf zu schicken, um dort den Einfluss der Taliban radikal zu brechen, aber schon im Jahre 2011 mit dem Abzug dieser Truppen zu beginnen. Wie konnte der Friedensnobelpreisträger solch ein fragwürdiges kriegerisches Projekt sanktionieren? Wiederum drängt sich der Gedanke auf, dass die tieferen Motive ganz anderer Art sein könnten als die offiziellen Parolen lauten. Denkbar wäre auch hier, dass es sich um eine Beschwichtigungsaktion gegenüber den Falken in den USA handelt, damit diese ihm nicht »Schwäche vor dem Feind« vorwerfen können - um ihm vor der bereits 2012 anstehenden Wahl das Wasser abzugraben.

Aus solchen und anderen Beispielen kann man freilich keine oberflächlichen Urteile ableiten, etwa den betreffenden Politiker pauschal als »unehrlich«, »hinterlistig« oder als »bewussten Lügner« hinstellen. Das sind Denk- und Verhaltenstechniken, die im alltäglichen politischen Geschäft nicht unüblich sind. Auch für Präsident Obama gilt: Er hat bei jeder strategisch wichtigen Entscheidung die internationale Problem- und Kräftekonstellation, besonders jedoch die im eigenen Land klar einzukalkulieren, um seine Ziele zu erreichen, wozu für ihn vor allem auch die zweite Amtszeit gehört.

USA-Medien machen schon jetzt darauf aufmerksam, dass sich die Beurteilung seiner Politik in Meinungsumfragen im Verlauf des letzten Jahres (November 2008 bis Dezember 2009) von 68 Prozent auf unter 50 Prozent verschlechtert hat! Nach anderen Quellen sollen die Zahlen der Morddrohungen gegen ihn um drei bis vier Mal höher liegen als die im Vergleich zu Bush in dessen Amtszeit. Das zeigt die zunehmende Schärfe des politischen Kampfes dort. Notwendige Kompromisse einzugehen macht die Kunst des Regierens aus.

Für Obama ist eine nüchterne Einschätzung der ultrarechten Gegenspieler in den USA von größter Bedeutung, die ihre blamable Niederlage nicht verwinden können und mit allen Mitteln auf Rache sinnen. Sauermann beschreibt das sehr genau: »Der neue Präsident sowie die ihn stützende Massenbewegung sind für diese Ultras zu einem Haupthindernis geworden. Der unerbittliche Kampf gegen ihn an allen Fronten ist ihr grundsätzliches Anliegen, um wieder in die Offensive zu gelangen ... Die Ultras ... sehen die USA immer noch als die große unbesiegbare Weltmacht, die - gestützt auf ihre militärische Überlegenheit, vor allem ihr Atompotential - alles erreichen kann, wenn sie es nur will.«

Der Kampf der beiden Lager in den USA, der Demokraten um Obama einerseits und der ihre Revanche suchenden republikanischen Gegner andererseits (sowie ihrer internationalen Satelliten!), ist noch lange nicht entschieden. Mit dem ersten Regierungsjahr Obamas wurden zwar einige wichtige Teilziele erreicht, um den Marsch der Ultras zu »bremsen«, aber besonders bei den anstehenden Wahlen wird man noch mit sehr heftigen und aggressiven Auseinandersetzungen rechnen müssen, die das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen sollen (vgl. dazu Sauermann S. 108/09). Das alles wird sich im Rahmen einer sich mehr und mehr multipolar entwickelnden Welt abspielen - was zu einer international geschwächten Großmacht USA führen wird. Dadurch könnte sich die Weltlage weiter komplizieren.

Ekkehard Sauermann hat ein hochinteressantes Buch von einer linken, aber keineswegs orthodoxen, sondern von einer ausgewogenen und um objektive Einschätzungen bestrebten Position über den zur Zeit mächtigsten, zugleich in der Weltbevölkerung unserer Zeit (immer noch) populärsten Politiker geschrieben. Gegenwärtig gibt es auf Deutschlands Büchermarkt keinen anderen Titel, der über Obamas Politik in seinem ersten Präsidentenjahr so aktuell referiert!

Ekkehard Sauermann: Obama. Hoffnungen und Enttäuschungen. Kai Homilius Verlag, Berlin 2009. 112 S., br., 7,50 €.

* Aus: Neues Deutschland, 21. Januar 2010


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