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Ein halbes Jahrhundert wider den Krieg

Die Kampagne für nukleare Abrüstung aus Großbritannien will gegen den NATO-Gipfel in Wales demonstrieren

Von Christian Bunke, London *

Die britische Kampagne für Nukleare Abrüstung hat eine lange Tradition. Ihr Logo, das »Peace Zeichen« ist weltbekannt.

Ein Tag Anfang Mai auf dem Trafalgar Square in London. Eine Gruppe Menschen formt das Logo der CND-Organisation. CND steht für »Campaign for Nuclear Disarmament« (Kampagne für Nukleare Abrüstung). Das 1957 gegründete Netzwerk ist eine der, wenn nicht die älteste noch existierende Antikriegsgruppierung weltweit. Das Logo ist international besser als das »Peace Zeichen« bekannt.

Der Trafalgar Square ist regelmäßiger Schauplatz großer Friedensdemonstrationen. Doch jene, die hier das CND-Symbol darstellen, sind keine Friedensaktivisten, sondern Angestellte eines Deodorantherstellers, der das Symbol für eine neue Produktlinie verwendet.

Bei der CND ist man wenig begeistert. »Zwar hat unser Logo kein Copyright«, schreibt wenig später die CND-Vorsitzende Kate Hudson auf ihrem Blog, »und wir nehmen gerne immer wieder Geld von Firmen an, die unsere Arbeit unterstützen wollen. Aber hier handele es sich um eine Werbeaktion, um ein Produkt zu verkaufen.« Indem das Logo offen als »CND-Symbol« beschrieben werde, mache die Firma Geschäfte mit der 56-jährigen Geschichte der CND. »Die Millionen, die im vergangenen halben Jahrhundert mit diesem Logo auf dem Trafalgar Square gestanden haben, werden diesen Missbrauch von Jahrzehnte langen Aktivismus gegen Nuklearwaffen und Krieg missbilligen«, so Hudson weiter.

Indirekt ist es eine Anerkennung für eine Organisation, die ihren Platz in der Geschichte der sozialen Bewegungen hat. Die Auswirkungen spürt man bis nach Deutschland. 1958 fand der erste Ostermarsch der Geschichte statt. Demonstriert wurde von London zur Nuklearforschungsanstalt in Aldermaston – eine über 50 Meilen lange Wegstrecke. In den frühen 1960er Jahren beteiligten sich hunderttausende an diesen Ostermärschen. Heute gibt es sie in Großbritannien nicht mehr, aber in Deutschland sind sie immer noch eine Tradition der Friedensbewegung.

Als die CND ihre Arbeit aufnahm, gab es in Großbritannien noch eine Mehrheit für Atomwaffen. Inzwischen sind die Mehrheitsverhältnisse anders, was sich auch politisch auswirkt, wie Kate Hudson erzählt: »Innerhalb der Antikriegsbewegung ist das ›Nein‹ des britischen Parlamentes zum Krieg mit Syrien als Ermutigung aufgefasst worden. Das ist ein direktes Ergebnis der Kampagnen gegen die desaströsen Kriege in Afghanistan und im Irak. Die Menschen sind der Regierung gegenüber skeptisch geworden.«

Immer, wenn mit dem Säbel gerasselt wird, erinnert man sich an die Lügen, die als Begründung für den Einmarsch im Irak herangezogen worden sind, sagt Hudson. »Viele Menschen sind zu dem Schluss gekommen, dass Kriege keine Lösung für komplexe Menschheitsfragen sind.« Die jüngsten Umfrageergebnisse geben ihr recht. Nur 35 Prozent der britischen Bevölkerung sind für eine britische Militärintervention gegen die islamistische ISIS im Irak.

Das sehen die rund sechzig Staats- und Regierungschefs, die sich ab Donnerstag zum NATO-Gipfel in Wales versammeln, naturgemäß anders. Manche von ihnen, darunter der konservative britische Premierminister David Cameron, haben genaue Vorstellungen, wie die Prioritäten der NATO in den nächsten Jahren auszusehen haben. Gefordert wird unter anderem der Aufbau permanenter Basen im Baltikum und die Durchführung großer Militärmanöver in Osteuropa. US-Präsident Barack Obama kündigte den Aufbau einer neuen NATO-Eingreiftruppe »zum Schutz der Baltikumstaaten« an. Russland ist der neue, alte Feind.

Doch die NATO steht vor Problemen. Die meisten Mitgliedsländer geben nach Meinung der Militärs nicht genug ihrer Haushaltsmittel für die Rüstung aus. Auch Großbritannien, bislang ein Musterknabe in der NATO, hat in den vergangenen Jahren beim Militär eingespart. Als Reaktion darauf drohten die Vereinigten Staaten damit, Großbritannien nicht mehr als militärisch vollwertigen Partner anzuerkennen.

Trotz Sparpaket lässt sich der britische Staat den NATO-Gipfel in Wales rund fünfzig Millionen Pfund kosten. Und ein Aspekt der Einsparungen wird bewusst ausgeklammert: Die britischen Atomwaffen. Deren Erneuerung wird derzeit umgesetzt. Die britischen Atom U-Boote sind in der schottischen Faslane Basis stationiert.

Deshalb wird die CND in die Debatte um das schottische Unabhängigkeitsreferendum am 18. September hineingezogen. CND sieht sich als eine partei- und klassenübergreifende Organisation. Strukturen finden sich in Gewerkschaften, Kirchen und Parteien wie etwa den Liberaldemokraten, der Labour Partei oder der Scottish National Party (SNP).

In all diesen Strukturen gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen über die schottische Unabhängigkeit. Doch die letzte CND-Mitgliederversammlung beschloss nach langer Debatte, sich dem Unabhängigkeitslager anzuschließen. Der Hauptgrund dafür ist das Versprechen der SNP, im Unabhängigkeitsfall keine Atomwaffen in Schottland mehr zuzulassen. Das würde für das Atomwaffenprogramm auf den britischen Inseln große Probleme bedeuten, eine alternative Basis für die U-Boote ist noch nicht gefunden.

Doch Teile der CND-Mitgliedschaft sind der SNP gegenüber skeptisch. Mit gutem Grund, denn die SNP möchte Schottland als NATO Mitgliedsland erhalten. Egal wie das Referendum ausgeht, die britischen Inseln werden weiter eine starke Antikriegsbewegung brauchen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 3. September 2014


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