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Brown bestellt Weißwäscher

Großbritanniens Irak-Krieg-Untersuchung hinter verschlossenen Türen

Von Reiner Oschmann *

Mehr als sechs Jahre nach Beginn des Irak-Kriegs hat die britische Regierung die lange geforderte Untersuchung der Invasion angekündigt. Von Transparenz kann allerdings nicht die Rede sein.

Es ist erst wenige Tage her, seit Premier Gordon Brown (Labour Party) der britischen Öffentlichkeit gelobte, Politik und Politiker würden sich dem Wähler ab sofort rechenschaftspflichtig, transparent und zum Zuhören bereit zeigen. Er versprach dies im Parlament, unmittelbar nachdem er seinem eigenen Sturz fürs Erste entgangen war. Und kurz bevor eine landesweite Umfrage im Zusammenhang mit dem Spesenskandal britischer Minister und Abgeordneter einen erdrutschartigen Glaubwürdigkeitsverlust ergab. Nun demonstriert Tony Blairs Nachfolger wie er sich die neue Offenheit vorstellt: Für den 31. Juli kündigte er den Arbeitsbeginn eines Ausschusses an, der nach langer Verschleppung Großbritanniens Rolle vor dem und im Irak-Krieg untersuchen soll.

Das Gremium wird laut Brown mindestens ein Jahr hinter verschlossenen Türen tagen, aus Gründen der Staatssicherheit keinen Zugang zu »den heikelsten Informationen« erhalten, Ergebnisse erst nach den nächsten Parlamentswahlen - spätestens Juni 2010 - bekannt geben und für Personen, die sich inkorrekt verhalten haben, ohne strafrechtliche Folgen bleiben. Geladene Zeugen können Teilnahme und Aussage verweigern. Brown hat also Weißwäscher bestellt. Die Ankündigung des Regierungschefs hat Kritik in allen Lagern ausgelöst. Das hängt mit der Bedeutung des Themas ebenso zusammen wie mit dem Weg, den Brown gewählt hat.

Die britische Kriegsbeteiligung an der Irakinvasion von März 2003 und ihre Begleitumstände sind die kontroverseste außenpolitische Frage der letzten 50 Jahre im Lande. Ex-Premier Blair hatte mit Billigung seines damaligen Finanzministers Brown 40 000 Soldaten an die Seite der von US-Präsident George W. Bush befohlenen US-Truppen gestellt. Ende Juli sollen alle britische Truppen mit Ausnahme von rund 400 Militärberatern aus Irak abgezogen sein.

Angehörige der 179 getöteten Soldaten reagierten jetzt besonders wütend. Rose Gentle aus Glasgow, deren 19-jähriger Sohn 2004 von einer Straßenbombe in Basra getötet wurde, nannte das Ergebnis der jetzt berufenen Untersuchungskommission, die vom 70-jährigen ehemaligen hohen Staatsbeamten Sir John Chilcot geleitet wird, »absolut vorhersehbar. Man wird uns nur sagen, was wir hören sollen.« Reg Keys, dessen Sohn bereits im Juni 2003 in Irak getötet worden war, sagte: »Die Untersuchung liegt in der Hand von willfährigen Staatsdienern und findet hinter verschlossenen Türen statt. Sie wird ohne jede Glaubwürdigkeit sein.«

Der Führer der oppositionellen Konservativen, David Cameron, sagte, Mandat und Modalitäten des Untersuchungsgremiums würden die Erwartungen der Öffentlichkeit, die Wahrheit darüber zu erfahren, wie Großbritannien in den Krieg schlitterte, nicht befriedigen. Nick Clegg, Chef der Liberaldemokraten, erklärte: »Eine Geheimuntersuchung durch eine Handvoll vom Premier handverlesener Großkopfeten ist nicht das, was Großbritannien benötigt.«

Der Abgeordnete Alan Simpson, Vorsitzender der Kampagne »Labour gegen den Krieg«, sprach von zwingenden Gründen, weshalb die Untersuchung öffentlich zugänglich gemacht werden müsse. »Der Irak-Krieg ist als Gefälligkeitskrieg vom Zaun gebrochen worden.« Begründet worden sei er mit Saddam Husseins »Massenvernichtungswaffen«. Heute wüsste man, dass es diese Waffen nicht gab. Die Untersuchung müsse sich folglich darauf konzentrieren, wie Großbritannien in den Krieg »hineingelogen« wurde und »welche Rolle die führenden Politiker des Landes dabei spielten.« Genau das will die Regierung Brown verhindern. Auf dem Weg zu einer Parlamentswahl, die für Labour schon jetzt kaum noch gewinnbar scheint, erst recht.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juni 2009


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