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Historische Entscheidung

Britische Gewerkschaft will bei Wahlen eigene Kandidaten aufstellen

Von Christian Bunke, Manchester *

Die britische Gewerkschaft für Staatsangestellte (PCS) hat sich in einer Urabstimmung ihrer Mitglieder dafür entschieden, zukünftig eigene Kandidaten zu Parlamentswahlen aufzustellen. 78,9 Prozent aller PCS-Mitglieder stimmten dafür. Die PCS hat 292000 Mitglieder, ist die sechstgrößte Gewerkschaft im Land und nun die erste große, die diesen politischen Schritt geht. PCS-Generalsekretär Mark Servotka nannte es »eine historische Entscheidung«.

Sie kommt in einer Zeit, in der laut Umfrageergebnissen 60 Prozent aller Wahlberechtigten aus der Arbeiterklasse glauben, daß sie keine politische Stimme in Großbritannien haben. Einige kleinere Gewerkschaften, insbesondere die Transportarbeitergewerkschaft RMT, die Feuerwehrgewerkschaft FBU und die Gefängniswärtergewerkschaft POA unterstützen deshalb seit einigen Jahren die Trade Unionist and Socialist Coalition (TUSC). Bei den Kommunalwahlen im Mai erhielt TUSC im Durchschnitt 6,8 Prozent der Stimmen. Das ist zwar noch lange kein Durchbruch, zeigt aber ein gewisses Potential für Kandidaturen mit gewerkschaftlicher Unterstützung.

Die PCS arbeitet bereits seit 2005 an dem Thema. Damals führte die Gewerkschaft einen politischen Fonds zur Durchführung politischer Kampagnen ein. Das war ein großer Schritt für diese Gewerkschaft, denn Staatsangestellte haben traditionell immer sehr auf ihre politische Neutralität geachtet. Die drastische Zunahme von Angriffen auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen von Staatsangestellten schon unter Labour, und erst recht unter der jetzigen von den Konservativen geführten Koalitionsregierung, haben diese Neutralität immer weiter untergraben.

Zum Beispiel will die Regierung 10000 Stellen in der Steuerbehörde abbauen, während sie im Parlament Krokodilstränen über das Problem der Steuerhinterziehung vergießt. Dagegen organisierte die PCS am 25. Juni einen Streik der Beschäftigten. Mark Servotka erklärte dazu: »Diese Kürzungen zeigen den mangelnden politischen Willen der Regierung, etwas gegen Steuerhinterziehung zu tun. Durch Stellenabbau werden die Reichen Steuerhinterzieher vom Haken gelassen und gleichzeitig jene bestraft, die die Wirtschaftskrise nicht verursacht haben.«

2007 hatte die PCS erstmals Kandidaten aller Parteien befragt, wie sie zu Fragen wie Sozialabbau und Rassismus stehen. Dadurch sollte es PCS-Mitgliedern ermöglicht werden, jene Bewerber zu wählen, die für die Interessen von Beschäftigten eintreten. Doch wie der PCS-Generalsekretär im Laufe der Urabstimmungskampagne erklärte, »mußten wir erkennen, daß alle Parteien dasselbe sagen und nicht gegen Sozialabbau stehen. In manchen Wahlkreisen haben wir die Politiker gefragt, ob sie für oder gegen die Schließung eines lokalen Krankenhauses sind. Alle Parteien waren für die Schließung.«

Durch das Abstimmungsergebnis sieht die PCS sich nun in der Lage, dem etwas entgegenzusetzen. Zusätzlich haben 81 Prozent der Mitglieder für eine Ausweitung der allgemeinpolitischen Tätigkeiten der Gewerkschaft, etwa den Kampf gegen Faschismus und Rassismus, gestimmt. Auch dies ist ein Zeichen für die Politisierung der britischen Gewerkschaften.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Juli 2012


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