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Bessere Chancen für Nabucco

Turkmenistan will Erdgas nicht mehr via Russland verkaufen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Es gibt viele Interessenten für zentralasiatisches Erdgas. Nun hat Moskau einen kleinen Rückschlag erlitten.

Eigentlich war Gazprom-Chef Alexej Miller vergangene Woche nach Turkmenistan gejettet, um dort die Konditionen für Erdgas-Importe neu zu verhandeln. Bis die Wirtschafts- und Finanzkrise zuschlug, hatte die zentralasiatische Ex-Sowjetrepublik pro Jahr um die 60 Millionen Kubikmeter an Russland verkauft und dafür umgerechnet bis zu sechs Milliarden Dollar per annum kassiert. Doch im April, als die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen ihren Tiefpunkt erreichte, reduzierte der russische Monopolist Gazprom die Einfuhren drastisch. Auch die Preise, die Moskau zahlt, wollten die Gasbarone drücken. Beides misslang Miller. Und damit nicht genug: Turkmenistan hat beschlossen, Dritten künftig den Reexport von eigenem Gas zu untersagen. Gerade damit macht Gazprom gute Geschäfte.

Moskau ist verstimmt. Russlands ohnehin stark defizitärem Haushalt könnten damit im kommenden Jahr weitere zwei Milliarden Dollar fehlen. Gefährdet sind zudem russisch-iranische Pläne, turkmenisches Gas künftig gemeinsam an die Türkei und an Pakistan zu verkaufen. Vor allem aber stehen durch das Reexport-Verbot jene Mengen, die Turkmenistan derzeit nur über Russland nach Westeuropa verkaufen kann, jetzt für ein Projekt zur Verfügung, das Moskau um jeden Preis verhindern will: die 2700 Kilometer lange Pipeline Nabucco, mit der die EU sich den direkten Zugriff auf die Vorkommen Zentralasiens sichern will. Diese Gasleitung, deren Bau 2011 beginnen soll, wird rentabel, wenn jährlich mindestens 31 Milliarden Kubikmeter Gas gen Westen fließen. Wo derart große Mengen herkommen sollen, ist bisher offen.

Zumal sich Gazprom seit 2002 den Löwenanteil der turkmenischen Förderung durch lange laufende Abkommen gesichert hatte und ähnliche Verträge später mit Kasachstan sowie mit Usbekistan schloss. Die Verhandlungen mit Aserbaidschan laufen noch, ihre Ergebnisse hängen vor allem von Moskaus Position im Berg-Karabach-Konflikt ab - einer von Armeniern bewohnten, zu Aserbaidschan gehörenden Region, die sich 1988 für unabhängig erklärte. Bislang unterstützt Russland Armenien. Aber auch ohne Seitenwechsel gilt: Aserbaidschan, als Hauptlieferant für Nabucco ins Auge gefasst, kann die erforderliche Menge vorerst nicht einspeisen.

Dazu kommt der Streit um die Wassergrenzen im Kaspischen Meer und damit um zwei Gasfelder, die auch Turkmenistan beansprucht. Nach einer regionalen Sicherheitskonferenz in Baku, die zeitgleich zu den Verhandlungen von Gazprom-Chef Miller stattfand, signalisierte der turkmenische Außenminister Kalaf Kalafow indes überraschend Kompromissbereitschaft. Beobachter sind dennoch skeptisch. Aschgabat hatte schon öfter von signifikanten Verhandlungsfortschritten beim Streit mit Baku gesprochen - einerseits um Europa nicht zu verprellen, andererseits um Russland zu erpressen.

Natürlich ist das letzte Wort in Sachen Nabucco noch lange nicht gesprochen, wie gerade eine hochkarätige Konferenz von Investoren aus 50 Staaten in Aschgabat deutlich machte. Entgegen seinen Gepflogenheiten blieb Staatschef Kurbanguly Berdymuhamedow dieser fern, um der Eröffnung einer Hühnerfarm mit seiner Anwesenheit höheren Glanz zu verleihen - und dabei Russland als strategischen Partner zu bezeichnen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2009


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