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GUS und Gas 2008

Von Igor Tomberg *

Am Freitag (23. November) hat die turkmenische Führung endlich die 30-prozentige Gaspreiserhöhung für Gasprom bekannt gegeben. Die Neuigkeit wurde im russischen Konzern, wie es scheint, sogar mit Erleichterung aufgenommen. Einerseits erwarteten alle schon seit langem, wann Aschchabad seinen Anteil am Gaspreisanstieg verlangen werde, andererseits sind 130 Dollar je 1000 Kubikmeter ein für heute durchaus annehmbarer Preis (zuvor sprach man hier und da von 150 Dollar). Schließlich ist jetzt in die Preiskette Turkmenistan - Russland - Ukraine einige Klarheit gebracht worden. Und die Erhöhung des Gaspreises für die Ukraine ist jetzt völlig gerechtfertigt.

Was die konkreten Zahlen angeht, ist hier allerdings noch nicht alles restlos klar. Die vom ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko früher genannten 160 Dollar je 1000 Kubikmeter sind noch kein Vertragspreis, sondern lediglich sein Wunsch. Es kann auch einer von 180 Dollar genannt werden - je nach der Zusammensetzung und Parteizugehörigkeit der Kabinettsmitglieder und der Leitung von Naftogas Ukrainy.

Leider ist das Preisniveau nicht das einzige Problem bei den die Gaslieferungen betreffenden Beziehungen zwischen Moskau und Kiew. Die Ereignisse von vor einem Monat ließen erneut an die alte Krankheit dieser Lieferungen - die Nichtzahlungen - denken. Das Schema der Lieferungen über einen Vermittler - RosUkrEnergo - war ein Versager, weil die Schulden der Abnehmer drastisch zunahmen. Die Außenstände von RosUkrEnergo gegenüber Gasprom stiegen 2006 von 100 Millionen auf drei Milliarden Dollar. Im Oktober 2007 betrug die Schuld von Naftogas bei RosUkrEnergo über 700 Millionen Dollar, außerdem schuldet Ukrgasenergo weitere 300 Millionen.

Die Situation mit den Schulden in diesem Herbst hat gezeigt, dass es unter den Bedingungen der Ukraine offenkundig noch nicht genügt, zu direkten Gaslieferungen überzugehen und die Rechnung den ukrainischen Verbrauchern zu präsentieren. Die Zahlungen müssen ja erst eingetrieben werden. Zugleich sind die Aufrufe an Gasprom einfach nicht ernst, "die Routinearbeit an der Eintreibung von Zahlungen von den Verbrauchern zu lernen": Das ist nicht die Aufgabe des Konzerns. Daher erscheint das Appellieren der russischen Gasindustriellen an die ukrainischen Behörden völlig logisch: Wenn deren politisches Schicksal direkt von den russischen Gaslieferungen abhängt, haben gerade sie für eine störungsfreie Arbeit der vielleicht nicht tadellosen, doch immerhin wirkenden Schemata zu sorgen. Zumal die Unterschrift Viktor Janukowitschs unter den Abkommen über die Schuldenbegleichung es erlaubte, für das Problem eine Lösung zu finden, wenn sie auch zugleich die ukrainische Regierung zum Garanten der Schuldentilgung machte. Das liefert Gasprom die formelle Begründung, anderenfalls die Frage nach der Gasabschaltung zu stellen. Zudem wird es weit schwieriger sein, die Gasschulden einzutreiben, wenn eine Regierung Timoschenko an die Macht kommt.

Man muss kein Prophet sein, um hohe Spannungen in den Beziehungen zwischen Gasprom und den Abnehmern vorherzusagen. Während die Ukraine, Weißrussland, Moldawien und andere postsowjetische Republiken vom russischen Gas faktisch völlig abhängen, so tut Europa das nur zu 25 Prozent. Dennoch sind gerade die europäischen Lieferungen für die Preise des russischen "blauen Brennstoffs" bestimmend. Und der Anstieg dieser Preise wird entscheidend sein für die Weiterentwicklung der Gasprom-Strategie in Richtung allmählicher Erreichung der "gleichen Rentabilität" der Lieferungen an alle Verbraucher. Zweifellos wird eben das Tempo der Preisangleichung für die GUS-Länder und die EU ständige Konflikte mit den ehemaligen UdSSR-Nachbarn auslösen. Dies um so mehr, als die Preise stürmisch anziehen.

Gasprom hat vor, 2008 den Preis für sein Produkt für die westeuropäischen Länder gleich um 60 Prozent zu erhöhen. Das erklärte am 20. November Alexander Medwedew, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Konzerns. Er sagte, dass der Gaspreis für Europa im kommenden Jahr von den heutigen 250 Dollar pro 1000 Kubikmeter bis auf 300 bis 400 Dollar steigen kann. Der Grund für einen möglichen "dritten Gaskrieg" ist nicht nur der allgemeine Preisanstieg bei den Energieträgern und der Kursverfall des US-Dollars. Nach Ansicht des Chefs von Gasexport ist Gasprom über die Pläne der EU-Kommission über die Liberalisierung des EU-Energiemarktes, die eindeutig gegen die Investitionspläne des Konzerns gerichtet sind, alles andere als begeistert. "Die Liberalisierung des europäischen Marktes wird unbedingt eine Situation herbeiführen, bei der eine Preiserhöhung unvermeidlich ist", betonte A. Medwedew.

Die Pläne des russischen Monopols, bis 2015 als Antwort auf den zunehmenden Gasverbrauch auf dem Alten Kontinent seinen Anteil an den Gaslieferungen nach Europa bis auf 33 Prozent zu bringen, könnten indes gefährdet werden. A. Medwedew äußerte im Grunde erstmalig die Meinung von Gasprom über die neuen Energie-Initiativen von Brüssel und warnte vor "ernsten negativen Folgen für die langfristige Naturgasversorgung der Europäischen Union", wenn die EU-Kommission ihre Forderungen nicht mäßige. In diesem Zusammenhang wurde sogar darauf angespielt, dass Gasprom "den Hahn auf Sparflamme stellen" könnte - wie in den Fällen mit der Ukraine und mit Weißrussland.

Demnach ist der seit langem erwartete Beschluss von Aschchabad, die Preise für sein an Gasprom zu lieferndes Gas zu erhöhen, nur eine weitere Äußerung des umfassenderen globalen Trends: des unerbittlichen Preisanstiegs bei Roh- und Brennstoffen. Zweifellos kann dieser Prozess nicht konfliktlos verlaufen. Die Gegensätzlichkeit der Interessen von Lieferant und Verbraucher bewirkt Spannungen bei den Preisverhandlungen, und im Falle mit unseren GUS-Nachbarn spielt auch die Mentalität der Verbraucher ihre Rolle, die viel zu lange Gas aus Russland für ein Butterbrot bekamen. Der Übergang zu Marktbeziehungen verläuft schmerzhaft. Aber der Brennstoff-"Paternalismus" von Moskau gegenüber den GUS-Ländern ist bereits zu Ende, wie übrigens auch die Strategie der Stützung der Industrie innerhalb des Landes zu Ende geht. Die totale Überführung aller Verbraucher auf Markt-, lies: hohe Preise, ist nicht zu vermeiden.

Offenbar wird der Trend in den Hauptstädten der Gasverbraucherländer klar erkannt. Brüssel droht mit der Diversifizierung der Gasversorgungsquellen für Europa und zählt zugleich recht inkonsequent zum Beispiel das Projekt der Gasrohrleitung "Nord Stream" zu den Prioritäten, auf die sich die Wirkung seiner neuen Direktiven nicht ausdehnt. Dort weiß man ausgezeichnet, dass es praktisch nicht real ist, ohne russisches Gas den zunehmenden Bedarf der Energiewirtschaft zu decken wie auch den Forderungen der Ökologie zu genügen. Genauso gehört das Thema Gas auch in den Hauptstädten der GUS-Länder zu den wichtigsten Prioritäten. Anders lässt sich der Umstand nicht erklären, dass bei der jüngsten Sitzung des Rates der Regierungschefs der GUS vorige Woche in Aschchabad die Ministerpräsidenten so massiert erschienen: Erstmalig entsandten von den 12 Teilnehmerländern zehn ihre Premiers zum Treffen. Alle interessierte die Frage des Preises des turkmenischen Gases. Die Antwort darauf kam erst nach Abschluss des Treffens.

Dennoch erfordert die Situation auf dem Gasmarkt der GUS ganz gewiss wenn nicht die Einheit von Lieferanten und Verbrauchern, so doch zumindest eine Koordinierung ihrer Handlungen. "Eine Vereinigung der Gastransiteure, -exporteure und -produzenten tut not", das war die Aufforderung des ukrainischen Premiers Viktor Janukowitsch an seine Kollegen. Und obwohl in Aschchabad niemand die Idee der Bildung einer "Gas-OPEC" im GUS-Rahmen offen unterstützte, wird der zentripetale Trend immer stärker. Um so realer wird die Koordinierung der Handlungen der Gaslieferanten aus der Ex-UdSSR nach Unterzeichnung des Abkommens über den Baubeginn der Gaspipeline im Kaspi-Raum sein. Begreiflicherweise wird Gasprom den neuen Preis für das turkmenische Gas akzeptieren und so seine Lieferungen über das russische Gastransportsystem expandieren helfen.

Wohl schon im Dezember werden die Präsidenten von Russland, Turkmenistan und Kasachstan die Dokumente unterzeichnen, die eine beträchtliche Erweiterung des Gastransits aus Zentralasien durch Russland sichern werden. Der Bau der Gasrohrleitung im Kaspiraum und die Erweiterung des Systems "Mittelasien - Zentrum" werden insgesamt rund 100 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr ergeben. Deshalb wird kaum jemand eine Preiserhöhung um 30 Dollar einen übermäßigen Lohn nennen für ein dermaßen ernstes, positives Vorankommen bei der Kooperation der GUS-Länder im Sektor Gas.

* Dr. oec. Igor Tomberg ist führender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Energiestudien des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 27. November 2007; http://de.rian.ru



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