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Vorrang für Waffensysteme aus dem eigenen Land - Rüstungsbranche in der Türkei boomt

Ein Beitrag von Thomas Bormann in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderator):
Die Türkei ist nach den Vereinigten Staaten das Land mit der zweitgrößten Armee innerhalb der NATO. An den Grenzen zu Syrien und zum Irak sind zurzeit Tausende von Soldaten im Einsatz - unterstützt auch von der Bundeswehr, die in der Stadt Kahraman-Márasch Patriot-Abwehrraketen stationiert hat. Auf lange Sicht aber will die Türkei von fremder Hilfe unabhängig werden. Dafür hat sie ihren Verteidigungshaushalt erhöht und will ihre heimische Rüstungs-Industrie ausbauen. Schon jetzt werden viele Panzer, Hubschrauber und Waffensysteme im eigenen Land produziert. Mehr noch: die Türkei möchte zu einem der größten Exporteure von Rüstungsgütern werden. Thomas Bormann berichtet.


Thomas Bormann

Mitte Juni dieses Jahres auf dem Gelände der Kommandantur des türkischen Heeres in Ankara: Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdogan lassen sich den neuen Kampfhubschrauber T 129 ATAK vorführen. Der Hubschrauber schwebt eine Zeitlang gut drei Meter über dem Boden; fliegt dann zunächst ein Stück vorwärts, danach rückwärts und schließlich seitwärts über den Platz; vor dem Piloten sitzt der Bordschütze, der mit Hilfe des Bordcomputers das eingebaute Maschinengewehr an der Unterseite des Hubschraubers in alle Richtungen schwenkt. Ministerpräsident Erdogan ist begeistert:

O-Ton Erdogan (overvoice)
„Die meisten Geräte und Elemente des Kampfhubschraubers ATAK - darunter auch der Bordcomputer - sind von türkischen Ingenieuren entwickelt worden.“

Der T 129 ATAK ist der Stolz der türkischen Armee, eine Weiterentwicklung eines italienischen Hubschraubers, er soll jetzt in großer Serie in der Türkei produziert werden:

O-Ton aus Werbefilm (overvoice)
„Ich bin ATAK.“ – „Mein Auftrag: die Türkei schützen.“

Heißt es im Werbefilm der Herstellerfirma.

Die gesamte türkische Rüstungs-Branche ist auf Expansionskurs. Erdogan gerät ins Schwärmen, wenn er all die Neu-Entwicklungen aufzählt, für die seine Regierung die Aufträge erteilt hatte. Der Kampfhubschrauber ATAK ist nur eines von vielen Vorzeige-Projekten:

O-Ton Erdogan (overvoice)
„All diese Projekte tragen jetzt ihre Früchte: Unser nationaler Panzer “ALTAY”, unser nationales Kriegschriff “MILGEM”, unsere Drohne “ANKA”, unser Trainingsflugzeug “HÜRKUS” sind nur einige davon."

Erklärtes Ziel der türkischen Regierung ist es, eine eigene Rüstungs-Industrie aufzubauen, die alle Sparten der türkischen Armee ausrüsten kann: das Heer, die Luftwaffe und die Marine. Die Türkei will nicht mehr auf Importe angewiesen sein und gleichzeitig beweisen, wie leistungsfähig die türkische Wirtschaft ist. Verteidigungsminister Ismet Yilmaz hat die Zahlen dazu:

O-Ton Yilmaz (overvoice)
„Vor zehn Jahren noch waren wir zu 80 Prozent vom Ausland abhängig. Heute ist dieser Anteil unter die 50-Prozent-Marke gesunken.“

Der Anteil der Importe soll noch weiter sinken.

Die Türkei lässt sich ohnehin nicht gern in ihre Beschaffungspolitik für Rüstungsgüter hineinreden, auch nicht von den NATO-Partnern. Das wurde vor knapp einem Jahr deutlich, als die türkische Regierung ausgerechnet in China ein Raketen-Abwehr-System für mehr als drei Milliarden Dollar bestellte – gegen den Protest der NATO-Partner. Noch ist es allerdings möglich, dass dieser Deal zwischen der Türkei und China platzt; noch wird verhandelt.

Auf Dauer setzt die Türkei darauf, Rüstungsgüter nicht zu importieren, sondern sie zu exportieren. Die großen, türkischen Rüstungsbetriebe haben sich deshalb zu einem Verband zusammengeschlossen, um gemeinsam den Export von Rüstungsgütern aus der Türkei zu fördern. Deren Chef Lütfi Aral Alis hofft auf große Geschäfte in naher Zukunft:

O-Ton Alis (overvoice)
„Es ist gut, dass sich der türkische Staat beim Einkauf von Verteidigungsgütern zunehmend auf einheimische Firmen verlässt und dass die türkischen Streitkräfte zunehmend türkische Produkte in ihr Inventar aufnehmen und nutzen. Das steigert die Attraktivität unserer Produkte auf dem Auslandsmarkt erheblich.“

Tatsächlich haben bereits die Armeen von rund einem Dutzend Staaten Interesse am neuen Kampfhubschrauber ATAK gezeigt, darunter Libyen, Saudi-Arabien oder Pakistan. Noch aber gibt es keine konkreten Bestellungen für den Hubschrauber.

Die türkische Firma Roketsan ist da schon einen Schritt weiter. Sie stellt Raketen her, die lasergesteuert von Hubschraubern aus abgeschossen werden können. Vor gut einem Jahr bestellten die Vereinigten Arabischen Emirate Raketen der Firma Roketsan – Auftragsvolumen: 196 Millionen Dollar.

Bislang gibt es in der türkischen Öffentlichkeit keinerlei Diskussion über die Frage, ob türkisches Kriegsgerät überhaupt in Krisenländer geliefert werden soll. So können die türkische Regierung und die türkische Rüstungs-Industrie weiterhin unbehelligt die Werbetrommel rühren für ihre Waffensysteme, ihre Hubschrauber und ihre Panzer.

Lütfi Aral Alis vom Verband der Rüstungs-Exporteure hat also allen Grund, zufrieden zu sein:

O-Ton Alis (overvoice)
„Ich möchte betonen, dass Staat und Privat-Unternehmen sehr gut zusammenarbeiten, um den Export zu fördern. Unser Verband hat bereits eine Expertengruppe gegründet, um unsere Produkte weltweit auf den Markt zu bringen. Und die Regierung hilft privaten Unternehmen bei der Finanzierung von Exporten. Wir freuen uns, dass die Regierung die Verteidigungs-Industrie effektiv unterstützt.“

Ein türkisches Firmenkonsortium stellt Panzer-Haubitzen her, die auf einem südkoreanischen Modell aufbauen und die die türkische Armee seit Jahren im Einsatz hat. Diese Haubitzen vom Typ FIRTINA haben ihre Feuerprobe bereits bestanden, denn sie wurden auch schon im Ernstfall eingesetzt, nämlich im Süden der Türkei, an der fast 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien.

Von Syrien aus schlagen immer wieder Granaten auf türkischem Boden ein. Vor knapp zwei Jahren wurden bei einem solchen Vorfall in der türkischen Grenzstadt Akcakale fünf Menschen getötet: eine Mutter mit ihren drei Kindern sowie eine Nachbarin der Familie.

Seit diesem Vorfall schießt die türkische Armee regelmäßig zurück, wenn wieder Granaten aus Syrien auf türkischem Boden einschlagen. Dazu ermittelt die türkische Armee den mutmaßlichen Abschussort der syrischen Granate und schießt dann auf diese Stellung, zum Beispiel mit einer Haubitze vom Typ FIRTINA. Diese Erprobung im Ernstfall macht die Haubitze zu einem begehrten Exportgut. Aserbaidschan hat schon 36 Stück in der Türkei bestellt; das Geschäft läuft also an.

Lütfi Aral Alis vom Verband der Rüstungs-Exporteure ist optimistisch, dass die Türkei ihre hoch gesteckten Ziele erreichen wird und bald in die erste Liga der weltweiten Rüstungs-Exporteure aufsteigen wird:

O-Ton Alis (overvoice)
„Die Projekte und Aufträge, an denen türkische Unternehmen derzeit arbeiten, deuten darauf hin, dass das Ziel für das Jahr 2023 durchaus realistisch ist. Zwar hat die Türkei noch einen sehr geringen Anteil innerhalb der globalen Verteidigungsindustrie. Aber bis zum Jahr 2023 wird die Türkei zu den größten Zehn Exporteuren gehören."

Ein ehrgeiziges Ziel: Die Türkei will das Volumen ihres Rüstungs-Exports innerhalb eines Jahrzehnts um das 18-Fache steigern. In konkreten Zahlen: im vergangenen Jahr exportierte die Türkei Rüstungsgüter im Wert von 1,4 Milliarden Dollar. Im Jahr 2023 sollen es 25 Milliarden Dollar sein.

Im Jahr 2023 wird die Republik Türkei 100 Jahre alt. Sie will ihren Geburtstag als regionale Supermacht feiern; als Land mit einer starken Armee, als großer Rüstungs-Exporteur.

Der Weg dorthin ist noch weit, aber der Weg ist geebnet, meint Ministerpräsident Erdogan, der vor zwei Monaten bei der Vorstellung des neuen Kampfhubschraubers ATAK die rosige Zukunft der türkischen Rüstungs-Industrie beschwor:

O-Ton Erdogan (overvoice)
„Dieser Hubschrauber wird nur in der Türkei gebaut. Von hier aus wird er dann in andere Länder verkauft. Durch das Projekt ATAK ist die Türkei von einem Hubschrauber-Importeur zu einem Land aufgestiegen, das Hubschrauber herstellt und exportiert. Das ist für uns alle ein großer Erfolg, ein historischer Schritt.“

Jetzt will sich Erdogan zum neuen Staatspräsidenten der Türkei wählen lassen. Er hat fest vor, dieses Amt auch im Jubiläumsjahr 2023 noch auszuüben; sein Traum ist, dann Präsident einer stolzen Nation zu sein, die tatsächlich zu den größten Rüstungsproduzenten der Welt zählt.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 9. August 2014; www.ndr.de/info


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