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Verhandeln ist alternativlos

Ali Atalan sieht die prokurdische HDP als wichtigen Faktor zur Deeskalation in der Türkei

Von Ismail Küpeli *

In der Türkei geht die Regierung gegen die Arbeiterpartei PKK und unliebsame Oppositionelle vor. Die kurdische linke Partei HDP möchte zwischen Erdogan und PKK gerne vermitteln. Ein Interview mit Ali Atalan.

Herr Atalan, Sie waren ja bis zum vergangenen Jahr bei der LINKEN in Deutschland aktiv. Was hat Sie dazu bewegt, sich jetzt bei der linken und prokurdischen HDP in der Türkei zu engagieren?

Für die Entscheidung, mich für die HDP einzusetzen, gab es zahlreiche Gründe. In der Türkei nimmt die Unterdrückung und Ausbeutung der einfachen Bevölkerung zu und die türkische Regierung zieht das Land immer tiefer in die unsinnigen und blindwütigen Kriege im Nahen und Mittleren Osten. In dieser aktuellen Lage sah ich die Notwendigkeit einer politischen Alternative zum gegenwärtigen Kurs, zu dem ich mit beitragen wollte. Die HDP stellt nach meiner Ansicht ein solches notwendiges Gegenmodell bereit. Deswegen habe ich trotz der Risiken und Gefahren, die linken Politikern in der Türkei drohen, mich im Geiste des Internationalismus in die Türkei begeben und hier in der HDP engagiert.

Zur Person

Ali Atalan wurde 1968 in der Türkei geboren, wuchs in einer jesidisch-kurdischen Familie auf und kam 1985 in die Bundesrepublik. Er war dort bei den Grünen und danach in der LINKEN politisch aktiv. 2015 wurde Atalan als Abgeordneter der südosttürkischen Stadt Batman für die HDP (Demokratische Partei der Völker) in das türkische Parlament gewählt.



Wir erleben derzeit eine massive Eskalation der gespannten Lage in der Region. Die türkische Luftwaffe bombardiert PKK-Stellungen in Nordirak, in der Türkei finden tagtäglich Attentate und Gefechte zwischen der türkischen Armee und PKK-Kämpfern statt. Wie ist diese Verschärfung zu erklären?

Sie hängt unmittelbar mit dem Wahlerfolg der HDP zusammen. Die islamisch-konservative AKP hat dadurch ihre Alleinherrschaft verloren und das Ziel von Staatschef Recep Tayyip Erdogan zur Errichtung des Präsidialsystems ist damit gescheitert. Das geben inzwischen auch die Verantwortlichen der Partei offen zu. Die AKP-Führung will Neuwahlen erzwingen und diese in einem kontrollierten Kriegszustand stattfinden lassen. In solchen Verhältnissen sollen die Wähler durch Angst davon abgebracht werden, die HDP zu wählen. Erdogan und die AKP hoffen, dass somit die HDP unterhalb der undemokratischen 10-Prozent-Wahlhürde bleibt und die AKP wieder alleine regieren kann.

Derzeit ermittelt die oberste Staatsanwaltschaft gegen die HDP wegen vermeintlicher Unterstützung des Terrorismus. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen? Könnte es tatsächlich zu einem Parteiverbot gegen die HDP kommen?

Nein, ich glaube nicht, dass es zu einem solchen Verbot kommt. Die Vorwürfe sind absurd und das Ganze ist eine politisch motivierte Kampagne, um die HDP zu kriminalisieren. Denn die HDP ist einzige Partei, die konsequent für Demokratie, Toleranz und Gerechtigkeit steht, was der AKP ein Dorn im Auge ist. Das Verfahren ist jedenfalls juristisch nicht haltbar und nur möglich in einem Land wie der Türkei, in der die Justiz nicht frei ist. Erdogan hat alle Staatsgewalten gleichgeschaltet und lenkt alles nach eigener Vorstellung.

Was müsste jetzt geschehen, um die Eskalation und den drohenden Bürgerkrieg in der Türkei wieder abzuwenden? Welche Rolle kann hierbei die HDP spielen? Können Deutschland und die Europäische Union die Deeskalation der Lage unterstützen - und wenn ja, wie?

Die HDP kann und muss weiter für Deeskalation und Frieden streiten und alle Konfliktparteien zu einem Dialog bewegen. Dies ist die Position meiner Partei, die wir auch immer wieder betonen.

Unser Kovorsitzender Selahattin Demirtas hat wiederholt und unmissverständlich beide Seiten dazu aufgerufen, die Kämpfe ruhen zu lassen und wieder zum Waffenstillstand und zu erneuten Verhandlungen zurückzukehren. Es gibt keine Alternative dazu, die Fortführung des Krieges erzeugt nur Leid und Trauer und erschwert eine friedliche Lösung immer mehr. Wir sind jedenfalls für Frieden und Demokratie in der Türkei angetreten und werden diesen Weg weiter gehen - trotz der Angriffe aus dem Erdogan-Lager und der Kriegstreiber in der Türkei.

Was die westlichen Länder tun können, ist, auf die Türkei einzuwirken, dass sie ihre aggressive und kriegerische Haltung aufgibt und mit der PKK wieder verhandelt. Zwei konkrete Schritte würden den Friedensprozess sicher fördern: die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und der Rückzug der deutschen Patriot-Raketen aus der Türkei. Denn jetzt haben wir einen völkerrechtswidrigen Krieg, in dem der Westen leider als Verbündeter der kriegerischen Erdogan-Strategie agiert. Bei den türkischen Angriffen sind bisher Dutzende Zivilisten getötet werden, wie zuletzt in Nordirak im Dorf Zergele. Der sinnlose Krieg Erdogans gegen die Kurden muss gestoppt werden. Dazu müssen alle internationalen Institutionen und Organisationen beitragen und dringend politisch intervenieren. Der jetzige Kurs der türkischen Regierung facht die Kriege in der Region an und dies muss umgehend ein Ende finden.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 4. August 2915


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