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Ilisu-Projekt vor dem Aus

Keine deutschen Exportbürgschaften für Staudamm in der Türkei

Erfolg langjähriger Arbeit von Nichtregierungsorganisationen: Für das Ilisu-Staudammprojekt gibt es keine Exportbürgschaften aus Deutschland.



Berlin (epd/ND). Der umstrittene Ilisu-Staudamm in der Türkei wird nicht mit Hermes-Bürgschaften finanziert. Die staatlichen Exportkreditagenturen von Deutschland, Österreich und der Schweiz stoppten am Dienstag ihre Kreditbürgschaften, wie das Entwicklungsministerium in Berlin mitteilte. Die Auflagen für Umweltschutz, Kulturgüter und Umsiedlungen seien innerhalb der vertraglichen Frist nicht erfüllt worden. Die Regierung in Ankara will indes am Projekt festhalten und sucht nach alternativen Finanzierungsquellen in Russland, China oder Indien. Notfalls will man es allein stemmen.

Die Türkei hatte 2006 mit dem Projekt im Südosten des Landes begonnen. Durch die Staumauer sollte ein 300 Quadratkilometer großer Stausee entstehen, in dem unter anderem die antike Stadt Hasankeyf versunken wäre. Zugleich hätten mehr als 50 000 Menschen umgesiedelt werden müssen. Das Vorhaben wurde von Anfang an vor allem von Umweltschützern und Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert.

Deutschland hatte das Bauprojekt mit rund 190 Millionen Euro über eine Hermes-Bürgschaft abgesichert. Im vergangenen Dezember suspendierte Deutschland die Bauverträge. Um Mitternacht lief nun die Frist für Nachbesserungen ab. Da die Fortschritte nicht ausreichten, konnte die Suspendierung der Bauverträge nicht aufgehoben werden.

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und die Grünen reagierten ebenso erleichtert wie der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdulvahap Kusen: »Wir wollen nicht, dass Hasankeyf zerstört wird«, so Kusen. Er forderte, den Ort als UNESCO-Weltkulturstätte zu schützen. Die Kampagne GegenStrömung sprach von einem »Meilenstein auf dem Weg, das Projekt endgültig zu stoppen«. Ilisu sei zum »Wahrzeichen einer verfehlten Exportpolitik« geworden. Amnesty International forderte die Bundesregierung auf, die Vergabe staatlicher Kreditbürgschaften mit der Einhaltung der Menschenrechte zu verbinden.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009

Symbol Ilisu

Von Kurt Stenger **

Es ist zweifellos ein großer Erfolg internationaler Kampagnenarbeit von Nichtregierungsorganisationen: Deutschland, Österreich und die Schweiz steigen aus der Finanzierung des Ilisu-Staudamms in der Türkei aus. Ob er jemals gebaut wird, ist damit äußerst fraglich.

Ilisu ist zum Symbol für ein sinnloses »Entwicklungsprojekt für eine rückständige Region« geworden: Zehntausenden droht die Zwangsumsiedelung, Flora und Fauna würden geschädigt, die archäologischen Stätten von Hasankeyf zerstört. Und Ankara würde dem Nachbarn Irak das knappe Wasser noch stärker abgraben. Selbst die nicht gerade für ethische Geschäftspolitik bekannte Schweizer Großbank UBS zog sich schon vor Jahren aus dem Projekt zurück. Es fanden sich aber andere Banken und Baufirmen - auch dank staatlicher Exportbürgschaften u.a. aus Deutschland, an denen der Bund trotz aller Kritik lange festhielt.

Mit deren Aus wäre es nun an der Zeit, die Schlussfolgerungen zu ziehen: Die türkische Regierung sollte mit der vorwiegend kurdischen Bevölkerung im Südosten über eine bedarfsgerechte Entwicklung sprechen - und Hasankeyf bei der UNESCO als Weltkulturerbe anmelden, statt auf ein beleidigtes »jetzt-erst-recht« zu setzen. Und der Bund müsste endlich seine Exportförderpolitik nach ökologischen und sozialen Kriterien ausrichten. Dies alles steht nicht auf der Tagesordnung - zumindest nicht ohne starken außerparlamentarischen Druck.

** Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009 (Kommentar)




Sieg für Staudammgegner

Bundesregierung kündigt Hermes-Bürgschaften für türkischen Ilisu-Bau

Von Nick Brauns ***


Das Bundeskabinett und die Regierungen Österreichs und der Schweiz ziehen sich endgültig vom Bau des umstrittenen Ilisu-Großstaudamms im kurdischen Osten der Türkei zurück. Die Exportgarantien in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro für die beteiligten Firmen, darunter den Stuttgarter Baukonzern Züblin und den österreichischen Anlagenbauer Andritz, seien gestoppt worden, erklärte die »Euler Hermes Kreditversicherung« am Dienstag in Hamburg. »Die an diese Absicherung geknüpften Auflagen im Bereich der Umwelt, Kulturgüter und Umsiedlung konnten trotz teilweise erheblicher Verbesserungen innerhalb der vertraglich festgelegten Frist nicht erfüllt werden«, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Exportrisikoversicherer aller drei Staaten, nachdem Montag um Mitternacht ein letztes 180tägiges Ultimatum an Ankara endete.

Während auch in den letzten Wochen Dorfbewohner nahe der Ilisu-Baustelle enteignet wurden, existiert weiterhin kein Umsiedlungsplan für die rund 65000 von Vertreibung bedrohten Menschen im Tigristal. Die Aufstauung des Tigris hätte auch verheerende Folgen für die von diesem Wasser abhängige Landwirtschaft im Irak, hatte Bagdads Regierungssprecher Ali Al-Dabbagh am Wochenende erklärt. Durch den Dammbau würde zudem die antike mesopotamische Stadt Hasankeyf mit ihren einzigartigen archäologischen Monumenten überflutet. Erst vor wenigen Tagen hatten Archäologen der Universität Batman dort Skelette ausgegraben, die beweisen, daß schon vor 15 000 Jahren Menschen in Hasankeyf siedelten. Damit handelt es sich um einen der ersten Orte, an denen die Menschheit zum seßhaften Leben übergegangen ist.

»Der Rückzug der Bürgschaften für Ilisu ist ein riesiger Erfolg der intensiven Arbeit in allen beteiligten Ländern«, freut sich Heike Drillisch von der »GegenStrömung«, also der deutschen Kampagne gegen den Staudammbau. Mehr als zehn Jahre lang hatten Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen nachgewiesen, daß das Ilisu-Projekt internationale Standards verletzt und so auf den jetzigen Ausstieg der europäischen Staatsführungen hingewirkt. »Die türkische Regierung hat jede Legitimation in der Öffentlichkeit verloren, das Projekt umzusetzen«, erklärte der Wasserbauingenieur Ercan Ayboga aus Hasankeyf gegenüber junge Welt. »Nun beginnt für uns Betroffene der eigentliche Kampf, weil wir mit noch mehr Einsatz in der kurdischen und türkischen Gesellschaft die türkische Regierung dahin bringen müssen, vom Ilisu-Projekt Abschied zu nehmen.« Die Ankündigung der türkischen Regierung, den Staudamm mit Hilfe chinesischer Unternehmen zu realisieren, hält Ayboga gerade angesichts der blutigen Unruhen zwischen der von Ankara unterstützten türkischstämmigen uigurischen Bevölkerung in Nordwestchina und der chinesischen Staatsmacht für unwahrscheinlich. Da die türkische Wirtschaftsleistung zudem einen Einbruch von fast 14 Prozent aufweist, ist die eigene Finanzierung des Dammbaus nahezu ausgeschlossen.

*** Aus: junge Welt, 8. Juli 2009


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