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Wieder Streit um den Ilisu-Staudamm

Hat die Türkei den Bau wieder aufgenommen?

Von Jan Keetman, Istanbul *

Seitdem Umwelt- und Menschenrechtsgruppen am Montag Fotos veröffentlicht haben, die Bauarbeiten am Ilisu-Staudamm in der Türkei zeigen, ist die Frage umstritten, ob die Regierung in Ankara trotz der Warnungen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz den Staudamm am Tigris weiterbauen lässt.

Am 7. Oktober hatten Deutschland, Österreich und die Schweiz die türkische Regierung gewarnt. Die drei Staaten knüpfen Exportrisikogarantien für Firmen, die sich am geplanten Bau des Ilisu- Staudamms im Osten der Türkei beteiligen, an zahlreiche Bedingungen. Vor dem Beginn der Bauarbeiten müssten Auflagen der Weltbank erfüllt werden, die insbesondere die Vorbereitung der Umsiedlung von mehr als 50 000 Bewohnern der Region am Tigris und den Schutz der Kulturgüter des 6000 Jahre alten Städtchens Hasankeyf betreffen. Der Türkei war eine Frist bis zum 12. Dezember eingeräumt worden, um bisher Versäumtes nachzuholen.

In dieser Woche veröffentlichten Umweltgruppen, die sich in der europäischen Ilisu-Kampagne zusammengeschlossen haben, jedoch Fotos, die Bauarbeiten an einer Betonkonstruktion im Tigris und weitere Baufahrzeuge bei Erdarbeiten in einiger Entfernung zeigen. Diese Fotos, nach Aussagen der Umweltschützer am 2. Dezember aufgenommen, sollen »umfangreiche Arbeiten« vor Erfüllung der Auflagen belegen.

Es gibt indessen unterschiedliche Ansichten darüber, was die Betonkonstruktion ist und in welchem Verhältnis sie zum Bau des Staudamms steht. Peter Gumpinger von der Österreichischen Kontrollbank erklärte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA, es handele sich um eine Brücke für Dorfbewohner, die eine Fähre ersetzen solle. Die Kontrollbank ist an dem Projekt beteiligt, weil sie dem österreichischen Finanzministerium eine Empfehlung bezüglich der Exportrisikogarantien geben wird. In einem Artikel von »Hürriyet Daily News« wird das für Ilisu zuständige Wasserwirtschaftsamt der Türkei (DSI) dagegen mit der Aussage zitiert, es handele sich bei der Konstruktion um eine Brücke für Fahrzeuge, die beim Bau des Staudammes gebraucht, aber später wieder beseitigt werde. Außerdem zitierte »Hürriyet« einen nicht namentlich genannten Ingenieur, der meint, die Konstruktion sehe wie ein Teil eines Staudammes aus, nämlich ein Teil einer Schleuse, die später den Durchfluss des Wassers regeln soll. Kennern des Tigris ist ohnehin klar, dass eine so niedrige »Brücke«, sei sie für Fußgänger oder für Baufahrzeuge errichtet, im Frühjahr für längere Zeit unbenutzbar wäre.

Der mit einem Aufwand von 1,2 Milliarden Euro veranschlagte Bau des Ilisu-Dammes mit einem 1200-Megawatt-Kraftwerk soll 2013 abgeschlossen sein. Finanziert wird er zu 100 Prozent durch ausländische Kredite, die wiederum fast ausschließlich durch Exportrisikogarantien Deutschlands, Österreichs und der Schweiz abgedeckt werden. Das Projekt stand nach dem Rückzug verschiedener Firmen aus Großbritannien, Schweden und der Schweiz schon einmal vor dem Aus.

Auf Anfrage erklärte der Bürgermeister von Hasankeyf, Abdulwahap Kusen, dass es auch nach den Warnungen vom 7. Oktober keine wesentlichen Verbesserungen in Bezug auf die Vorbereitung von Umsiedlungen gegeben habe: »Da hat sich nicht viel getan«, sagte Kusen. Die Wiederaufnahme von Bauarbeiten wollte er weder bestätigen noch dementieren. Die Baustelle liege zu weit von der Stadt entfernt. Die türkische Regierung nahm bisher nicht Stellung zu den Vorwürfen.

Der Bericht einer Kommission unter Leitung von Margarete van Ess vom Deutschen Archäologischen Institut kam im Oktober zu dem Schluss, dass es noch immer an einer ausreichenden Dokumentation der bedrohten Kulturgüter mangele. Es fehlten auch Studien über die Durchführbarkeit der geplanten Verlegung von Kulturgütern in einen archäologischen Park in der Nähe des dann untergegangenen Hasankeyf.

Claudia Roth, Chefin der Grünen in Deutschland, kritisierte Ankara scharf. Gemeinsam mit der Grünen-Entwicklungspolitikerin Ute Koczy erklärte sie, die Türkei habe mit der Wiederaufnahme der Bauarbeiten bewiesen, »dass sie sich in verantwortungsloser Weise über jegliche Vereinbarungen hinwegsetzt«. Die drei beteiligten Staaten seien »brüskiert« worden, weshalb die Bundesregierung nun endgültig die in Aussicht gestellten Bürgschaften zurückziehen müsse.

Mittlerweile nimmt auch der Widerstand gegen das Ilisu-Projekt in der Türkei zu. Letzte Woche demonstrierten mehrere bekannte türkische Schauspieler in Istanbul für den Erhalt der Stadt Hasankeyf. Insbesondere viele Kurden sehen in Hasankeyf ein Zeugnis ihrer Geschichte, das nicht untergehen dürfe.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008


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