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Die NATO auf dem Weg nach Syrien – Die Kriegsgefahr steigt

Bundesregierung zündelt mit - Friedensbewegung gegen Patriot-Einsatz an der türkisch-syrischen Grenze

Eine Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag

Kassel, Berlin, 6. Dezember 2012 – Zum Beschluss der Bundesregierung, deutsche Patriot-Flugabwehrraketen und AWACS-Überwachungsflugzeuge samt deutschen Soldaten an die türkisch-syrische Grenze zu verlegen, erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken und Peter Strutynski:

Auf Grund des heutigen Kabinettbeschlusses ist der Deutsche Bundestag am 14. Dezember aufgerufen, über die Stationierung von zwei mobilen PATRIOT-Flugabwehrsystemen und den Einsatz von AWACS-Radar-Flugzeugen in der Türkei abzustimmen, an denen sich die Bundeswehr mit bis zu 400 Soldaten beteiligen will. Angeblich wird damit nur der eine Zweck verfolgt, Syrien von einem Raketenangriff (auch mit Chemiewaffen) auf den Bündnispartner Türkei abzuschrecken. AWACS-Flugzeuge sollen dies per Radar unterstützen, indem sie den syrischen Luftraum nach anfliegenden Raketen, Flugzeugen und Hubschraubern abtasten.

Syrien erklärt jedoch seit geraumer Zeit offiziell, dass es unter keinen Umständen Chemiewaffen einsetzen wird - nicht gegen das eigene Volk und nicht gegen das Ausland. Warum sollte es auch? Der größte Militärpakt der Welt, die NATO würde jeglichen Angriff zum willkommenen Anlass nehmen, endlich dem Assad-Regime militärisch den Garaus zu machen. Ein Angriff auf die NATO käme - mit oder ohne PATRIOT – einem Selbstmord des Assad-Regimes gleich. Die Bundesregierung betont bei ihrer Entscheidung, dass die PATRIOT-Stationierung rein defensiven Charakter habe und das erodierende Assad-Regime von irrationalen Handlungen abschrecken solle. Das ist blanker Unfug! Denn diese Abwehrmaßnahme ist nicht geeignet, sämtliche Chemiewaffeneinsatzmöglichkeiten (wenn wir sie einmal unterstellen wollten), sei es durch Mörser, Artilleriebeschuss, Flugzeuge oder Raketen, abzuwenden. Mit dem vorgeschobenen Posten an der syrischen Grenze verfolgt die NATO andere Ziele:
  • Die in US-Geheimdienstkreisen fabrizierten Gerüchte über einen möglichen Chemiewaffeneinsatz in- und außerhalb Syriens soll das Assad-Regime dämonisieren. Es wird als potentiell irrational handelnd dargestellt. Dieses Vorgehen erinnert sehr an die Kriegsvorbereitung gegen Irak 2002/2003, als Saddam Hussein vorgeworfen wurde, er sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Das war eine glatte Lüge; die angeblichen „Beweise“ waren Fälschungen. Mit ihnen aber wurder der völkerrechtswidrige Krieg gegen Irak begründet.
  • Die US-Regierung nutzt die selbst erzeugte Diskussion um syrische Chemiewaffenbestände, um militärische Eingreifpläne zu entwickeln. Die in Syrien vorhandenen C-Waffenbestände sollen vor dem unbotmäßigen Zugriff durch syrische Soldaten, Al Kaida oder der Hizbullah „gesichert“ werden. Die Rede ist von 75.000 US-Soldaten und der US-Luftwaffe, die dafür aufgeboten werden müssten. Eine künstlich erzeugte Hysterie um Chemiewaffen soll die Begründung für eine Militärintervention liefern.
  • Mit dem Einsatz von AWACS-Flugzeugen wird ein ständiges detailliertes Lagebild aller Flugbewegungen über Syrien erstellt. AWACS sind so ausgerüstet, dass sie der „Vernetzten Operationsführung“ unterliegen, welches es ermöglicht, allen Führungs- und Einsatzebenen gleichzeitig dasselbe Lagebild auf ihre Displays zu senden. Das träfe sowohl auf die PATRIOT-Batterien als auch auf die Kommandozentrale im pfälzischen Ramstein zu. Der Verdacht liegt nahe, dass auch militante Rebellen mit diesen Luftlagebilder versorgt werden. Für diejenigen militanten Assad-Gegner, die über Luft-Boden-Raketen verfügen (z.B. Stinger), wäre ein aktuelles Luftlagebild Gold wert.
  • Eine Flugverbotszone über Syrien, ohne dass der UN-Sicherheitsrat ihn mandatieren müsste, rückt damit in greifbare Nähe - auch wenn die Bundesregierung verkündet, dies nicht im Sinn zu haben. Eine syrische Armee ohne Luftwaffe ist leicht besiegbar. Das historische Vorbild ist die Ausrüstung der afghanischen Mudschaheddin mit Stinger-Raketen durch die CIA gegen die sowjetische Luftwaffe in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.
  • Auch die Radaranlagen der PATRIOT erstellen einen präzisen Luftlageplan, der über Aleppo, der nach Damaskus wichtigsten Stadt Syriens im Norden des Landes, hinausreicht. Faktisch könnte durch eine Verlegung der PATRIOT in Grenznähe eine Flugverbotszone durchgesetzt werden. Dies wäre eine günstige Ausgangslage für eine Bodeninvasion.
Der PATRIOT- und AWACS-Einsatz stellt einen Meilenstein auf dem Weg der NATO in den Krieg dar mit potenziell verheerenden Folgen für die gesamte Region, angefangen beim Libanon und endend beim Iran. Hier steht eine ganze Weltregion auf dem Spiel. Die Lage ist so gefährlich, dass jede weitere Einmischung von außen, den gefürchteten Flächenbrand auslösen kann.

Zu Verhandlungen ist es nicht zu spät. Und es ist nicht zu spät dafür, dass die Bundesregierung von ihrem gefährlichen Irrweg abgebracht wird.

Wir fordern die Abgeordneten des Bundestags auf, ihr persönliches Gewissen zu befragen, und in der kommenden Woche gegen den Antrag der Bundesregierung zu stimmen.

Der Bundesausschuss ruft die Friedensbewegung auf, gegen den Wahnsinn dieser Kriegspolitik durch vielfältige Aktionen zu demonstrieren.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Berlin
Peter Strutynski, Kassel


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