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PKK-Verbot aufheben

Seit 20 Jahren wird die Arbeiterpartei Kurdistans in der BRD kriminalisiert: Demonstration in Berlin fordert Ende der Verfolgung. Unterstützung des Friedensprozesses in der Türkei

Von Nick Brauns *

Unter dem Motto »Friedensprozeß unterstützen – PKK-Verbot aufheben« ruft die Kampagne »Tatort Kurdistan« zu einer Großdemonstration am Samstag in Berlin auf. Anlaß ist der 20. Jahrestag des Betätigungsverbots für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Zu der unter anderem von der kurdischen Föderation Yek Kom, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, dem Netzwerk Friedenskooperative, der DKP, der Interventionistischen Linken, der Grünen Jugend Niedersachsen, Abgeordneten und Gliederungen der Linkspartei sowie dem Revolutionären [3A]* Bündnis unterstützten Demonstration werden über 10000 Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet erwartet.

Deutschland kam aufgrund der hier lebenden kurdischen Diaspora im Rahmen eines von der NATO nach Beginn des bewaffneten Kampfes in Kurdistan Mitte der 80er Jahre gestarteten Aufstandsbekämpfungsprogrammes eine Schlüsselstellung zu. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann erklärte die PKK damals zum »Hauptfeind der inneren Sicherheit«. Mit einem 1989 in Düsseldorf initiierten Schauprozeß gegen 20 kurdische Politiker sollte die Befreiungsbewegung als terroristisch gebrandmarkt werden. Parallel zum Ausbruch von Volksaufständen in Kurdistan erfuhr die PKK zu Beginn der 90er Jahre in Deutschland sehr große Unterstützung unter den Kurden. Darauf zielte das am 26. November 1993 von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verfügte Betätigungsverbot für die PKK, die Nationale Befreiungsfront Kurdistans ERNK sowie 29 Kulturvereine. Als offizielle Begründung des in enger Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung erlassenen Verbots dienten gewaltsame Übergriffe auf türkische Vertretungen, Cafés und Reisebüros, mit denen Kurden in Deutschland gegen die Bombardierung der Stadt Lice durch die türkische Armee protestierten. In der Verfügung spielten diese der PKK angelasteten Gewalttaten dennoch nur eine untergeordnete Rolle: »Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht. (…) die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für Integrität eines wichtigen NATO-, WEU- und Europapartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.«

Seitdem wurden zahlreiche Demonstrationen und Veranstaltungen untersagt, Kulturvereine und Wohnungen durchsucht und Tausende Menschen verurteilt, weil sie für den Befreiungskampf gespendet oder Bilder von PKK-Chef Abdullah Öcalan gezeigt hatten. Als 1994 sogar die Feiern zum Newroz-Fest verboten und die anreisenden Busse von der Polizei auf der Autobahn gestoppt wurden, reagierten die Insassen mit Straßenblockaden. Die Medienhetze gegen »Terrorkurden« überschlug sich nun. In Hannover tötete ein Zivilpolizist am 1. Juli 1994 den 16jährigen Halim Dener beim Kleben von PKK-Plakaten mit einem Schuß in den ­Rücken. Zu einer gewissen Entspannung kam es, nachdem der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan 1996 seine Anhänger zum Gewaltverzicht in Deutschland aufgerufen hatte. Im Jahr 2001 unterschrieben 40000 Kurden in Deutschland eine Erklärung, in der sie sich zur PKK und den Friedensvorschlägen des in türkische Gefangenschaft geratenen Öcalan bekannten. Die Staatsanwaltschaft reagierte mit einer neuen Prozeßwelle, zahlreichen Unterzeichnern wurde die Einbürgerung verweigert. In den vergangenen Jahren gerieten Medien wie die Tageszeitung Özgür Politika und der Satellitensender Roj TV verstärkt in den Fokus. Seit 2012 gelten PKK-Kader als Mitglieder einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch.

Ein Ende der Kriminalisierung ist nicht absehbar. So erklärte die Bundesregierung zwar auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke im Mai, sie verfolge »die Gespräche türkischer Regierungsstellen mit Vertretern der PKK mit großem Interesse. Derartige Gespräche haben aus Sicht der Bundesregierung derzeit keine Auswirkungen auf die Unterbindung von Aktivitäten einer in Deutschland verbotenen und auf der EU-Terrorliste gelisteten Organisation. Darum handelt es sich bei der PKK nach wie vor.« Da die Türkei einer der größten Abnehmer deutscher Militärtechnik ist, fragt sich, inwieweit die Bundesregierung überhaupt Interesse an einer Friedenslösung in Kurdistan hat.

* Aus: junge welt, Freitag, 15. November 2013


"Absurde Situation"

Deutsche Polizei macht Jagd auf Öcalan-Bilder, während die Türkei mit dem PKK-Chef verhandelt. Ein Gespräch mit Elmar Millich **

Elmar Millich ist Mitglied im Rechtshilfefonds für Kurden in Deutschland Azadi und Anmelder der Demonstration gegen das PKK-Verbot am Samstag in Berlin.


Welche politischen und sozialen Auswirkungen hat das PKK-Verbot auf die in Deutschland lebende kurdische Diaspora?

Die Auswirkungen sind immens. Seit 20 Jahren werden kurdische Vereine und Institutionen überwacht und ausgespäht. Razzien mit großem Polizeiaufgebot finden in manchen Vereinen mit jährlicher Regelmäßigkeit statt. Dazu kommen Benachteiligungen nach dem Ausländerrecht. Jungen Kurden wird die Einbürgerung verweigert, weil sie mit gerade mal 15 Jahren an legalen Demonstrationen teilgenommen oder kurdische Vereine besucht haben. Bei diesen Gelegenheiten zeigt sich auch die fast lückenlose Ausspähung kurdischer Einzelpersonen durch den Verfassungsschutz. Dazu kommen natürlich auch die strafrechtlichen Aspekte. In den letzten 20 Jahren gab es über 1000 Verfahren wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz etwa mit der Parole »Biji serok Apo – Es lebe der Vorsitzende Öcalan« auf Demonstrationen. Dazu kommen noch viele Verurteilungen zu Haftstrafen aufgrund der Terrorparagraphen 129, 129a und 129b Strafgesetzbuch.

Auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion gab die Bundesregierung im Frühjahr zu, daß sich die Mitgliederzahl der PKK während der Verbotszeit nahezu verdoppelt habe. Muß das Verbot aus Sicht der Verfolgungsbehörden nicht als gescheitert betrachtet werden?

Leider nein. Das Verbot hatte von Anfang an die Funktion, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, hier gegen den Krieg in ihrer Heimat zu protestieren, der ja von Deutschland etwa durch umfangreiche Rüstungslieferungen massiv unterstützt wurde. Natürlich erschwert auch die Stigmatisierung als »terroristische« Vereinigung, mit anderen Organisationen in Bündnissen zu arbeiten oder politische Lobbyarbeit zu betreiben, wie es andere Exilgruppen ganz selbstverständlich tun. Was das Verbot natürlich nicht bewirken konnte, ist die Verbundenheit der kurdischstämmigen Bevölkerung mit der Befreiungsbewegung zu verhindern.

Repressionen gegen Kurden gibt es ja auch in anderen Ländern. Inwieweit erfolgt hier eine internationale Koordination durch EU oder NATO?

Spätestens seit Ende 2001 gibt es ja weltweit eine enge Kooperation der Geheimdienste und Repressionsorgane. Dabei steht natürlich auch die PKK im Fokus regelmäßiger Treffen. In Europa wird es erklärtermaßen als vorrangig gesehen, angebliche Finanzströme aus Spenden der kurdischstämmigen Bevölkerung an die Befreiungsbewegung zu unterbinden. Die USA sehen ihre Aufgabe eher im Mittleren Osten, indem sie militärische Aufklärung für die Türkei betreiben und Druck auf die Kurdische Regionalregierung im Nord­irak ausüben, damit diese gegen die PKK vorgeht.

Der Aufruf zur Demonstration stellt die Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots in einen Zusammenhang mit einem Friedensprozeß in der Türkei. Inwiefern ist dieses Verbot ein Hindernis für eine Friedenslösung?

Es ist doch abstrus, daß die Polizei bei Demonstrationen in Deutschland Jagd auf Fahnen mit dem Bild Abdullah Öcalans macht, während die türkische Regierung zur gleichen Zeit mit Öcalan verhandelt. Zu Beginn des wieder ins Stocken geratenen »Friedensprozesses« haben sich zwar einige deutsche Politiker positiv geäußert, aber mehr ist nicht passiert. Eine Aufhebung des PKK-Verbots wäre da ein starkes Zeichen an die türkische Regierung, die Verhandlungen mit der PKK ernsthaft zu betreiben.

Politische Verbote haben in der Bundesrepublik langen Bestand. So gilt beispielsweise das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands von 1956 weiter. Wie realistisch ist die Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots?

Natürlich tun sich Regierungen schwer, da über ihren eigenen Schatten zu springen. Zudem ist die PKK bei der deutschen Bevölkerung durch jahrzehntelange Dämonisierung nicht eben populär. Ein wahrscheinlicheres Szenario wäre, daß die jetzige Organisierung im Rahmen der »Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans«, kurz KCK, nicht mehr als Nachfolgeorganisation der PKK betrachtet wird. Damit wären dann viele Probleme vom Tisch. Ähnlich lief es ja 1968 bei der Gründung der DKP.

Interview: Nick Brauns

** Aus: junge welt, Freitag, 15. November 2013


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