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Bewegender Abschied

Hunderttausend Menschen auf Trauerfeier für ermordete Kurdinnen in Diyarbakir

Von Nick Brauns *

Hunderttausend Menschen haben am Donnerstag bei einer Trauerfeier in der Metropole Diyarbakir im Südosten der Türkei von den drei vor einer Woche in Paris ermordeten kurdischen Revolutionärinnen Abschied genommen. Sakine Cansiz, eine Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und führende Aktivistin der Frauenbewegung, die Diplomatin Fidan Dogan und die Jugendaktivistin Leyla Saylemez waren im Kurdistan-Informationsbüro in Paris von unbekannten Tätern mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet worden. Schon im Jahr 2011 sei aus dem Umfeld der türkischen Regierungspartei AKP von Plänen aus dem Staatsapparat zur Entsendung von Hinrichtungskommandos gegen Vertreter der kurdischen Befreiungsbewegung in Europa berichtet worden, erklärte der Brüsseler PKK-Vertreter Zübeyir Aydar gegenüber der Nachrichtenagentur Firat.

Bereits in der Nacht zum Donnerstag hatten über zehntausend Menschen am Flughafen von Diyarbakir den Ermordeten Respekt erwiesen, als die Särge mit deren sterblichen Überresten eintrafen. Gestern blieben zahlreiche Läden in der Stadt geschlossen, während sich eine riesige Menschenmenge auf dem Batikent-Platz um die mit PKK-Fahnen bedeckten Särge versammelte. Der Oberbürgermeister von Diyarbakir, Osman Baydemir, und zahlreiche Abgeordnete der linken Partei für Frieden und Demokratie (BDP) beteiligten sich an der Trauerfeier. Die Menge skandierte immer wieder »Die Märtyrer sind unsterblich« und »Die PKK ist das Volk und das Volk ist hier«.

Auf Kritik vor allem der faschistischen Opposition, aber auch aus der eigenen Partei, warum die Regierung eine solche Trauerfeier erlaube, hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch von einer »Bewährungsprobe« für die PKK gesprochen. Diese dürfe den »Vertrauensvorschuß« nicht mißbrauchen. Ansonsten könnte in der Bevölkerung der Türkei keine Basis mehr zur Fortsetzung der laufenden Friedensverhandlungen mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan gefunden werden.

Indessen erscheint zweifelhaft, daß bei Erdogan selbst der Wille zu einer politischen Lösung der kurdischen Frage besteht. So bombardierten türkische Kampfflugzeuge in dieser Woche erneut das nord­irakische Kandilgebirge, in dem die PKK ihr Hauptquartier hat. Bei den Attacken aus der Luft, die sich auch gegen zivile Dörfer richteten, wurden sieben Guerillakämpfer getötet. Weitere 25 kamen seit Jahresbeginn bei Angriffen der türkischen Armee innerhalb der Türkei um. Bei Razzien gegen zivile kurdische Aktivisten wurden zudem in mehreren kurdischen Städten während der letzten Tage 116 Personen fest- und 57 von ihnen anschließend in Haft genommen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Januar 2013


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