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"Die kurdische Bewegung stört"

Eskalation im Sinne der Kriegsgewinnler: Der Dreifachmord in Paris vor dem Hintergrund der Verteilungskämpfe im Mittleren Osten. Ein Gespräch mit Ann-Kristin Kowarsch *

Am Mittwoch abend sind die kurdischen Politikerinnen Sakine Cansz, Fidan Dogan und Leyla Söylemez in den Räumen des Kurdischen Informationsbüros in der Nähe des Pariser Nordbahnhofs ermordet worden. Wie konnte das nach Ihrer Kenntnis passieren? In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wollte eine Journalistin der kurdischen Tageszeitung Özgür Politika Kontakt mit Fidan Dogan, der Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) in Paris, aufnehmen. Sie hatte sich gewundert, daß Fidan sich nicht, wie verabredet, gemeldet hatte. Deshalb ging sie gegen 24 Uhr zum Kurdischen Informationsbüro. Dort sah sie im Eingangsbereich Blutspuren und rief die Polizei. Die Frauen wurden nach bisherigen Ermittlungen am Abend zwischen 18 und 20 Uhr ermordet. Fidan und Sakine sollen durch Kopfschüsse getötet worden sein; Leyla durch Schüsse in Kopf und Bauch. Der oder die Täter müssen planmäßig vorgegangen sein, sie sollen eine Waffe mit Schalldämpfer benutzt haben. Das kurdische Informationsbüro liegt im Hinterhaus; die Tür ist nur mit einem Geheimcode zu öffnen. Der Mörder muß gute Ortskenntnisse gehabt haben – entweder wurde er hereingelassen, oder er kannte den Türcode.

Der Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP, Hüseyin Çelik, hat sofort erklärt, dies sehe nach einer internen Abrechnung in der kurdischen Bewegung aus … Das ist absoluter Quatsch. Bekanntermaßen argumentieren auch Geheimdienste so, um von ihren eigenen Aktivitäten abzulenken. Es ist immer wieder versucht worden, der kurdischen Bewegung etwas in die Schuhe zu schieben, sei es der Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme oder auch die Schüsse auf den Papst – und jetzt der Dreifachmord an eigenen Genossinnen. Sakine war 1978 Gründungsmitglied der Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK. Sie war seit den 1970er Jahren in der kurdischen Politik aktiv, vor allem in der Frauenbewegung. In Deutschland war sie für einige Zeit in Hamburg inhaftiert. Ihr hat man wie vielen anderen vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Als politische Gefangene war sie bereits nach dem Militärputsch in der Türkei in Haft; wurde gefoltert und blieb dennoch im Widerstand aktiv. Fidan war KNK-Vertreterin, Leyla Mitglied der kurdischen Jugendbewegung. Alle drei waren Befürworterinnen einer politischen Lösung, wie sie auch der PKK-Gründer Abdullah Öcalan anstrebt.

Welche Rolle könnten die Verhandlungen, ber die Rechte der Kurden gespielt haben, bei der sich Öcalan und die türkische Regierung nun angenähert haben sollen? Im Moment sind diese Verhandlungen in einer sehr brisanten Phase. Nachdem es in den letzten Monaten verstärkt zu Massenverhaftungen kurdischer Aktivisten kam, hat es in der Bevölkerung Druck auf die AKP gegeben, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Nach den Hungerstreiks in den Gefängnissen im Herbst 2012 sollte es endlich zu einer politischen Lösung kommen. Es gibt aber offenbar Kräfte, die diesen Prozeß stoppen und durchbrechen wollen.

Wer könnte Interesse daran haben? Es gibt Kreise, die seit Jahren von diesem Krieg profitieren durch Waffenhandel und mafiose Geschäfte unterschiedlicher Art. Auch Geheimdienste könnten in diese Morde verquickt sein. Selbst das französische Justizministerium ließ kürzlich verlauten, es wolle das Treiben türkischer Geheimdienste in Frankreich nicht länger dulden. Wir erwarten von der Regierung in Paris, daß sie auf Aufklärung drängt. Es muß erklärt werden, wie es überhaupt zu den Morden kommen konnte: Bekanntermaßen werden in Frankreich die Räume kurdischer Aktivisten überwacht und abgehört; gerade kurdische Politikerinnen wurden observiert. Wie viele andere Aktivisten sind wir am Donnerstag nach Paris gefahren, um Aufklärung und eine Verurteilung der Täter zu fordern. Zum politischen Hintergrund sagen wir: Diese Morde sind Wasser auf den Mühlen derer, die den Krieg gegen Kurden weiter eskalieren wollen. Derzeit finden heftige Verteilungskämpfe im Mittleren Osten statt, Machtkreise in der Türkei profitieren von dieser Situation, auch vor dem Hintergrund des Syrienkriegs und der Kriegsdrohung gegen den Iran. Eine basisdemokratische kurdische Bewegung stört bei all dem. Sie steht den Interessen des internationalen Kapitals und der Waffenlobbyisten im Weg. Auch die Rheinmetall AG Düsseldorf oder entsprechende französische Rüstungskonzerne machen ihre Gewinne mit diesem Konflikt und haben kein Interesse, ihn friedlich zu lösen.

Interview: Gitta Düperthal *

Ann-Kristin Kowarsch ist Vorstandsmitglied beim Kurdischen Frauenbüro für Frieden e.V. CENÎ in Düsseldorf

* Aus: junge Welt, Freitag, 11. Januar 2013


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