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Türkisches Militär bestätigt Putschplan

Von Jan Keetman, Istanbul *

Nach der jüngsten Serie von Haftbefehlen gegen Offiziere der türkischen Armee wegen des Verdachts auf Teilnahme an Putschvorbereitungen hat das öffentliche Ansehen der Militärs einen weiteren Schlag erlitten. Der Generalstab in Ankara räumte am Montag ein, dass ein bisher von den Generalen als böswillige Fälschung abgetaner Putschplan eines Offiziers möglicherweise doch echt ist.

Während immer mehr ehemalige oder noch im Dienst befindliche Offiziere wegen angeblicher Putschvorbereitungen in Untersuchungshaft kommen, musste der Generalstab am Montagabend einräumen, dass zumindest einer der angeblichen Putschpläne wohl eine echte Unterschrift trägt. Nach zivilen Gutachtern kam nun auch eine Expertise der dem Militär unterstellten Gendarmerie zu der Ansicht, die Unterschrift des Obersten Dursun Cicek unter dem »Aktionsplan zur Bekämpfung der Reaktion« sei echt oder könnte echt sein. Die Erklärung des Generalstabs ist an dieser Stelle etwas gewunden; sie spricht davon, dass »einige Beweise« dafür erlangt wurden, »dass sie echt sein könnte«.

Dass sich der Generalstab mit dem Eingeständnis der Echtheit schwertut, ist begreiflich. Der Plan sah verschiedene illegale Aktionen vor, mit denen das Vertrauen in die gemäßigt-islamische Regierung von Recep Tayyip Erdogan erschüttert werden sollte. Dies wird wie andere Pläne, die in den vergangenen beiden Jahren bekannt wurden, als Versuch gesehen, einen Militärputsch vorzubereiten. Dazu gehört auch der zuletzt enthüllte Plan »Vorschlaghammer« von 2003, der unter anderem Bombenanschläge auf Moscheen in Istanbul während der Hauptgebetszeit am Freitagmittag vorsah.

Das halbe Eingeständnis der Echtheit des Planes ist nicht nur ein Problem für das Militär insgesamt, sondern auch ein schwerer persönlicher Schlag für den Generalstabschef Ilker Basbug. Am 16. Juni vergangenen Jahres hatte die Zeitung »Taraf« einen Bericht über den Aktionsplan veröffentlicht. Basbug stellte angeblich eine Untersuchung an und dementierte dann die Existenz eines solchen Projekts.

Einige Monate später veröffentlichte »Taraf« das Dokument mit der Unterschrift sowie detaillierte Informationen über eine Säuberungsaktion des Generalstabschefs, mit der alle Unterlagen über den Plan vernichtet werden sollten. Die Zeitung listete auf, welches Personal bei der Aktion eingesetzt war, zusammen mit den Nummern der Computer, die angeblich »gereinigt« wurden. Mit dem Eingeständnis der Echtheit des Dokuments steht nun der Generalstabschef selbst in der Schusslinie. Außerdem hat das Ansehen des Militärs in der Öffentlichkeit einen weiteren Rückschlag erlitten.

Der Militärstaatsanwalt des Generalstabs hat nun auch das eingestellte Verfahren gegen Oberst Cicek wieder aufgenommen und Untersuchungshaft beantragt. Ein Militärgericht lehnte den Antrag allerdings ab, weil weder die Gefahr der Flucht noch der Manipulation von Beweisen bestehe. Cicek wird vom Militärstaatsanwalt unter anderem vorgeworfen, mit der Unterschrift seine Kompetenzen überschritten zu haben.

Doch es dürfte dem Militär kaum gelingen, den Putschplan als illegale Aktion eines einzelnen Obersten hinzustellen. Die Vorfälle um den Aktionsplan und den Generalstabschef werden auch die Diskussion um eine zivile Gerichtsbarkeit für das Militär neu beleben. Das Verfassungsgericht hatte vor Kurzem entschieden, dass sich Generale nur vor Militärgerichten verantworten müssen. Doch die Regierung plant, eine Justizreform mit Hilfe eines Referendums durchzusetzen. Die zivile Gerichtsbarkeit für Militärs in politisch brisanten Fällen ist einer der Punkte, die wohl in das Paket aufgenommen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2010


Generale im Abseits

Von Roland Etzel **

Türkische Generale hatten, was ihre Aufgabe und die der Regierung betrifft, bisher sehr klare Vorstellungen: Mögt ihr das Kabinett führen, wir führen den Staat! Wo sie das Vermächtnis des Republikgründers Atatürk in Gefahr wähnten und ihnen Drohungen nicht mehr zu reichen schienen, schlugen sie erbarmungslos zu. Vor allem galt ihr Argusauge der Bewahrung des säkularen Charakters des Staates, konkret die Beschränkung des Islam aufs Private.

Erweisen sich die jetzt vorliegenden Anschuldigungen als gerichtsfest, haben die Generale - oder einige von ihnen - ihren Staat aber nicht nur nicht geschützt, sondern selbst verraten, um anschließend auch noch als Retter auftreten zu können. Was sich also abzeichnet, ist die bisher klarste Schlappe des (ata)türkischen Militärs gegen eine Zivilregierung.

Eine Schwächung der politischen Macht des Militärs entspräche indes einer Tendenz der letzten 50 Jahre, schleichend, aber stetig. Wurde nach dem Militärputsch von 1960 trotz Protesten der mächtigsten Verbündeten der Ministerpräsident noch gehängt, beließ man es nach dem nächsten Coup 1980 beim Politikverbot für die Gestürzten. 1997 drängte der Generalstab letztmalig einen Premier aus dem Amt. Dass er dies auch gern mit Erdogan täte, ist kein Geheimnis; eher schon, ob die behauptete Gefahr der Verletzung laizistischer Prinzipien durch ihn das tatsächliche Motiv ist. Aber diesmal war der Coup wohl ein Rohrkrepierer.

** Aus: Neues Deutschland, 3. März 2010 (Kommentar)


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