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Leylas Mahnung

Kurdenpolitikerin aus der Türkei kritisiert in Brüssel unkritische Solidarität der EU mit Ankara

Von Nico Sandfuchs, Ankara *

Unter Beteiligung hochrangiger kurdischer Politiker aus der Türkei ging am Dienstag die vierte internationale Konferenz des EU-Parlaments in Brüssel zu Ende. Die zweitägige Veranstaltung zum brisanten Thema »EU, Türkei und Kurden«, die von der »Nordisch grün-linken Allianz« (NGLA) organisiert wurde, hatte zum Ziel, »demokratische Wege zur Lösung des Kurdenproblems« aufzuzeigen.

In ihrer Eröffnungsrede kritisierte Leyla Zana, ehemals Abgeordnete der 1994 in der Türkei verbotenen »Demokratie-Partei« (DEP) und Trägerin des EU-Sacharow-Preises für Menschenrechte, sowohl die türkische Innenpolitik als auch die EU. Ankara reagiere nach wie vor mit Parteiverboten, Strafprozessen und einer ganzen Palette weiterer Behinderungen auf die Emanzipationsbestrebungen der kurdischen Bevölkerungsteile. »Daß im 21. Jahrhundert immer noch Menschen, die in ihrer Muttersprache reden, vor Gericht gezerrt werden, ist ein Armutszeugnis für die Türkei«, konstatierte Zana, die ihre Rede demonstrativ auf Kurdisch hielt. Damit verwies sie auf die Tatsache, daß in der Türkei die kurdischen Dialekte weiterhin Verboten unterliegen – etwa bei politischen Versammlungen.

Leyla Zana, die wegen ihrer politischen Überzeugung über zehn Jahre hinter Gittern verbingen mußte, stellte klar, daß es keine Lösung der Kurdenfrage geben könne, solange die politischen, kulturellen und sozialen Rechte der Kurden nicht vollständig anerkannt würden. »Das Beispiel zahlreicher anderer Länder hat gezeigt, daß die Verleugnung ethnischer Identitäten nicht Spannungen abbaut, sondern sie im Gegenteil verschärft«, erklärte Zana. Die Versuche, das Kurdenproblem möglichst totzuschweigen, müßten endlich ein Ende haben.

Statt dessen solle eine gesellschaftliche Atmosphäre geschaffen werden, die die freie Diskussion auch kontroverser Lösungsansätze ermögliche und in der Meinungen, die nicht mit der Haltung des Establishments in Ankara übereinstimmten, nicht länger verfolgt würden. Zana kritisierte scharf die von EU-Vertretern in den vergangenen Wochen geübte Praxis, etwa in der Frage einer Militärintervention im Nordirak Standpunkte Ankaras unhinterfragt zu übernehmen. Diese unverhoffte Rückenstärkung für die türkische Regierung trage erheblich zu einer weiteren Zuspitzung der Lage bei.

Joost Lagendijk, der Vorsitzende des Türkei-Ausschusses im Europäischen Parlament, bekräftigte in seiner Rede allerdings erneut, daß man in der EU nach wie vor »volles Vertrauen« in die Reformbestrebungen der türkischen Regierung habe und eine harte Haltung gegenüber dem »PKK-Terror« inzwischen weitaus besser nachvollziehen könne, als es früher der Fall gewesen sei. Lagendijk appellierte an die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK), den bewaffneten Kampf bedingungslos und dauerhaft einzustellen und den »Demokratisierungsprozeß« in der Türkei »nicht länger zu behindern«. Auch die im türkischen Parlament vertretene kurdische »Partei der demokratischen Gesellschaft« (DTP) solle sich eindeutig von der PKK distanzieren und zukünftig zusammen mit der türkischen Regierungspartei nach einer Lösung des Kurdenproblems suchen.

* Aus: junge Welt, 5. Dezember 2007


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