Türkei: Mehr Folter in Gefängnissen
Festnahmewelle von Kurden nimmt kein Ende
Von Martin Dolzer *
Während die Welle der Festnahmen von Kurden weiterrollt, verschärfen sich in den türkischen
Gefängnissen die Probleme. Vor allem gegen die Überbelegung der Zellen und Folter an
Gefangenen wird protestiert.
In der vergangenen Woche wurden bei Razzien und Protesten hauptsächlich in den kurdischen
Provinzen der Türkei erneut mehr als 70 Menschen festgenommen. Darunter befanden sich Bekir
Kiliçlarslan, ein Mitglied der Geschäftsführung der pro-kurdischen Partei DTP, die Frauenrechtlerin
Sara Aktas sowie Kinder und alte Frauen. In den meisten Fällen wurden noch keine konkreten
Vorwürfe bekannt. Viele der mehr als 350 seit Mitte April Festgenommenen sitzen aufgrund
vermeintlicher Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft.
Währenddessen verschlechtert sich auch aufgrund der Festnahmewelle die untragbare Situation in
den Gefängnissen des Landes weiter. Der Menschenrechtsverein IHD beklagt seit Monaten etwa die
eklatante Überbelegung und Unterversorgung sowie zunehmende Folter in den Haftanstalten. So
müssen sich im Gefängnis von Aydin 19 Inhaftierte eine Zelle für fünf und vier ein Bett teilen. Im
Gefängnis von Siirt besetzten Insassen am Mittwoch kurzzeitig das Dach und setzten es in Brand,
um gegen Folter und die untragbaren Zustände zu protestieren. In der Anstalt von Tekirdag wurde
versucht, dem Gefangenen R. Aslan ohne vorherige Untersuchung Zähne zu ziehen. Als dieser
seine Beschwerde in einem Schreiben an den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan erhob, wurde
er misshandelt.
In Yüksekova nahe der irakischen Grenze wurde ein 17-Jähriger bei Protesten gegen die anhaltende
Repression trotz Arm- und Nasenbruchs festgenommen. Der zuständige Haftrichter ließ den
Jugendlichen ohne Behandlung in die Untersuchungshaft überstellen. Die Mutter des Jungen
berichtete, dass ihr Sohn bei einem ersten Besuch aufgrund seiner Verletzungen nicht sprechen
konnte, während sein Anwalt beklagt, dass die zuständigen Behörden noch immer keine
Behandlung ermöglicht haben. Zeugenberichten zufolge folterten Polizisten den Jungen bei seinem
Aufenthalt in der Polizeiwache.
Unterdessen verurteilte eine Kammer des Schwurgerichts von Adana am Mittwoch (29. April) erneut 24 Kinder
im Alter von 12 bis 18 Jahren zu jeweils sieben Jahren und sechs Monaten Haft. Das Urteil wurde
mit der Teilnahme der Kinder am kurdischen Frühjahrsfest Newroz oder Demonstrationen, die das
Gericht als Unterstützung einer kriminellen Vereinigung auslegte, begründet. Seit 2006 wurden in
der Türkei 174 Kinder auf ähnliche Weise verurteilt.
Mitglieder des Türkischen Friedensvereins besuchten Mitte der Woche die DTP-Fraktion im
Parlament und bekräftigten, dass die Lösung der kurdischen Frage Voraussetzung für eine
Demokratisierung der Türkei und der Dialog mit den gewählten Vertretern der DTP dazu nötig sei.
Die Ausweitung militärischer Operationen wurde als unnötiges Kriegsgetrommel bezeichnet, das
lediglich die geostrategische Abhängigkeit der Türkei und die Angst des Militärs vor Machtverlust
zum Ausdruck bringe.
Eine Kundgebung in Diyarbakir erinnerte an die 361 kurdischen Kinder, die seit 1989 bei
Polizeieinsätzen ums Leben kamen. Die DTP kündigte an gleicher Stelle einen Hungerstreik für die
Freilassung der von den Repressionen Betroffenen an.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2009
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